Paris

Der Nachholbedarf der Atomkraftnation

Noch hat das Atomkraftland Frankreich bei Offshore-Windparks reichlich Nachholbedarf, doch dass soll sich ändern. Präsident Emmanuel Macron will sich auch durch Widerstand nicht abschrecken lassen.

Der Nachholbedarf der Atomkraftnation

Am Horizont vor der Loire-Mündung taucht eine Silhouette auf, die auf den ersten Blick wie eine Ölplattform wirkt. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um die „Innovation“, ein Kran-Hubschiff, mit dessen Hilfe gerade im Atlantik vor Saint-Nazaire ein Windpark entsteht. „Hier spricht Patrouillenboot Furore G. Das weiße Segelboot auf Position XY, Kurs 350 Grad mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten: Sie begeben sich in ein Sperrgebiet…“, tönt es aus dem Funkgerät. Wer sich der Baustelle des Windparks als normaler Segler zu sehr nähert, wird sofort von einem Patrouillenboot zum Verlassen aufgefordert.

Das gilt natürlich nicht für Premierminister Jean Castex, der der Baustelle zusammen mit Umweltministerin Barbara Pompili am Wochenende einen Besuch abstattete. Immerhin ist der Offshore-Windpark vor Saint-Nazaire der erste in Frankreich, der Ende nächsten Jahres in Betrieb gehen soll. Dann sollen die 80 je 180 Meter hohen Windräder mit einer Leistung von insgesamt 480 Megawatt helfen, 20% des Strombedarfs des Départements Loire-Atlantique zu decken.

Noch hat das Atomkraftland bei Offshore-Windparks reichlich Nachholbedarf. So machten erneuerbare Energien 2020 gerade mal 25% der französischen Stromproduktion aus. 13% davon stammten aus Wasserkraftwerken, 8% aus Windkraftanlagen an Land und 2,5% aus Fotovoltaikanlagen. Offshore-Windkraft war dagegen bisher nicht mit dabei, während die 56 französischen Atomreaktoren den Großteil des Stroms lieferten – zu günstigen Preisen von 50 Euro je Kilowattstunde.

Um den Rückstand zu europäischen Nachbarn wie Großbritannien und Deutschland bei Offshore-Windparks aufzuholen, kündigte Castex bei seinem Besuch in Saint-Nazaire Pläne für ein weiteres Projekt für 50 Mill. Euro an. Es soll, so die Idee der Regierung, direkt neben einem bereits geplanten Windpark vor der Küste von Barfleur in der Normandie entstehen – einem von neun riesigen Offshoreparks, die ab 2023 zusammen 2,4 Gigawatt Strom produzieren sollen.

Doch die Projekte stoßen in der Bevölkerung auf Widerstand. Überall gibt es Proteste, Petitionen und Klagen. Vor allem Fischer laufen Sturm, aber auch Bürger, die kritisieren, die Landschaft werde visuell verschandelt und das lokale Ökosystem aus dem Gleichgewicht gebracht. „Ein Windpark bedeutet, dass man unseren Arbeitsraum schließt“, klagt Sylvain Gallais. Er stammt von der Insel Noirmoutier, vor deren Küste ebenfalls ein Offshorepark mit 62 Windkrafträdern geplant ist. Überall auf der Welt, wo Windparks im Meer entstanden seien, hätten Fischer den Zugang zu ihren Fanggründen verloren, sagt Gallais. Und selbst wenn er ihnen nicht verwehrt werde, „werden wir nicht hinfahren“ – das sei zu gefährlich und mache Angst.

Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron will sich jedoch durch den Widerstand nicht abschrecken lassen. Sie will bereits in den kommenden Tagen die nationale Kommission für öffentliche Debatten einschalten, eine Institution, die seit 1995 darüber wacht, dass die Öffentlichkeit bei der Ausgestaltung von Entwicklungsprojekten mit deutlichen sozioökonomischen Folgen oder Auswirkungen auf die Umwelt gebührend mit einbezogen wird. Sie will zudem im Rahmen des jetzt angekündigten neuen Windparks in der Normandie eine Beobachtungsstelle einrichten, die die Auswirkungen von Offshoreparks auf die Biodiversität untersuchen soll.

Bei seinem Besuch der Baustelle für den Windpark vor Saint-Nazaire kündigte Premierminister Castex auch sieben neue Ausschreibungen an, um die erneuerbaren Energien zu fördern. Die ersten Bewerbungsphasen sollen ab Oktober beginnen. Die Regierung will in den nächsten fünf Jahren mehr als 25 Mrd. Euro investieren, um Produktionskapazitäten von zusätzlich mehr als 25 Gigawatt zu fördern. Zwei Drittel der Investitionen sollen auf die Solarenergie entfallen, die damit den größten Teil der neuen Projekte ausmachen wird. Doch Offshore-Windparks seien die zweitwichtigste Achse des Ausbaus der erneuerbaren Energien, betonte der Premier. Der ökologische Wandel müsse beschleunigt werden, um den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorantreiben zu können.