Deregulierung führt US-Finanzmarkt in ein Flammenmeer
Deregulierung führt US-Finanzmarkt in ein Flammenmeer
US-Börsen
Flammenmeer an der Nasdaq
Von Alex Wehnert
Probleme mit
Klein-IPOs in
New York zeigen die Risiken des breiten
Deregulierungstrends an Amerikas Finanzmarkt deutlich auf.
Die Crashes zahlreicher Kleinwerte an der Nasdaq sollten Amerikas deregulierungswütigen Marktaufsehern eine Warnung sein. Seit 2023 war die Börse Gastgeber von mehr als 230 Public Offerings mit Einzelvolumen von weniger als 15 Mill. Dollar. An der New York Stock Exchange kam es im gleichen Zeitraum zu lediglich 33 Auftritten dieser Größe.
Doch zahlen Investoren die Rechnung für die allzu offene Willkommenskultur, durch die der Tech-fokussierte Marktbetreiber seine Führungsrolle bei IPOs erkauft: 2024 stürzten mehr als die Hälfte der Small-Cap-Debütanten am Times Square um über 35% ab. Immer häufiger muss die SEC einschreiten und den Handel stoppen – allein zwölfmal in den vergangenen 18 Monaten. Dabei ging es um mögliche Marktmanipulationen.
Aufseher im seltsamen Zwiespalt
Der Regulator hat sich in einen seltsamen Zwiespalt manövriert. Einerseits kann er schon aus politischen Erwägungen nicht den Eindruck zulassen, dass amerikanische Investoren regelmäßig bei US-Börsengängen von Gesellschaften aus Festland-China, Hongkong und Singapur – die eine große Kleinemittenten-Gruppe an der Nasdaq bilden – über den Tisch gezogen werden.
Andererseits will die SEC unter ihrem von US-Präsident Donald Trump ernannten Chairman Paul Atkins den öffentlichen Kapitalmarkt für Emittenten attraktiver machen und sich damit gegen einen langfristigen Trend stemmen. Seit 1997 hat sich die Zahl der börsennotierten Unternehmen auf rund 4.300 fast halbiert. Gleichzeitig sind die für gewöhnliche Investoren schwer einsehbaren Private Markets rasant gewachsen.
Für die Börsenaufsicht bedeutet mehr Attraktivität aber vor allem einen Abbau von Regularien. So hat sich Atkins für eine Abschaffung der vierteljährlichen Berichtspflichten für Unternehmen ausgesprochen und will einen entsprechenden Vorstoß Trumps beschleunigt umsetzen. Für sich genommen nimmt sich die anvisierte Reporting-Umstellung nicht unvernünftig aus. Schließlich ließe sich so der kurzfristige öffentliche Druck auf Management-Teams reduzieren, Unternehmen erhielten in der Theorie Spielraum für langfristigere Planungen. Großes Problem ist nur, dass das SEC-Projekt in Zeitraum massiv abnehmender Transparenz des gesamten amerikanischen Finanzmarkts kommt.
Regulator übervorteilt Minderheitsaktionäre
Eine der Hauptursachen dafür ist, dass sich Assetmanager und Banken im rücksichtslosen Streben nach Renditen zunehmend auf undurchsichtige Private-Markets-Strukturen gestürzt haben. Doch auch im öffentlichen Kapitalmarkt entziehen Regulatoren Aktionären wichtige Kompetenzen. So hat die SEC durch die Freigabe eines neuen Stimmrechtssystems bei ExxonMobil einen Präzedenzfall geschaffen, der es Konzernen künftig ermöglicht, ihre Minderheitseigner massiv zu übervorteilen.
Zudem hat Atkins die seit Jahrzehnten etablierte Praxis kassiert, Unternehmen den Zugang zum öffentlichen Kapitalmarkt zu versperren, wenn diese Sammelklagen durch Aktionäre verhindern. Nach der neuen Regelung können börsennotierte Gesellschaften missgestimmte Anteilseigner also in Schiedsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwingen und so viel negative Publicity vermeiden.
Die auch regulatorisch verursachte mangelhafte Kontrolle schadet dem Finanzmarkt. Aufseher um die SEC und die Finra, des Selbstregulierungsorgan der Wertpapierhändler, können noch so viele Task-Forces lancieren, um grenzüberschreitenden Betrug oder Underwriting-Praktiken bei Small-Cap-IPOs zu untersuchen. Bleiben fundamentale Transparenzprobleme, steuert der Markt in ein Flammenmeer, in dem sich auch Profi-Händler schwere Verbrennungen zuziehen werden. Ein erster Schritt, dies zu verhindern, ist es, die Börsen wieder stärker an die Kandare zu nehmen – allen voran die Nasdaq. Denn diese ist nicht zum ersten Mal zur Gefährderin der Marktstabilität geworden.
Unverantwortlicher Torwächter
So kritisierten Investorenschützer die Börse heftig, nachdem die Zahl der am Times Square gelisteten Penny Stocks zwischen 2021 und 2023 explodiert war. Mit dem Nasdaq-Listing wurden viele Werte, die zu Kursniveaus von unter 1 Dollar notieren und eigentlich in den Over-the-Counter-Markt gehören, zum Handel über führende Broker und damit nahezu uneingeschränkt für Privatanleger verfügbar.
Ausgerechnet die über Jahre bei Sustainability-Richtlinien besonders eifrige Börse ließ in ihren Regularien zu viele Grauzonen, die es im Spac-Boom 2021 an den Markt gespülten Emittenten ermöglichten, ein Zwangs-Delisting zu verhindern. Damals wie heute zieht sich die Nasdaq auf ihre Verpflichtung zurück, einen „fairen“ Marktzugang zu ermöglichen. Mit dieser Haltung wird sie ihrer Rolle als Torwächter für den öffentlichen Kapitalmarkt aber nicht gerecht. Die Börse braucht dringend härtere Listing-Standards – und der Regulator muss sie dazu zwingen, diese auch konsequent durchzusetzen. Sonst droht der Großbrand.
