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Der Nimbus als Erfolgsgarant ist dahin

Nestlé stand lange Zeit für starkes Wachstum. Aktionäre des weltgrößten Lebensmittelkonzerns wurden mit Dividenden, Aktienrückkäufen und einem langfristigen Aufwärtstrend an der Börse verwöhnt. Zumindest die Gewissheit perspektivisch steigender Kurse ist dahin. Dafür hat das Unternehmen an zu vielen Stellen Probleme.

Der Nimbus als Erfolgsgarant ist dahin

Im Blickfeld

Nestlés Nimbus als Erfolgsgarant ist dahin

Nestlé stand lange Zeit für starkes Wachstum. Aktionäre des Lebensmittelriesen wurden mit Dividenden, Aktienrückkäufen und einem langfristigen Aufwärtstrend an der Börse verwöhnt. Zumindest mit Letzterem scheint es nun vorbei zu sein.

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

Nestlé hat seinen Nimbus als profitable Wachstumsmaschine verloren. Die hartnäckige Absatzschwäche, stark steigende Kosten – etwa für die wichtigen Agrarrohstoffe Kaffee und Kakao –, weitgehend ausgereizte Preissteigerungspotenziale sowie ein unerwartet deutlicher Umsatzrückgang in China im ersten Halbjahr und Probleme in der Sparte Health Science ergeben eine Gemengelage, die den Kurs des Blue Chips aus der Schweiz auf den tiefsten Stand seit achteinhalb Jahren gedrückt hat.

Auch bei Analysten, für die Nestlé ein ewiger Anlageliebling zu sein schien, ist der Wert in Ungnade gefallen. Das von Bloomberg ermittelte Konsensrating aus 25 Empfehlungen liegt bei 3,76; übersetzt ist das eine Bewertung, die zwischen „Neutral“ und „Kaufen“ liegt. Das mag auf den ersten Blick noch akzeptabel erscheinen, ist aber im langfristigen Rückblick, als das Anlageurteil stets zwischen „Kaufen“ und „Sofort Kaufen“ (Werte zwischen 4 und 5) lag, ein heftiger Rückschlag. Auch das durchschnittliche Kursziel von 86,80 sfr ist weit von früheren Marken entfernt, obgleich es eine Aufwärtschance von knapp 20% birgt. Insofern sind die Konsenserwartungen an Umsatz und Gewinn je Aktie, die für nächstes Jahr eine kräftige Erholung implizieren, mit Vorsicht zu genießen. Hatte Nestlé in früheren Jahren die Marktschätzungen stets über- oder zumindest getroffen, so sind Enttäuschungen inzwischen zum Normalfall geworden.

Aktionäre verwöhnt

Jahrzehntelang hat der weltgrößte Lebensmittelkonzern seine Aktionäre mit stetig steigenden Dividenden, Aktienrückkäufen und einem langfristigen Aufwärtstrend an der Börse verwöhnt. Daher investierten unzählige Versicherungen, Bausparkassen, Pensionsfonds und natürlich Kapitalverwaltungsgesellschaften in die Nestlé-Aktie. Nach Daten von Bloomberg halten derzeit UBS (5,64%) sowie die Vermögensverwalter Vanguard (4,54%) und Blackrock (3,09%) die größten Anteile an dem in der Schweiz ansässigen Unternehmen.

Ernüchtert müssen die institutionellen Investoren nun feststellen, dass die Absatzschwäche – einer der Gründe für den Rauswurf von Konzernchef Mark Schneider im vorigen Sommer – auch unter dem neuen CEO Laurent Freixe anhält. Schlimmer noch: Es haben sich neue Problemfelder aufgetan. Auch wenn nach dem jüngsten Kursrutsch Erholungspotenzial besteht – die Gewissheit perspektivisch steigender Kurse ist dahin.

Laurent Freixe, seit September 2024 CEO von Nestlé.
Foto: Nestlé

Der Franzose Freixe löste Anfang September 2024 Schneider ab. Der Deutsch-Amerikaner hatte in seiner Zeit bei Nestlé (Januar 2017 bis August 2024) den Fokus noch stärker als seine Vorgänger auf wachstumsstarke Sparten wie Kaffee, Gesundheitsprodukte und Tierfutter gelegt und junge Unternehmen ins Portfolio geholt, deren Produkte gerade en vogue oder vielversprechend waren. Dafür war er bereit, hohe Multiples zu zahlen – trotz des Risikos, dass diese Produkte in naher Zukunft nicht mehr angesagt sein könnten oder sich als untauglich für den Massenmarkt erweisen würden.

Wie sich zeigte, war der Konzern mit den zahlreichen Akquisitionen und Umstrukturierungen überfordert. So wurde die IT-Integration von zugekauften Unternehmen in die Sparte Health Science verpatzt, was zu Lieferschwierigkeiten führte. Darüber vernachlässigte Schneider die vielen Kernmarken des Konzerns, was zum Verlust von Anteilen auf wichtigen Märkten führte – so zumindest ein verbreiteter Vorwurf.

Mark Schneider, von Januar 2017 bis August 2024 CEO von Nestlé.
Foto: Nestlé (Archiv)

Für das generell veränderte Einkaufsverhalten der Verbraucher war Schneider allerdings nicht verantwortlich. Dies spürt nun auch sein Nachfolger Freixe, der sich schon bei seinem Amtsantritt als eine Art Gegenentwurf zu Schneider präsentierte: Er wolle den Fokus wieder stärker auf die Kernmarken von Nestlé lenken, hieß es. Außer der ein oder anderen Produktvariante von Nescafé oder Maggi ist dabei aber bislang nicht viel herausgekommen.

In den ersten fünf seiner knapp acht Jahre als CEO von Nestlé war Schneiders Strategie im Markt noch goutiert worden, hatte er dem scheinbar träge gewordenen Unternehmen doch wieder Leben eingehaucht. Dies wurde an der Börse goutiert: Von Anfang 2017 bis Ende 2021 kletterte der Kurs an der Schweizer Börse um 76% auf das Rekordhoch von rund 130 sfr. Unstimmigkeiten im Board über Schneiders Vorliebe für stark wachsende, aber kleine Marken und seine angeblich mangelnde Nähe zum Konsumenten einerseits und den Nestlé-Mitarbeitern andererseits wurden unter den Tisch gekehrt. Dann jedoch schwand der Glaube an den Heilsbringer.

Paul Bulcke, seit 2017 Verwaltungsratspräsident (Chairman) von Nestlé, zuvor von 2008 bis 2016 CEO von Nestlé.
Foto: Nestlé

Als nach einem Kursrutsch von 31% in gut zweieinhalb Jahren bei einem sonst wenig volatilen Standardwert wie Nestlé die großen Anteilseigner aufbegehrten, hatte Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke keine Wahl mehr. Es war der Belgier gewesen, der Schneider als erst zweiten Konzernchef, der nicht aus dem Personalreservoir von Nestlé kam, nach Vevey geholt hatte. Sonst hätte Bulcke wohl schon früher die Reißleine gezogen. Der ob seines Zögerns angeschlagene Chairman, der Vorgänger Schneiders als CEO war, hat inzwischen angekündigt, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen.

Schock statt Befreiungsschlag

Die Anleger reagierten auf die Ablösung von Schneider durch Freixe zunächst geschockt. Auch wenn Schneider seinen Ruf als Erfolgsgarant längst eingebüßt hatte, so kam die Freistellung doch überraschend. Unter Investoren kam daraufhin der Verdacht auf, die Lage sei noch wesentlich schlimmer als befürchtet, sonst hätte der Verwaltungsrat nicht zu einer solch drastischen Maßnahme wie dem Rauswurf des CEO gegriffen. Die Folge war, dass der Kurs von Nestlé noch weiter abrutschte. Bis zur Mitteilung über Schneiders Rauswurf am 22. August 2024 war der Nestlé-Kurs auf auf knapp 90 sfr gesunken. Im Januar dieses Jahres wurde mit 72,82 sfr der bis dahin tiefste Stand seit Februar 2017 erreicht. Dann jedoch setzte eine kräftige Erholung ein, die die Notierung in nur zwei Monaten um ein Viertel bis auf fast 92 sfr trieb.

Die zwei Hauptgründe: Zum einen waren Anleger zu der Überzeugung gelangt, dass der vorherige Kursrutsch übertrieben war, denn schließlich war Nestlé zwar wachstumsschwach geworden, aber immer noch grundsolide und hochprofitabel. Zum anderen waren es verspätete Vorschusslorbeeren für Freixe. Das Nestlé-Urgestein ist seit 1986 für das Unternehmen tätig und war in dieser Zeit u.a. CEO von drei Regionen (Europa, Amerika, Lateinamerika). Dem Manager, der Erfahrung auf mehreren Kontinenten gesammelt hatte, dessen Aufmerksamkeit sich viel stärker als die Schneiders auf die Konsumenten und die traditionellen Marken des Konzerns richtete und der eine Hausmacht hinter sich wusste, traute man zu, das Ruder herumzureißen und Nestlé wieder zu einem Konzern zu machen, dessen Wachstum sich über die Zeit gleichermaßen aus Preiserhöhungen und steigender Verkaufsmenge speist.

Diese Hoffnung erhielt mit Bekanntgabe der Halbjahreszahlen in der vorigen Woche einen schweren Dämpfer. Die verkaufte Menge ging im zweiten Quartal sogar leicht zurück statt – wie im Markt erhofft – zuzunehmen, und auf dem wichtigen chinesischen Markt kam es zu einer Umsatzeinbuße. Der Verdacht erhärtet sich, dass hinter den von Freixe häufig genutzten Schlagworten „Virtuous Circle“ und „Big Bets“ sich nicht viel mehr als heiße Luft verbirgt.

Tiefster Kurs seit Anfang 2017

Der Kurs der Nestlé-Aktie rutschte vergangenen Freitag auf 72,32 sfr – das war der tiefste Stand seit achteinhalb Jahren. Mit 184 Mrd. sfr (197 Mrd. Euro) Marktkapitalisierung ist das einst am höchsten bewertete Unternehmen Europas zwar immer noch ein Schwergewicht, rangiert aber inzwischen deutlich hinter anderen Blue Chips wie SAP (286 Mrd. Euro).

Noch ist es zu früh, um von einem Scheitern Freixes zu sprechen. Gerade bei einem Supertanker wie Nestlé mit einem Jahresumsatz von zuletzt 91,4 Mrd. sfr (97,8 Mrd. Euro), rund 270.000 Mitarbeitern in 185 Ländern und zahllosen operativen Einheiten dauert es, bis Veränderungen am Steuer Wirkung zeigen – auch wenn es bislang eher um Feintuning ging als um radikale Richtungsänderungen. Aber die zwei Grundprobleme von Nestlé hinsichtlich der Misere beim Verkaufsvolumen sind, dass zum einen Märkte irgendwann gesättigt sind und es nicht mehr um das Wachstum des Gesamtmarktes, sondern in erster Linie um Verteilungskämpfe geht. Eine Wahrheit, die Manager generell und auch einige Ökonomen nicht auszusprechen wagen.

Zum anderen sind die Kundenwünsche fragmentierter denn je; sie unterscheiden sich nicht mehr nur nach Regionen, sondern auch innerhalb von Gesellschaften stark. Für einen global agierenden Konzern, der unter Freixe wieder deutlich stärker aus der Schweizer Zentrale heraus gelenkt wird als unter Schneider, der die Dezentralisierung vorangetrieben und den Regionalchefs mehr Autonomie zugestanden hatte, ist das ein großes Problem. Wie wollen Manager am Genfer See wissen, mit welchen Strategien und Produkten der Konzern in Chile oder Indonesien wachsen kann?

Qualität billigerer Konkurrenzprodukte hat sich verbessert

Ein weiterer Kampf, den Nestlé ausfechten muss: Die mögliche Substitution eigener Produkte durch die günstigerer Anbieter. Die heutige Elterngeneration und erst recht die älteren Semester haben noch Sätze aus ihrer Jugend in den Ohren, wie „Wenn Du was Gescheites willst, nimm nicht das Billigste“, „Bei (Markenname) kannst Du sicher sein, dass Du was Anständiges für Dein Geld kriegst“ oder einfach „Billig ist teuer“. Diese Warnungen vor No-Name- und Handelsmarken oder gar vor Produkten aus Fernost hatten auch lange Zeit ihre Berechtigung. Doch das ist Vergangenheit. In den Lebensmittelsortimenten, in denen Nestlé vertreten ist, hat sich über die Jahre vieles geändert. Die Angebotspalette ist in praktisch jedem Bereich viel umfangreicher geworden, und die sogenannten Billigprodukte sind in vielen Fällen qualitativ kaum noch von den deutlich teureren Markenartikeln zu unterscheiden.

Mit Preiserhöhungen verprellt

Das große Plus von Nestlé sind ihre vielen bekannten Marken; insgesamt sind es mehr als 2.000. Dazu zählen Kaffee- und Kakaogetränke wie Nescafé, Nespresso und Nesquik, Produkte für die Küche von Maggi, Thomy und Buitoni, Schokoriegel wie Nuts, Lion und Kitkat (außerhalb der USA), Wassermarken wie Vittel, Perrier und San Pellegrino oder Tiernahrung unter dem Label Purina. Ein gutes Dutzend der Nestlé-Marken bringen jedes Jahr allein Milliardenumsätze. Diesen Marken bleiben Verbraucher in aller Regel treu, sogar in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, da der Einzelpreis überschaubar bleibt – es sei denn, die Preisschraube wird überdreht. Diese Gefahr ist bei vielen Nestlé-Produkten inzwischen enorm hoch.

Dass der Konzern überhaupt noch wächst, liegt seit Jahren fast ausschließlich an Preiserhöhungen, kaum noch an der Zunahme der verkauften Menge. Jede weitere Preisrunde bei Kitkat oder Nescafé könnte Konsumenten dazu bringen, auf Konkurrenzprodukte auszuweichen. Wenn dann erst einmal festgestellt wird, dass Produkte von Knorr (Unilever), Jacobs-Kaffee (JDE Peet's), Kaba (Krüger-Gruppe), Toblerone (Mondelēz) oder Volvic (Danone) bzw. halb so teure Handelsware vielleicht genauso gut schmecken, ist der Kunde für immer verloren.

Umsatzrückgang in China

In China, schon aufgrund seiner Bevölkerungszahl von 1,4 Milliarden der weltgrößte Markt – wenn auch nicht für Nestlé; hier liegen die USA weit vorne –, hatten ausländische Lebensmittelanbieter noch nie leichtes Spiel. Seit die Regierung in Peking aber über alle Branchen hinweg inländische Angebote pusht, ist es für Unternehmen aus dem Ausland noch bedeutend schwieriger geworden. So berichtete Nestlé von einem Rückgang des Umsatzes aus eigener Kraft in „Greater China“ von 4,2% im ersten Halbjahr, der das organische Wachstum der Gruppe im zweiten Quartal um 70 Basispunkte und die Veränderungsrate der verkauften Menge gewichtet nach Preis („internes Realwachstum“, RIG) um 40 BP gedrückt habe.

Das organische Konzernwachstum hätte also bei einer Stagnation von Nestlé auf dem chinesischen Markt nicht 3,0%, sondern 3,7% betragen, und das RIG wäre wenigstens unverändert geblieben, statt um 0,4% zu sinken. Allein diese Unterschiede hätten bereits zu einer anderen Bewertung der Konzernzahlen durch Marktakteure geführt.

Freixe hat bereits das lokale Management für China ausgewechselt. Zudem kündigte er an: „Wir ergreifen entscheidende Maßnahmen, um unser Geschäft in Greater China zu stärken.“ Allerdings geht man bei Nestlé davon aus, dass es bis zu einem Jahr dauern wird, um zu nachhaltigem Wachstum zurückzukehren. Selbst diese Einschätzung könnte zu optimistisch sein, denn mehr Werbung, Produktinnovationen oder ein Ausbau des Vertriebsnetzes nach westlichem Zuschnitt haben in einer Autokratie gegen staatliche Ziele und Vorgaben keine Chance.

Ausgleich zwischen den Regionen funktioniert nicht mehr

Überhaupt funktioniert der regionale Ausgleich bei Nestlé nicht mehr so wie früher, obwohl die Produkte überall auf der Welt verkauft werden. Der Konzern unterscheidet zwischen Industrieländern und aufstrebenden Märkten. Ist das Wachstum in den Industrieländern schon vor vielen Jahren auf Niveaus zurückgekommen, die in der Regel auf oder leicht über dem Wachstum des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes lagen, so nahmen die Umsätze in den aufstrebenden Märkten bis vor kurzem noch prozentual im hohen einstelligen oder sogar zweistelligen Bereich zu. Doch auch damit scheint es nun vorbei zu sein.

Für die aufstrebenden Märkte gibt Nestlé im ersten Halbjahr das organische Wachstum – also der Umsatzzuwachs bereinigt um Wechselkurseffekte sowie Zu- und Verkäufe von Unternehmensteilen – mit 4,5% an. Das Management müsste vor allem beunruhigen, dass die Preiserhöhungen von 5,6% mit einem Rückgang der verkauften Menge um 1,1% erkauft wurden. Einfach ausgedrückt: Selbst in diesen Regionen achten die Verbraucher inzwischen auf den Preis und verzichten auf den Erwerb, wenn die Ware aus ihrer Sicht zu teuer geworden ist. Diese starke Preiselastizität kannte man bisher vor allem aus den Industrieländern, wo den Angaben zufolge das Wachstum aus eigener Kraft im ersten Halbjahr bei 1,8% lag.

Halbherziger und teilweise gescheiterter Portfolioumbau

Unzufrieden ist die Nestlé-Führung mit dem Segment Health Science. Freixe stellt das schwächelnde Geschäft mit günstigeren Vitaminen, Mineralstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln auf den Prüfstand; Schneider hatte diesen Bereich mit Milliardenübernahmen gestärkt, von denen sich einige als Fehlinvestments herausstellten. Die vor allem in den USA vertriebenen, relativ billigen Produkte mit einem Umsatz von rund 1 Mrd. sfr könnten verkauft werden, heißt es nun.

Am restlichen Health-Science-Geschäft mit medizinischer Ernährung und Nahrungsergänzungsmitteln soll aber festgehalten werden. Insgesamt setzte Nestlé Health Science im ersten Halbjahr 3,2 Mrd. sfr um. Themen wie gesundes Altern, Gewichtsmanagement oder Frauengesundheit böten enorme Möglichkeiten, so Freixe.

Eines kann man Nestlé nicht vorwerfen: Dass der Trend zu gesünderen Lebensmitteln bzw. vegetarischem oder veganem Essen verschlafen wurde. Schon in den 2000er Jahren leitete der damalige CEO Peter Brabeck-Letmathe die Wende zu gesünderen Produktangeboten ein – weg von Süßigkeiten, hin zu Lebensmitteln mit Zusatznutzen für die Gesundheit. Allerdings kann man sich über die Konsequenz der Umsetzung in den vergangenen 20 Jahren und den Erfolg streiten. Zwar hat Nestlé u.a. das Süßwarengeschäft in den USA 2018 für 2,8 Mrd. Dollar an den italienischen Familienkonzern Ferrero verkauft und unter CEO Schneider mit Garden Gourmet eine Marke geschaffen, die sich auf die Herstellung von veganen und vegetarischen Produkten spezialisiert hat. Doch auch wenn viel von fleischlosem Essen die Rede ist – nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage ernähren sich zum Beispiel in Deutschland nur 12% fleischlos (9% vegetarisch, 3% vegan). Allzu viel Umsatz ist damit also nicht zu machen, zumal gerade diese Verbrauchergruppe Großkonzernen und ihren Produkten gegenüber eher negativ eingestellt ist und die Preise für Fleischersatzprodukte gesalzen sind. Die bekannt gewordenen Umsätze mit Garden-Gourmet-Produkten bleiben bisher weit hinter früheren Erwartungen zurück.

Im Nestlé-Konzern, bei Aktionären, Analysten und übrigen Konzernbeobachtern ist ein Umdenken notwendig. Organisches Wachstum im mittleren einstelligen Bereich ist passé. Organisches Wachstum bis 2% pro Jahr ist bereits ein Erfolg, mehr wäre ein Bonus. Und steigen die Kosten für Rohwaren, Energie oder Personal weiter, werden die Margen erodieren, denn weitere Preissteigerungen verbieten sich, da die Konsumenten sonst zu Produkten anderer Anbieter greifen. Das sind aus Sicht von Nestlé keine schönen Aussichten.