Notiert inMadrid

Der Kulturkampf beginnt

Die rechtsextreme Vox ist nach den spanischen Lokalwahlen vom Juni in zahlreiche Rathäuser und Regionalregierungen eingezogen als Partner der Konservativen. Nun macht sie ernst mit dem Kulturkampf gegen soziale Errungenschaften und Fahrradwege.

Der Kulturkampf beginnt

Eine riesige Werbeplane an der prominenten Kreuzung der Calle Alcalá mit der Calle de Goya im Zentrum Madrids erhitzt seit Tagen die Gemüter in Spanien, die aufgrund der hohen Temperaturen eh schon köcheln. Eine Hand wirft verschiedene Logos in einen Papierkorb: die Regenbogenfahne der LGBTI-Bewegung, das rosa Symbol des Feminismus, die Flagge der katalanischen Separatisten, Hammer und Sichel sowie das Etikett der Agenda 2030, der Fahrplan der spanischen Linksregierung zum Umweltschutz und geringeren Emissionen. Das Plakat von Vox fasst das Gedankengut und das Wahlprogramm der rechtsextremen Partei recht präzise und umfassend zusammen. Die Populisten wollen mit dem Kulturkampf gegen die Linken und progressive Bewegungen bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 23. Juli punkten. Wie ihre Sinnesgenossen in anderen Ländern setzt auch Vox hauptsächlich auf die Ablehnung in Teilen der Gesellschaft gegen bestimmte soziale Veränderungen. Bislang war das nur verbales Getöse in Auftritten in Parlamenten und Medien. Doch nun machen die Rechten Ernst. Denn nach den landesweiten Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai kommt Vox nun in dutzenden Rathäusern und einigen Regionalregierungen als Koalitionspartner der konservativen Volkspartei PP an die Macht. Die Rechtsextremisten haben es sehr eilig mit dem Kulturkampf. Quasi als erste Amtshandlung hängten einige Rathäuser die Regenbogenflagge ab. Ministerien und Ratsämter für die Gleichberechtigung wurden in Verwaltungsstellen für die Familie umbenannt. Statt der Gewalt gegen Frauen widmen sich die neuen Regierungen nun der „intrafamiliären Gewalt“.

Besonders sichtbare Veränderungen wird es demnächst in einigen mittleren Städten Spaniens geben. In Valladolid, Elche und Gijón haben die neuen Stadtoberen von PP und Vox angekündigt, den Autofahrern wieder mehr Platz und Komfort zu geben. Dafür sollen Radwege weichen, die in den vergangenen Jahren gebaut wurden. Die Niedrigemissionszonen, die von der Europäischen Union gefördert werden, sollen in diesen Städten auf „ein Minimum reduziert“ werden. Umweltschützer und die kleine, aber wachsende Gemeinde von Radfahrern schreien auf, während die linke Opposition auf den Verlust von Millionen an Euro aus den EU-Aufbaufonds verweist, welche Maßnahmen zur Treibhausgasreduzierung finanzieren.

Freuen über die neuen Machtverhältnisse vielerorts können sich derweil die Anhänger des Stierkampfes. In Gijón haben PP und Vox, frisch im Rathaus angekommen, das Verbot der linken Vorgänger gekippt. Die Rechten wollen das kriselnde Spektakel mit dem Stier, welches in letzter Zeit Zuschauer verloren hat, wieder fördern. Am besten könnte dies in der Region Valencia gelingen. Dort ist mit Vicente Barrera ein ehemaliger Torero für Vox zum stellvertretenden Ministerpräsidenten in einer von der PP geführten Koalition gekürt worden, der auch für die Kultur zuständig ist.

Vor den Lokalwahlen im Juni hatten die Konservativen noch versichert, keine Zusammenarbeit mit Vox anzustreben. Nun sind die „roten Linien“ gefallen, doch nicht überall. In der Extremadura im Westen Spaniens weigerte sich die Spitzenkandidatin der PP zunächst, mit Vox gemeinsame Sache zu machen. Sie könne nicht Leute in ihre Regierung aufnehmen, „die die Gewalt gegen Frauen leugnen, Migranten verachten oder Planen aufstellen, auf denen die LGBTI-Fahne in den Papierkorb geworfen wird“, erklärte María Guardiola. Seit diesem Auftritt muss ihr Parteivorsitzender, der Spitzenkandidat der PP Alberto Núñez Feijóo, in einem abenteuerlichen Spagat erklären, warum man in Valencia mit diesen Leuten eine Koalition eingegangen ist, in der Extramdura aber nicht – zumindest noch nicht.

Für Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez und seine Sozialisten kommen die Widersprüche der PP im Umgang mit Vox vor den Wahlen gerade recht. Das Ambiente heizt sich weiter auf. Am Wochenende beschmierten Umweltaktivisten die Werbeplane von Vox mit roter Farbe.

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Der Kulturkampf beginnt

Von Thilo Schäfer
BZ+
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