KommentarEU-Schuldenreform

Lindner überzieht

Die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform der Schuldenregeln sind trotz Fortschritten verbesserungswürdig. Doch Finanzminister Christian Lindner überzieht.

Lindner überzieht

EU-Schuldenreform

Lindner
überzieht

Die Vorschläge aus Brüssel sind längst nicht perfekt. Doch der Finanzminister geht zu weit.

Von Stefan Reccius, Brüssel

Wie gnädig der Bundesfinanzminister doch ist. Christian Lindner will „immerhin Ansatzpunkte“ im Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der Schuldenregeln erkennen, „die eine weitere Debatte lohnenswert erscheinen lassen“. Lindner war also offenkundig bereit, die Verhandlungen an diesem 26. April platzen zu lassen, falls ihm die Vorschläge der EU-Kommission nicht passen. Was sonst soll man aus so einer Aussage schließen?

Anmaßender geht es kaum. Immerhin verhandelt die EU-Kommission nicht allein mit Deutschland über die unausweichliche Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, sondern mit allen 27 EU-Staaten samt EU-Parlament. Demut war nie Lindners Stärke, das hat man auch in Brüssel und anderen Hauptstädten registriert. Aber wer so daherredet, der verprellt sämtliche Verhandlungspartner.

Dabei sind die Vorschläge der EU-Kommission, allen Nachbesserungen zum Trotz, tatsächlich nach wie vor verbesserungswürdig. Brüssel will Schuldentragfähigkeitsanalysen zum Ausgangspunkt des Schuldenabbaus machen. Vorbild ist der Internationale Währungsfonds (IWF). Was in der Theorie verheißungsvoll klingt, hat allerdings Tücken. Denn die Ergebnisse solcher Analysen hängen maßgeblich von Annahmen über die Entwicklung von Zinsen, Inflation und Wachstum ab. Das macht sie anfällig für Fehlkalkulationen und politische Mauscheleien. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse ist kein Allheilmittel.

Zu hinterfragen ist auch ihre Absicht, vier oder gar bis zu sieben Jahre Zeit für den Weg zum Schuldenabbau einzuräumen. Lässt eine Regierung Abmachungen schleifen, müssen die Konsequenzen womöglich erst ihre Nachfolger ausbaden. Gerade in Zeiten steigender Zinsen sollte nicht der Verdacht aufkommen, solide Haushaltspolitik auf die lange Bank zu schieben.

Die EU-Kommission versucht das durch mehrere Sicherheitsmechanismen zu entkräften. Die werden womöglich nicht genügen, um sicherzustellen, dass Regierungen den Schuldenabbau wirklich nicht aufschieben. Zumindest sind es greifbare Zugeständnisse Richtung Berlin. In diese Kategorie fällt auch die Vorgabe, den Schuldenstand bei überhöhten Defiziten um mindestens 0,5% zurückfahren zu müssen.

Es ist legitim, dass Lindner sich damit nicht zufriedengibt. Die EU-Kommission hat sich aber bemüht, auf seine Bedenken einzugehen – stärker, als der Finanzminister weismachen will. Das sollte er anerkennen, anstatt den Eindruck zu erwecken, dass er die EU-Kommission auflaufen lässt. Dabei ist sie es, die sich bewegt hat, während Lindner stur bei seinem Austeritätskurs bleibt – und sogar noch austeilt.