Das Conti-Pferd will wieder höher springen
Das Conti-Pferd will wieder höher springen
Das Dax-Gründungsmitglied vollzieht eine strategische Kehrtwende und spaltet seine Margenbremse ab. Das Autozuliefergeschäft soll sich als börsennotiertes Unternehmen Aumovio besser entfalten können. Die Ausgangsbedingungen sind schwierig.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Continental steht vor einer weiteren Zäsur in ihrer Historie seit 1871. Der seit Dezember 2020 amtierende Vorstandsvorsitzende Nikolai Setzer spricht von der „bisher tiefgreifendsten Neuaufstellung in unserer Unternehmensgeschichte“. Mit der Abspaltung und Börseneinführung von Aumovio am 18. September verabschiedet sich der Dax-Konzern aus Hannover von seinem Autozuliefergeschäft, wie es nach der „großen strategischen Wende“ in der Ära von Vorstandschef Hubertus von Grünberg ab Mitte der 1990er Jahre etabliert wurde. Die Erwartung, jenseits des damals defizitären Reifengeschäfts neue Geschäftsfelder mit hohem Wachstumspotenzial zu erschließen, führte zum Aufbau des Bereichs Automotive Systems.
Der Spin-off von Automotive hat nun zur Folge, dass sich Continental gemessen am bisherigen Jahresumsatz von zuletzt knapp 40 Mrd. Euro und an der Beschäftigtenzahl nahezu halbiert. Zugleich soll dem Schritt, für den es mit der ehemaligen Antriebssparte des Automotive-Bereichs (Vitesco Technologies) eine konzerninterne Blaupause gibt, noch ein weiterer folgen. 2026 will sich Continental auch vom Kunststoff- und Kautschuk-Bereich Contitech trennen – wahrscheinlich im Wege eines Verkaufs. Das Unternehmen, dessen Geschichte vor mehr als 150 Jahren mit Hufpuffern aus Weichgummi für Pferde begann, will sich künftig – erstmals in der Firmenhistorie – allein auf das Reifengeschäft ausrichten.
Besser eigenständig
Die Fokussierung auf den margenstärksten der bisherigen Unternehmensbereiche folgt einer in den vergangenen Jahren gewachsenen Überzeugung der Konzernspitze: Einzelne Bereiche könnten ihr volles Wertschöpfungspotenzial getrennt voneinander besser entfalten als unter einem gemeinsamen Dach. Regional schwankende Marktentwicklungen und der softwaregetriebene Technologiewandel in der Automobilindustrie erforderten künftig noch mehr Flexibilität und weitreichenden unternehmerischen Handlungsspielraum, erklärte Continental vor gut einem Jahr in der Ankündigung, die Eigenständigkeit von Automotive zu prüfen und eine Abspaltung vorzubereiten.
Das Unternehmen mit dem springenden Pferd als Markenzeichen hat wie andere Zulieferer die Absatz- und Produktionskrise der in einem säkularen Wandel steckenden Automobilbranche zu spüren bekommen. Das vor zehn Jahren angekündigte Ziel, die Umsatzerlöse bis 2020 auf Basis einer weltweit weiter steigenden Fahrzeugfertigung sowie eines stark zunehmenden Einsatzes von Elektronik und Software auf über 50 Mrd. Euro zu steigern, musste der Konzern kassieren. Stattdessen drückte vor allem der Automotive-Bereich in den vergangenen Jahren – mehrfach auch mit negativen bereinigten Umsatzrenditen – die Unternehmensergebnisse.
Druck vom Kapitalmarkt
Die im Dezember 2024 vom Vorstand beschlossene und im März dieses Jahres vom Aufsichtsrat gebilligte Abspaltung von Automotive folgt jahrelangem Druck auch aus dem Kapitalmarkt, das Geschäft aufzuspalten, um Wert zu heben. Nach Spekulationen trieb die Mitteilung des Unternehmens am 9. Januar 2018, in einem frühen Analysestadium „Szenarien durchzuspielen, um unsere Organisation noch flexibler auf die Herausforderungen der Automobilindustrie auszurichten“, den Aktienkurs von Continental auf das Allzeithoch von 257,40 Euro. Dann folgten Gewinnwarnungen und ein Kurssturz bis zum Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020, von dem sich das Papier bis heute nicht nachhaltig erholt hat.
Zuletzt lag der Börsenkurs des Dax-Gründungsmitglieds noch um mehr als 70% unter seinem Höchstwert. Immerhin: Seit dem 2. August 2024, dem letzten Handelstag vor Ankündigung der Abspaltungspläne für den Automotive-Bereich, hat Continental an der Börse um 35% auf rund 73 Euro am Dienstag dieser Woche zugelegt. Der Dax kletterte in diesem Zeitraum ebenso um gut ein Drittel, während der Branchenindex Stoxx Europe 600 Automobiles & Parts 10% einbüßte.
Auf Nummer sicher
Um Transaktionssicherheit beim Aumovio-Debüt muss sich Continental indes in Anbetracht der kriselnden Autobranche oder volatiler Kapitalmärkte nicht sorgen: Wie schon im Fall von Vitesco Technologies vor vier Jahren hängt auch die Börseneinführung des abgespaltenen Automotive-Bereichs am 18. September nicht vom Marktgeschehen ab. Continental-Aktionären wie der mit 46% beteiligten Schaeffler-Familie, die sich zum Halten der Aumovio-Anteile über einen Zeitraum von sechs Monate verpflichtet hat, wird für je zwei Continental-Aktien ein neues Aumovio-Papier ins Depot gebucht. Neue Investoren muss das Unternehmen zum Handelsauftakt in Frankfurt nicht gewinnen.
Der neue Autozulieferer, der zum Start über Barmittel von 1,5 Mrd. Euro und eine ergänzende Kreditlinie über 2,5 Mrd. Euro verfügt, demonstriert Zuversicht. Aumovio, so Vorstandschef Philipp von Hirschheydt, starte mit einer starken Position in den Wachstumssegmenten für die Mobilität der Zukunft, einer ausgezeichneten Kundenbasis und einer bereits erheblich verbesserten Profitabilität. „Wir haben eine klare Strategie für Wertsteigerung und sind gerüstet für die Herausforderungen im Markt.“
Kapitalverzinsung attraktiv
Am Aktienmarkt kursieren vor dem Spin-off derweil unterschiedliche Einschätzungen. So zeigt sich die Schweizer Großbank UBS mit einer Anfang September bestätigten Kaufempfehlung und einem 12-Monats-Kursziel von 100 Euro positiv für Continental gestimmt – wobei der faire Wert für das Unternehmen nach Ausgliederung von Aumovio mit 80 Euro angegeben wird. Verwiesen wird auf eine attraktive Verzinsung des eingesetzten Kapitals, auf branchenführende Aktionärsrenditen sowie auf erwartete Impulse in absehbarer Zeit wie eine Verbesserung der Performance im Reifengeschäft und die Veräußerung von Contitech, deren Erlös ausgeschüttet werden könnte. Continental, so UBS, verdiene verglichen mit anderen Reifenherstellern eine Bewertungsprämie. Die Bank hebt unter anderem eine höhere Kapitalrendite als bei Michelin hervor, die der Reifenbereich von Continental aufgrund einer äußerst effizienten Produktionsstruktur erreiche.
Kritischer äußert sich hingegen das Analysehaus Bernstein, das seine Anlageempfehlung zu Continental Anfang des Monats von „Market-Perform“ auf „Underperform“ bei einem Kursziel von 66 Euro herabsetzte. Sowohl für die künftige Continental (RemainCo) als auch für Aumovio sei ein Abschlag gegenüber den relevanten börsennotierten Vergleichsunternehmen aufgrund schwächerer Fundamentaldaten gerechtfertigt. Das Geschäft der „RemainCo“ komme anders als vor fünf Jahren und anders als teilweise im Markt wahrgenommen nicht mehr auf höhere Margen und Kapitalrenditen verglichen mit Michelin. Das Unternehmen werde bereits mit dem gleichen Vielfachen wie seine Reifenkonkurrenten gehandelt, es bestehe daher kaum noch Aufwärtspotenzial.
Einst Kronjuwel
Aumovio, so Bernstein weiter, sei trotz kurzfristiger Vorteile durch die jüngsten Bemühungen zur Senkung der Kosten und Investitionen weiterhin Schlusslicht in Bezug auf Marge, Wachstum und Cash-Generierung. Dem Markt werde Aumovio als schuldenfreier Automobilzulieferer präsentiert, der seine Kostenbasis stabilisieren wolle und von der Ausrichtung auf Software-dominierte Fahrzeuge (SDV) profitiere. Diese Verlagerung des Unternehmens, das einst das Kronjuwel von Continental mit schnellerem Wachstum als Autohersteller und Margen über 10% gewesen sei, von 2020 bis 2024 aber freien Cashflow von 2 Mrd. Euro verbrannt habe, zu SDVs und neuen Wettbewerbern beurteilt Bernstein skeptisch. Es gebe wenig Aussicht auf Erfolg für Aumovio als unabhängiges Unternehmen.