Dax reizt Potenzial aus
Aktienmarkt
Dax reizt Potenzial aus
Von Christopher Kalbhenn
Aus Sicht der Aktienmärkte ist nicht klar, ob ein schneller Übergang zu Zinssenkungen wünschenswert sein kann.
Auch 2023 ist der Aktienmarkt immer wieder für eine Überraschung gut. Vor noch nicht ganz einem Monat hat der Kollaps der Silicon Valley Bank ein Bankenbeben ausgelöst, das Marktteilnehmer eine schwere Finanzkrise befürchten ließ, als auch die Credit Suisse in Bedrängnis geriet. Den Dax hat all dies jedoch nicht davon abhalten können, nur wenige Wochen nach dem Schockereignis bis auf 15.737 Punkte und damit auf den höchsten Stand des laufenden Jahres zu klettern. Zu seinem Rekordhoch von 16.290 Zählern fehlten dem Index damit noch rund 550 Punkte, und es besteht durchaus die Chance, dass der Dax in den kommenden Wochen eine neue Bestmarke aufstellt, zumal nun die statistisch gesehen beste Jahreszeit des Aktienmarktes begonnen hat.
Möglich geworden ist dies letztlich dadurch, dass Regierungen, Zentralbanken und Regulierer beherzt gehandelt und damit – zumindest bislang – eine Ausweitung der Bankenturbulenzen verhindert haben. Unabhängig davon ist dem Aktienmarkt jedoch erneut eine bemerkenswerte Resilienz zu bescheinigen. Denn er hat in den zurückliegenden drei Jahren mit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine sowie dem Anstieg von Inflation und Zinsen weitere, noch wesentlich schwerwiegendere Belastungen zu verkraften gehabt. Auch von jenen hat er sich – nach jeweils heftigen Kursrutschen – nach einem überschaubaren Zeitraum stabilisiert und wieder in den Rally-Modus umgeschaltet.
Mit Blick nach vorne ist allerdings festzuhalten, dass sich die aktuelle Lage deutlich von der der Jahre 2020 und 2021 unterscheidet. Seinerzeit bewegten sich die Aktienmärkte in einem durch die Pandemie zusätzlich verstärkten Niedrigumfeld. Entsprechend verstärkte sich die Alternativlosigkeit zu Dividendentiteln. Doch die Zeiten von „TINA“ (There is no alternative) sind vorbei. Durch die scharfe geldpolitische Kehrtwende sind die Anleiherenditen stark gestiegen, Anleger finden im festverzinslichen Bereich nun wieder einigermaßen zufriedenstellende Verzinsungen vor, und das bei überschaubaren Risiken. Aktien haben damit wieder Konkurrenz, und diese reduziert ihren Bewertungsvorteil.
Durch die veränderte Zinslandschaft ergeben sich weitere Implikationen für Aktien. Die Zinsen sind seit Anfang 2022 in einem Tempo und Ausmaß wie seit Jahrzehnten nicht mehr gestiegen. Die Zentralbanken werden zwar bald ihren Straffungskurs beenden. Da sich die Kerninflation sich als hartnäckig erweist, werden sie aber wahrscheinlich die Zinsen über einen längeren Zeitraum auf dem erhöhten Niveau halten. Ihre Wirkung auf die Realwirtschaft und damit auch auf die Unternehmensgewinne entfalten sich erst mit Zeitverzögerung, so dass auch von dieser Seite Gegenwind für Aktien auszugehen droht. Marktteilnehmer gehen teilweise davon aus, dass die Notenbanken, vor allem die Fed, noch in diesem Jahr wieder zu Leitzinssenkungen übergehen werden. Diese Erwartungen drohen enttäuscht zu werden.
Aus Sicht der Aktienmärkte ist auch nicht klar, ob ein schneller Übergang zu Zinssenkungen tatsächlich wünschenswert sein kann. Denn es kommt auf die Umstände an, die die Währungshüter veranlassen könnten, so abrupt auf den geldpolitischen Lockerungsmodus umzuschalten. Eine Möglichkeit wäre eine deutlichere, die derzeitigen Erwartungen der Marktteilnehmer übertreffende Abschwächung der Konjunktur, mit negativen Folgen für Unternehmensgewinne, Gewinnschätzungen und die Bewertungen, die Investoren Dividendentiteln zuzubilligen bereit sind. Eine weitere Möglichkeit wären weitere Turbulenzen im Finanzsektor, auch das kaum der Stoff für eine zünftige Aktien-Rally.
All dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Ende der im Herbst 2022 gestarteten Rally unmittelbar bevorsteht und ein Rekordhoch des Dax in den nächsten Wochen auszuschließen ist. Allerdings scheint nach den deutlichen Kurssteigerungen der letzten Monate das Aufwärtspotenzial weitgehend ausgereizt und das Potenzial für Kursrückschläge gestiegen zu sein.