Staatsschulden

Deutschland hat kein Schuldenproblem

10 Bill. Euro! Um diese enorme Summe – immerhin rund dreimal das deutsche Bruttoinlandsprodukt – sind die globalen Staatsschulden im Krisenjahr 2020 angewachsen. Das hat das Institute of International Finance errechnet. Auch in Deutschland lag die...

Deutschland hat kein Schuldenproblem

10 Bill. Euro! Um diese enorme Summe – immerhin rund dreimal das deutsche Bruttoinlandsprodukt – sind die globalen Staatsschulden im Krisenjahr 2020 angewachsen. Das hat das Institute of International Finance errechnet. Auch in Deutschland lag die Nettokreditaufnahme mit über 130 Mrd. Euro auf Rekordniveau. Über diese Art der Finanzpolitik in der Krise wird zu Recht kaum gestritten. Um die beste Fiskalpolitik nach dem Ende der Corona-Pandemie wird es dagegen noch Diskussionen geben. Es hilft, dabei zu wissen, dass wir kein Schuldenproblem haben.

Kontrollierte Verhältnisse

Die deutsche Staatsschuldenquote ist zuletzt kräftig von rund 60% zum Jahresende 2019 auf nunmehr knapp 70% gestiegen, wie Eurostat berichtet. Das liegt aber nicht nur an den stark gewachsenen Verbindlichkeiten, sondern eben auch am geschrumpften Bruttoinlandsprodukt. Zieht das Wachstum wieder an wie jetzt, verbessert sich die Quote rasch. Gleiches gilt, wenn die Inflation steigt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass wir den Schuldenstand der Eurokrise von fast 83% pandemiebedingt überhaupt noch erreichen werden.

Eine ähnlich beruhigende Botschaft liefert die Analyse weiterer Kennzahlen. So sinken die Staatsschulden im Verhältnis zum privaten Vermögen voraussichtlich sogar während der Pandemie weiter. Zudem sind die staatlichen Zinsausgaben in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um etwa 80% auf rund ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung zurückgegangen. Entsprechend klein ist ihr Anteil an den Steuereinnahmen.

Keine Überforderung

Weil die Staaten die niedrigen Zinsen genutzt haben, um sich längerfristiger zu verschulden, dürfte die Zinslast über Jahre niedrig bleiben. Da jährlich nur ein kleiner Teil der Schulden refinanziert werden muss, wird es selbst nach einem signifikanten Zinsanstieg – welcher momentan nicht abzusehen ist – einige Jahre dauern, bis sich die Zinslast merklich erhöht. Auf mittlere Frist wird eher das Gegenteil der Fall sein. Höher verzinste Anleihen aus der Vergangenheit laufen aus und werden durch solche mit günstigeren Konditionen ersetzt. So wird auch der zukünftige Steuerzahler nicht überfordert.

Selbst im unwahrscheinlichen Fall eines deutlichen Zinsanstiegs dürften Deutschlands Schulden nicht signifikant anwachsen. In einem einfachen Modell haben wir berechnet, dass die Staatsschuldenquote erst ab einer nominalen Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe von 3,5% leicht zulegen würde. Aktuell steht sie bei rund –0,2%. Dieser erhebliche Puffer ist im Übrigen auch der Grund, weshalb die Kapitalmarkt­implikationen der Rekordneuverschuldung überschaubar sind. Rating und Ausblick sind und bleiben makellos. Die Nachfrage nach Bundesanleihen nach Abzug der Käufe durch die Europäische Zentralbank übersteigt auf absehbare Zeit das Angebot und hält die Renditen grundsätzlich niedrig.

Netto selbst finanziert

Die Neuverschuldung in der Pandemie war richtig, um Gesundheitsausgaben zu finanzieren und sprunghaft gestiegene Ersparnisse als Einkommenshilfen zurück in den Wirtschaftskreislauf zu leiten. Das hat unzähligen Haushalten ein Arbeitseinkommen gesichert. Unternehmen hat es davor bewahrt, Produktionskapazitäten dauerhaft stillzulegen und vom Markt zu verschwinden. Dank seines Leistungsbilanzüberschusses hat Deutschland sich dabei netto selbst finanziert.

Die Schuldentragfähigkeit ist damit auch in den kommenden Jahren gesichert. Wir können die Krisenpolitik geordnet auslaufen lassen. Bleibt die Frage nach der Generationengerechtigkeit. Ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Staatsschulden dient der heutigen Generation als Vehikel, um einen Teil ihres Konsums in das Rentenalter zu verschieben. Die nächste Generation soll und kann diese Güter und Dienstleistungen bereitstellen, wenn das Geld heute in den Kapitalstock und die Bildungsanforderungen von morgen investiert wird. Hier treffen sich die Interessen beider Generationen. Darum geht es bei der Diskussion um die Fiskalpolitik nach der Corona-Pandemie.

Verwendung entscheidend

Wir wissen, was es braucht, um neue Schulden ertragreich einzusetzen. Das europaweite und auf mehrere Jahre angelegte Programm „Next Generation EU“ hat das klare Ziel, Wirtschaft und Gesellschaft in Europa zukunftsfähiger, nachhaltiger und krisenfester zu machen. Forschung und Innovation, Digitalisierung und Klimaschutz stehen zu Recht im Mittelpunkt. Gelingt es, mit den richtigen schuldenfinanzierten Maßnahmen das Wachstum auf einen dauerhaft höheren Pfad zu heben, werden diese „guten“ Schulden langfristig die finanzielle Situation der Staaten sogar verbessern. Die Finanzmärkte können sich ein solches Wachstumsszenario jetzt endlich vorstellen. Deshalb lassen die Renditen ihre absoluten Tiefs hinter sich, nicht wegen gestiegener Risiken.

Fehler nicht wiederholen

Nur dürfen die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Fehler eins: zu viel Staatskonsum. Fehler zwei: öffentliche Investitionen zu wenig nach ihrem volkswirtschaftlichen Ertrag zu beurteilen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen in die richtige Richtung. Damit könnte die Coronakrise, mit einigen Jahren Abstand, auch als Startschuss für die direkte Förderung von Zukunftsthemen im Gedächtnis bleiben – und eben nicht als Sinnbild für explodierende Schulden.

Dr. Jörg Zeuner ist Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs „Research & Investment Strategy“ bei Union Investment.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.