Kommentar Privatfernsehen

Der Vorstandschef von ProSiebenSat.1 pfeift im Walde

Bert Habets, der Vorstandsvorsitzende von ProSiebenSat.1, hat seine Jahresziele eng mit den Prognosen von Wirtschaftsforschern verknüpft. Doch die Institute sind jetzt viel pessimistischer.

Der Vorstandschef von ProSiebenSat.1 pfeift im Walde

ProSiebenSat.1

Das Pfeifen
im Walde

Von Joachim Herr

Es sieht trübe aus für die deutsche Konjunktur in diesem Jahr. Eine ganze Reihe renommierter Wirtschaftsforschungsinstitute hierzulande senkte in diesen Tagen ihre Prognosen und rechnet nun mit einem schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt. Aus der erhofften Erholung in der aktuellen Jahreshälfte wird wohl nichts. Das trifft viele Branchen. Als Frühzykliker bekommen es die privaten Fernsehsender rasch zu spüren, da das klassische TV-Werbegeschäft an den Auf- und Abschwung der Wirtschaft gekoppelt ist. Und weil dieses Geschäft sehr profitabel ist.

ProSiebenSat.1 und RTL müssen seit langem mit dieser Abhängigkeit klarkommen und versuchen sie zu reduzieren, indem zum Beispiel die digitale Werbung und das Streaminggeschäft ausgebaut werden. Das Besondere in diesem Jahr ist, dass der Vorstandsvorsitzende Bert Habets, seit zehn Monaten auf diesem Posten, die Prognose von ProSiebenSat.1 eng mit den Vorhersagen der Wirtschaftsforscher verknüpft hat. Sein Prinzip Hoffnung schlägt die Daten: Von Januar bis Juni halbierte sich das Ergebnis des Unternehmens – vor allem, weil der deutsche TV-Werbemarkt weiter geschrumpft ist. Im Vergleich mit den ersten sechs Monaten 2019 verlor er ein Viertel an Volumen. Als Habets Anfang August die Ziele für 2023 dennoch bestätigte, wirkte es wie das Pfeifen im Walde.

RTL ist vorsichtiger

Ifo, IWH & Co. stimmen nun eine düstere Melodie an. Es ist sehr zweifelhaft, dass ProSiebenSat.1 die Jahresziele erreichen kann – ohne Rückenwind von der Konsumlaune und ohne mehr Zuversicht der Werbekunden. Der Vorstand von RTL jedenfalls senkte schon vor einem Monat die Geschäftsprognose für 2023. Aktienanalysten halten seine Annahmen für plausibler: RTL unterstellt ein Wachstum des deutschen TV-Werbemarkts von 0 bis 2% im zweiten Halbjahr, ProSiebenSat.1 dagegen von etwa 5%. Ein kleines Plus wäre ohnehin nur einem Basiseffekt zu verdanken, da das vierte Quartal des Vorjahres wegen der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar besonders schwach war. ARD und ZDF hatten die Spiele im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt.

Für die Aktionäre von ProSiebenSat.1 stellt sich die Frage, ob ein Verfehlen der Jahresziele schon im Aktienkurs eingepreist ist. Seit der Bestätigung der Prognose vor gut einem Monat hat er sich um mehr als ein Fünftel verringert. Offen ist, wann sich Konjunktur und Werbegeschäft erholen. Wenn sich Habets weiter auf die Wirtschaftsforscher verlässt, kann er erst einmal nur wenig erwarten: Die Institute sind jetzt auch für das kommende Jahr pessimistischer und rechnen mit einem Wachstum von nur noch 0,9 bis 1,4%.

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