Im BlickfeldFrankreich und Cum-cum-Geschäfte

Frankreichs langer Kampf gegen Cum-cum

Nach einem erbitterten Kräftemessen hat Frankreich erst kürzlich eine Gesetzeslücke geschlossen, die Cum-cum-Geschäfte ermöglich hat.

Frankreichs langer Kampf gegen Cum-cum

Frankreichs langer Kampf gegen Cum-cum

Frankreich hat erst kürzlich eine Gesetzeslücke geschlossen, die Cum-cum-Deals ermöglicht hat. Die auf Finanzangelegenheiten spezialisierte Einheit der Staatsanwaltschaft hat 2021 Ermittlungen eingeleitet. Einen Prozess gab es bisher jedoch nicht.

Von Gesche Wüpper, Paris

Cum-cum-Geschäfte haben Frankreich in den letzten Wochen in Atem gehalten. Nicht wegen neuen Enthüllungen oder Razzien. Stattdessen rückte ein Kräftemessen zwischen dem Senat — der zweiten Kammer des Parlaments — und Wirtschaftsminister Eric Lombard das Thema erneut in den Mittelpunkt. Dabei ging es um einen von dem Senator Jean-François Husson eingebrachten Zusatz zum Haushaltsgesetz 2025, durch den Cum-cum-Praktiken eindeutig als illegal eingestuft werden. Im Gegenssatz zu Cum-ex-Aktiendeals waren sie bis zu diesem Jahr in Frankreich nicht verboten.

Stattdessen konnten Banken, Fonds und andere Investoren bisher eine Gesetzeslücke nutzen. Während es bei Cum-Ex um die Erstattung gar nicht gezahlter Kapitalertragssteuern geht, verschaffen Banken bei Cum-cum-Geschäften ausländischen Inhabern französischer Aktien Steuervorteile. Entweder leihen französische Finanzinstitute die Aktien während der Dividendenzahlung selber aus oder in Ländern angesiedelte Institute, mit denen Frankreich so wie mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar oder Saudi-Arabien günstige Steuerabkommen geschlossen hat. Nach der Dividendenzahlung erhalten die ausländischen Investoren ihre Aktien dann wieder zurück. In beiden Fällen profitieren sie von einer wesentlich günstigeren Besteuerung von Dividenden als sonst üblich.

33 Mrd. Euro entgangen

Normalerweise werden von Dividenden, die französische Unternehmen an ausländische Investoren zahlen, mit bis zu 30% besteuert. Nach Angaben der Banque de France besaßen ausländische Anleger zuletzt 49,5% der in Frankreich angesiedelten CAC 40-Unternehmen. Deshalb dürften die dem französischen Fiskus durch Cum-cum-Geschäfte entgangenen Einnahmen theoretisch nicht unerheblich sein. „Le Monde“ schätzt sie auf 1,5 Mrd. bis 3 Mrd. Euro pro Jahr.

In der Zeit 2000 bis 2020 habe der Dividenden-Betrug Frankreich mindestens 33 Mrd. Euro an Steuern gekostet, so die Tageszeitung. Eine Zahl, die der Bankenverband Fédération bancaire française (FBF) infrage stellt. „Le Monde“ hat 2018 zusammen mit anderen europäischen Investigativmedien die Cum-ex-Files veröffentlicht und damit auch die Justiz auf den Plan gerufen.

Denn daraufhin hat der sozialistische Abgeordnete Boris Vallaud zusammen mit einem Kollektiv von 250 Steuernzahlern bei der auf Finanzdelikte spezialisierten Einheit der Staatsanwaltschaft Parquet national finanancier (PNF) Klage gegen unbekannt eingereicht. Diese hat 2021 vorläufige Ermittlungsverfahren gegen mehrere Banken eingeleitet.

Bisher kein Gerichtsverfahren

Erste Hinweise auf den Dividenden-Betrug soll es jedoch bereits viel früher gegeben haben. So soll Skandaltrader Jérôme Kerviel einer Untersuchungskommission des Senats 2013 unter Ausschluss der Öffentlichkeit von entsprechenden Praktiken erzählt haben. Er sei nicht selber daran beteiligt gewesen, doch Frankreich entstehe durch diese Geschäfte ein erheblicher Schaden, habe er erklärt, so „Le Monde“.

Im Gegensatz zu Deutschland hat es in Frankreich jedoch bisher noch keine Gerichtsverfahren in dem Zusammenhang gegeben. Während die deutsche Justiz bislang vor allem Cum-ex-Geschäfte im Visier hatte, geht es bei den französischen Ermittlungen hauptsächlich um Cum-cum-Deals. Vor zwei Jahren hat der PNF dafür fünf Finanzinstitute in Frankreich durchsucht: BNP Paribas und ihre Tochter Exane, Société Générale, Natixis und HSBC. Es war die bislang größte Aktion der 2013 gegründeten Einheit.

Steuerberichtigung bei Crédit Agricole

Crédit Agricole wiederum ist seinerzeit den Durchsuchungen entgangen. Die Bank soll laut Medien zugegeben haben, an Cum-cum-Geschäften beteiligt gewesen zu sein. Sie soll deshalb 2021 einer Steuerberichtigung über 35 Mill. Euro zugestimmt haben. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Tochter Caceis zuvor in Deutschland dem Finanzamt im Rahmen der Cum-ex-Ermittlungen 312 Mill. Euro zurückzahlen musste.

Dass sich Crédit Agricole 2021 mit den Steuerfahndern geeinigt habe, bedeute aber nicht automatisch, dass es für die Bank kein juristisches Nachspiel gebe, heißt es in Paris. Bei der Razzia Ende Juni bei Société Générale wiederum ging es nach Angaben des PNF zwar auch um Steuerkonstrukte zugunsten französischer Unternehmen, aber um unterschiedliche Vorgänge und Ermittlungen als die zu Cum-cum.

Im Visier der Steuerfahnder

Auch wenn es in Frankreich noch keine Anklagen im Zusammenhang mit den Cum-cum-Deals gab, sind Politiker und der Fiskus nicht untätig geblieben. Die Steuerbehörden haben nach Angaben von Jean-François Husson, dem haushaltspolitischen Berichterstatter des Senats, seit 2017 Steuerberichtigungsverfahren im Umfang von insgesamt 4,5 Mrd. Euro eingeleitet.

„Der Senat hat sich sofort eingesetzt, als die Affäre von ´Le Monde´ 2018 enthüllt worden ist", berichtete der ehemalige kommunistische Senator Eric Bocquet. Er war seinerzeit stellvertretender Vorsitzender der Finanzkommission des Senats. Die zweite Parlamentskammer habe bereits damals im Rahmen der Haushaltsdebatte 2019 einen Zusatzeintrag eingebracht, um die Cum-cum-Praktiken zu unterbinden, so Bocquet. Während der Senat einstimmig dafür gestimmt habe, hätte die Assemblée Nationale den Antrag seiner Substanz beraubt.

Vergebliche Anträge

Seitdem ist kein Jahr vergangen, in dem der französische Senat nicht versucht hat, die Cum-cum-Geschäfte durch Zusatzanträge zum Haushaltsgesetz zu unterbinden. „Es ist nicht so, als hätten wir das Problem nicht erkannt“, sagt Senatorin Nathalie Goulot. Die Zentrumspolitikerin gehört zu den Initiatoren eines Gesetzentwurfs gegen die Cum-cum-Praktiken, den 70 Abgeordnete unterschiedlichster Parteien im Frühjahr 2024 eingereicht haben. Doch wenige Wochen danach setzte Präsident Emmanuel Macron überraschend Neuwahlen an.

Senator Jean-François Husson hat sich mit Wirtschaftsminister Eric Lombard ein Kräftemessen über die gesetzlichen Bestimmungen zu Cum-cum-Geschäften geliefert. Photo by Raphael Lafargue/ABACAPRESS.COM
picture alliance / abaca | Lafargue Raphael/ABACA

Während der Debatte über den Haushaltsentwurf der Minderheitsregierung von Michel Barnier unternahm Husson einen neuen Anlauf, den Cum-cum-Praktiken einen Riegel vorzuschieben. Die zweite Parlamentskammer stimmte entgegen der Empfehlung der Regierung für seinen Zusatzantrag, wenige Stunden, bevor Barnier und sein Kabinett über einen Misstrauensantrag stürzten.

Bankenverband bedauert

Schließlich stellte sich auch die neue Regierung hinter den Antrag, sodass er im Februar zusammen mit dem Haushalt angenommen wurde. Sehr zum Bedauern des Bankenverbandes FBF. Er hat deshalb an die Generaldirektion für öffentliche Finanzen geschrieben und um Klarstellung gebeten. Die rechtmäßige Wertpapierleihe brächte die für das Funktionieren reglementierter Märkte notwendige Liquidität und trage so zur Attraktivität des Finanzplatzes Paris bei, erklärt er. Betrügerische Geschäfte müssten aber selbstverständlich bestraft werden.

Kräftemessen mit dem Senat

Entgegen den Empfehlungen von Senator Husson veröffentlichte das Wirtschaftsministerium im April einen Erlass zu dem Gesetz. Dieses werde nicht angewendet, wenn es sich um Geschäfte auf dem reglementierten Markt handele und wenn die Zahlstelle ihren Gegenpart nicht kenne. Durch diese Anweisung werde der Text zur Bekämpfung der Cum-cum-Deals seines wesentlichen Inhaltes beraubt und das Parlament verhöhnt, kritisierte Husson. Der Republikaner verlangte Einsicht in alle Akten zu dem Thema, bevor Wirtschaftsminister Lombard und Vertreter des FBF von der Finanzkommission der Nationalversammlung angehört wurden.

Das Hickhack um die Bestimmungen könnte französische Unternehmen verleiten, an andere Börsen zu gehen, warnte der stellvertretende FBF-Generaldirektor Etienne Barel. Dennoch zog Lombard jetzt den umstrittenen Erlass zurück, sodass sich die Gesetzeslücke für Cum-cum-Geschäfte schließt. Der Wirtschaftsminister habe den Senat nicht kurz vor der Debatte über den Haushaltsentwurf 2026 verärgern wollen, heißt es in Paris. Denn für die Regierung steht viel auf dem Spiel, da erneut Misstrauensanträge drohen.