Im BlickfeldESG-Regulierung

Darf es ein bisschen mehr Taxonomie sein?

Das ESG-Regelwerk der EU zur Beschreibung von umweltfreundlichen Tätigkeiten steht vor einer Erweiterung. Die Finanzbranche kritisiert den starren Rahmen, der viele Unternehmen außen vor lässt.

Darf es ein bisschen mehr Taxonomie sein?

Nachhaltigkeit

Darf es ein bisschen mehr Taxonomie sein?

Das ESG-Regelwerk der EU steht vor einer Erweiterung Finanzbranche kritisiert den starren Rahmen

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die EU-Kommission hatte für die Konsultation der erweiterten Taxonomie nur vier Wochen Zeit gegeben. Die Resonanz der Marktteilnehmer war dennoch überwältigend. 508 Stellungnahmen liegen seit dem 3. Mai vor. Sie beziehen sich auf die Entwürfe der Kommission zu den Verordnungen mit Bewertungskriterien für die vier noch nicht ausgearbeiteten Umweltziele.

Bei der Gelegenheit wurden Änderungen an den klimabezogenen Umweltzielen (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) vorgeschlagen. Konkret geht es bei der Erweiterung der EU-Taxonomie um Tätigkeiten, die einen Beitrag zu einem der vier Umweltziele leisten: nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung der Umweltverschmutzung sowie Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Die Kriterien zur Erweiterung der Taxonomie um diese Umweltziele stützen sich weitgehend auf die Empfehlungen der Plattform on Sustainable Finance, eines Beratungsgremiums der Kommission. Die Regelung soll die Umwelttaxonomie aus Sicht der EU vollenden. Der geplante EU-Rechtsakt zur Erweiterung der Umwelttaxonomie deckt unter anderem Tätigkeiten in den Bereichen Abfallwirtschaft, Altlastensanierung, Kunststoffverpackungen, Elektro- und Elektronikgeräte, Gerätebatterien sowie Bau- und Abbruchwesen ab.

Die für Finanzen zuständige Kommissarin Mairead McGuinness erklärte anlässlich der vorgelegten Pläne: „Die EU-Taxonomieverordnung ist ein wichtiger Rechtsakt, der zur Verwirklichung der Ziele des europäischen Green Deals beiträgt. Ihr Abschluss und ihre vollständige Umsetzung werden entscheidend dazu beitragen, Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte zu lenken.“

Kritik aus der Bankbranche

Die neuen Umweltziele werden in der Finanzbranche generell als eine sinnvolle Ergänzung angesehen. „Damit nimmt man eine gewisse Unwucht aus der Taxonomie heraus. Bislang wurde das Thema Umwelt ausschließlich auf das Klimathema fokussiert“, sagt Andreas Gruber, Chief Sustainable Officer der DKB. Die zusätzlichen Ziele würden einen weiten Bogen aufspannen, und es gebe damit grundsätzlich mehr Aktivitäten, die Banken taxonomiekonform finanzieren können.

Die Erweiterung hat aber auch ihre Schattenseiten. „Die Taxonomie ist schon heute komplex und hat sehr viele Bewertungskriterien. Das wird durch die erweiterten Ziele nicht einfacher, der Komplexitätsgrad steigt exorbitant“, sagt Gruber. Man erkaufe sich also die größere Abdeckung zu einem sehr hohen Preis. Von Bankenseite müssten noch mehr Ressourcen in die Taxonomiebewertung der Unternehmen gesteckt werden, als dies schon jetzt der Fall sei.

Mangelhafte Abdeckung

Ein Problem der Taxonomie aus Sicht der Finanzbranche ist, dass sie nur etwa 40% der Wirtschaft abbildet. Und nur weil prinzipiell mehr Wirtschaftsaktivitäten erfasst werden, führt es auch nicht zwangsläufig dazu, dass man mehr grüne Kredite ausweisen werden könne. „Der Geburtsfehler der Taxonomie wird durch diese Erweiterung nicht behoben: Im Rahmen der Green Asset Ratio können Banken nur Aktivitäten als taxonomiekonform ausweisen, wenn die Finanzierungspartner mehr als 500 Mitarbeiter haben und kapitalmarktorientiert sind“, sagt Gruber. Das sei bei vielen Kunden nicht der Fall und gelte auch für große Teile für Wind- und PV-Finanzierung. „Da helfen die vier weiteren Umweltziele nicht“, so Gruber.

„Hinzu kommt, dass die Taxonomie nur das ‚Dunkelgrüne‘ abbildet und die Zwischentöne ausblendet. Das heißt: Alles, was sich in Richtung ökologische Nachhaltigkeit bewegt, der so wichtige Übergang, die Transition, wird über die Taxonomie nicht abgebildet“, sagt Frederik Lange, Sustainable-Finance-Experte des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Er betont, dass Banken auf ESG-Daten von Unternehmenskunden angewiesen seien, um über die Taxonomie-Konformität zu berichten.

Die Kommission wird das Feedback jetzt prüfen. Obwohl die EU in der Konsultation die Branche aufgefordert hatte, Rückmeldungen auf technische Bewertungskriterien zu konzentrieren, gab es vielfach generelle Stellungnahmen zur Sustainable-Finance-Regulierung. Die finale Veröffentlichung der delegierten Verordnungen ist für Mitte 2023 vorgesehen. Sie sind danach vom EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten abzusegnen.

Die Weiterentwicklung der Taxonomie ist aus Sicht des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) ein wichtiges Instrument, um Geldflüsse zu lenken. Das FNG befürchtet allerdings eine Aufweichung durch die Hinzunahme von Luft- und Schifffahrtsaktivitäten. Die Organisation rät daher, dass die EU-Kommission die Anerkennung, die die Taxonomieverordnung (noch) genieße, nutzen sollte. „Die Taxonomie sollte der Goldstandard für Nachhaltigkeit sein“ als transparentes Klassifizierungssystem.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) kritisiert im Rahmen der Konsultation, dass KMUs ohne große eigene Rechts- oder Nachhaltigkeitsabteilung entscheidende Wettbewerbsnachteile durch die Erweiterung haben könnten. Die Ausgestaltung der Taxonomie orientiere sich erkennbar an den Anforderungen und Chancen an den Kapitalmärkten, die für KMUs keine große Rolle spielten. Viele kleinere und mittlere Unternehmen könnten von den neuen Regelungen überfordert sein, meint die DIHK.

Ausweitung der Aktivitäten

Einer der größten Kritikpunkte ist die Frage, welche Wirtschaftsaktivitäten mit der Erweiterung der Taxonomie als konform gelten können. Die Nichtregierungsorganisation Germanwatch bemängelt, dass viele Aktivitäten, die die Platform on Sustainable Finance (PSF) eingeschlossen hatte, im Entwurf der Kommission weggelassen wurden. Eine Aufnahme in die Taxonomie würde aber Anreize für die Branchen setzen, nachhaltige und umweltschonende Investitionen zu tätigen.

Die Naturschutzorganisation Nabu hält es dagegen für nicht nachvollziehbar, dass weitere Schlupflöcher geschaffen würden, welche zum Beispiel „besonders klimaschädliche, LNG-betriebene Schiffe auf unbestimmte Zeit als taxonomiekonform kennzeichnen“ würden. Die Taxonomie sollte aus Sicht von Nabu klare Regularien vorgeben, um die Nutzung fossiler Treibstoffe schnellstmöglich zu beenden.

Die Aufnahme des Flugverkehrs in die vorgeschlagenen Kriterien wird unter anderem vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) mit Sorge betrachtet. Der Luftverkehr sei aufgrund seiner hohen Klimawirkung von entscheidender Bedeutung für die Erreichung der europäischen Klimaziele. Laut der vorgeschlagenen Klassifikation könnten mit fossilen Kraftstoffen betriebene Flugzeugmodelle als best in class gelten und sich damit für grüne Investments qualifizieren. Das sei nicht ausreichend, um Anreize für eine Dekarbonisierung zu setzen, so der BUND.

Schon mit der Einbeziehung der Atomkraft hat die Taxonomie in den Augen vieler Menschen an Glaubwürdigkeit verloren. Aus Sicht des Forums Nachhaltige Geldanlagen sollte mit der Erweiterung „alles darangesetzt werden, die Taxonomie vor weiteren Reputationsschäden zu bewahren“. Mit der Einbeziehung von Flugzeugen und Schiffen passiere allerdings das Gegenteil.

Soziales nicht vergessen

Die DIHK regt in ihrer Stellungnahme an, dass die EU eine Richtungsentscheidung treffen sollte, ob die Taxonomie möglichst viele Wirtschaftstätigkeiten erfassen soll oder nur die für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele relevantesten Branchen. Die Experten kritisieren zudem, dass sich die Taxonomie zu vieler Verbote bediene, während eine grüne Transformation nur gelingen könne, wenn neue Technologien eine Chance haben, sich am Markt durchzusetzen.

Zu guter Letzt mahnt die Triodos Bank, die Sozialtaxonomie nicht aus den Augen zu verlieren. „Wir sind davon überzeugt, dass eine nachhaltige Wirtschaft unmöglich ist, wenn die sozialen Auswirkungen ignoriert werden.“

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