Der Kampf gegen die Inflation muss weitergehen
Keine Frage: Der deutliche Rückgang der Inflation im Euroraum im Mai ist eine gute Nachricht. Besonders erfreulich ist, dass sich auch der zugrunde liegende Preisdruck erstmals im aktuellen Zyklus merklich abgeschwächt hat. Genauso unstrittig ist aber: Der Kampf gegen die Inflation ist beileibe noch nicht gewonnen. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte ihre Zinserhöhungen deshalb nicht verfrüht beenden. Fast noch wichtiger aber ist, dass sie Spekulationen auf und Forderungen nach raschen Zinssenkungen widersteht.
Gegenüber dem Allzeithoch von 10,6% im Oktober ist die Inflation nun deutlich gesunken – auf jetzt 6,1% im Mai. Das ist vor allem den gesunkenen Energiepreisen zu verdanken. Aber auch die nachlassenden Störungen bei den Lieferketten und die schwächere Nachfrage tragen ihren Teil dazu bei. In den nächsten Monaten dürfte sich der disinflationäre Trend fortsetzen. Ein großer Hoffnungsschimmer ist auch der Rückgang der Kernrate (ohne Energie und Lebensmittel) von zuvor 5,6% auf 5,3%. Nach fast zwei Jahren fortgesetzter negativer Inflationsüberraschungen ist das zweifelsohne eine Erleichterung für die inflationsgeplagten Verbraucher.
Fakt ist aber auch, dass sowohl die Gesamt- als auch die Kernrate weiter meilenweit vom mittelfristigen EZB-Inflationsziel von 2,0% entfernt sind und eine Rückkehr zu selbigem zumindest auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Im Gegenteil: Das Risiko, dass sich die Inflation nachhaltig auf Niveaus merklich oberhalb von 2%, etwa 3% oder 4%, verfestigt, ist keineswegs gebannt. Vor allem ist die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale weiter virulent. Die jüngsten EZB-Umfragen zu den Inflationserwartungen geben da ebenso Anlass zur Sorge und Wachsamkeit wie die aktuellen Tarifrunden – nicht zuletzt in Deutschland.
Die EZB darf nun keine falschen Signale setzen. Der Leitzins liegt auch immer noch deutlich unterhalb der Inflationsrate – anders als etwa in den USA. Auch das zeugt von weiterem Handlungsbedarf seitens der Euro-Notenbanker. Insofern ist es gut, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde die neuen Inflationszahlen nicht gleich als Anlass zur Trendwende sieht und an der Aussicht weiterer Zinserhöhungen festhält.
Fast noch entscheidender als die Frage, ob die EZB-Leitzinsen nun noch ein-, zwei- oder dreimal um 25 Basispunkte steigen, ist indes eine klare Absage an rasche Zinssenkungen, wie sie viele Marktteilnehmer schon fordern und einpreisen. Solange die Euro-Wirtschaft nicht einbricht, sollte eine Lockerung der Geldpolitik vorerst tabu sein. Sonst droht nur eine zweite große Inflationswelle, wie in den USA in den 1970er Jahren, als die Fed voreilig einknickte.
Inflation
Der Kampf
muss weitergehen
Von Mark Schrörs
Der Rückgang der Euro-Inflation ist eine gute Nachricht. Die EZB ist aber weiter gefordert.