Deutschland wiederholt den Generika-Fehler
Deutschland wiederholt den Generika-Fehler
Deutschland wiederholt den Generika-Fehler
Günstige Nachahmer-Medikamente machen den Löwenanteil in Deutschlands Arzneiversorgung aus. Doch der Kostendruck im Gesundheitssystem hat das Land – und ganz Europa – in eine riskante Abhängigkeit von China geführt. Nun dürfte sich dasselbe bei Biosimilars wiederholen, fürchten die Hersteller.
Von Karolin Rothbart
Ein Fehler, den man mehr als einmal begeht, ist eine Entscheidung. Der Spruch, der dem Autor des Bestsellers „Der Alchimist“, Paulo Coelho, zugeschrieben wird, lässt sich auch auf deutsche Regeln zur Arzneivergabe übertragen. Denn mit einem jüngst gefassten Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – dem obersten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen – wird nach Ansicht der hiesigen Pharmabranche ein Fehler wiederholt, zu dem es in der Vergangenheit schon einmal gekommen ist: Ein erzwungener Preisdruck, der langfristig zu riskanten Abhängigkeiten und schlimmstenfalls zu Engpässen in der Medikamentenversorgung führt.
Dazu kam es bereits bei sogenannten Generika. Das sind günstige Nachahmerprodukte von chemisch hergestellten Arzneien, die aus der heutigen Gesundheitsversorgung nicht wegzudenken sind. In Deutschland decken sie knapp 80% des Heilmittelbedarfs. Weil aber die Preise in der Vergangenheit stark nach unten reguliert wurden, haben sich immer mehr Hersteller aus der heimischen Produktion zurückgezogen. Stattdessen übernahmen vielfach Player aus Asien, speziell aus China und Indien, das Geschäft. Sie kamen zuletzt auf mehr als 60% der für die Produktion benötigten Zulassungen. Aus Sicht von Beobachtern könnte vor allem China seine Dominanz in dem Markt künftig als außenpolitisches Druckmittel einsetzen – genauso wie zuletzt bei Seltenen Erden oder anderen wichtigen Rohstoffen.
Nun soll nach Ansicht von Herstellern dasselbe bei sogenannten Biosimilars drohen. Wie bei Generika handelt es sich auch hier um günstige Alternativen von nicht mehr patentgeschützten Originalpräparaten, die allerdings nicht chemisch, sondern biotechnologisch – also mit gentechnisch veränderten Zellen, etwa aus Tieren oder Pflanzen – hergestellt werden. Anders als bei Generika sind die Wirkstoffe von Biosimilars auch nicht exakt identisch mit dem Original-Biologikum, sondern – wie der Name schon sagt – ähnlich. Biologika gibt es schon seit über 40 Jahren, und vor etwa 20 Jahren wurde in der EU das erste Biosimilar zugelassen. Die Mittel werden heute vielfach bei chronischen und schweren Erkrankungen wie Krebs, Multipler Sklerose, Rheuma und Diabetes eingesetzt. Im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten, die teilweise sehr breit wirken, gelten die biotechnischen Arzneien als zielgerichteter.
Teure Technologie
So sehr Biologika und ihre Nachahmer die Behandlung solcher Krankheiten auch erleichtern – ihre Finanzierung stellt Gesundheitssysteme durchaus vor Probleme. Denn die Entwicklung, Zulassung und Produktion ist deutlich komplexer und langwieriger als die von klassischen Medikamenten. Entsprechend erfordern sie höhere Investitionen. Gemäß dem Branchenverband AG Pro Biosimilars können sich die Entwicklungskosten allein für Biologika-Nachahmer auf bis zu 300 Mill. Euro belaufen und so die Kosten für Generika um das 60-fache übersteigen.

Für die notorisch klammen Krankenkassen in Deutschland ist das ein Problem. Denn deren Ausgaben schießen allein schon wegen der alternden Bevölkerung immer weiter durch die Decke. Der zunehmende Anteil hochpreisiger Medikamente tut da ein Übriges.
Auf die Vorteile von Biopharmazeutika und speziell ihren günstigen Nachahmern wollen Gesundheitspolitiker in Deutschland trotzdem nicht verzichten. 2019 trat daher ein Gesetz in Kraft, das unter anderem eine schnellere Versorgung mit Biosimilars vorschrieb. Dazu sollte auch der G-BA beitragen, der sich aus Vertretern von Krankenkassen, Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern zusammensetzt und der darüber entscheidet, welche medizinischen Leistungen gesetzlich Versicherte in Deutschland erhalten. Der Ausschuss "regelt mit Vorlaufzeit von drei Jahren die Details für den Austausch auf Apothekerebene“, hieß es im „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“.
Warnung vor Exklusivverträgen
Der Austausch von Biologika auf Apothekenebene – er wird ein echtes Novum. Denn bislang obliegt es allein Ärzten und Ärztinnen zu entscheiden, ob ihre Patienten Original-Biologika oder einen darauf basierenden Nachahmer bekommen. Bei den klassischen, chemisch-synthetisch hergestellten Arzneien sieht das schon seit 2002 anders aus. Mit der sogenannten „Aut-idem-Regelung“, die damals im Zuge des Gesetzes zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben in Kraft trat, wurden Apotheker verpflichtet, preisgünstigere Alternativen abzugeben, sofern der Arzt das nicht ausdrücklich ausschließt.
Diese Regelung soll nun also auf biotechnisch hergestellte Medikamente ausgeweitet werden. Ausgerechnet Biosimilar-Hersteller schlagen hier jedoch Alarm. Denn sie fürchten, dass der automatische Austausch von Original-Biologika durch günstige Nachahmer auf Apothekenebene nicht zu einer Stärkung ihrer Branche, sondern zu einer neuerlichen Abwanderung führt – und sich die Geschichte der Generikahersteller damit wiederholt.
Grund ist ein bestimmter Passus in der vom G-BA vorgesehenen Änderung der deutschen Arzneimittel-Richtlinie. Der schreibt vor, dass die Ersetzung "vorrangig durch ein Arzneimittel vorzunehmen ist, für das eine Vereinbarung (...) mit Wirkung für die Krankenkasse besteht (...)“. Mit „Vereinbarung“ sind Rabattverträge gemeint, die Krankenkassen mit Pharmaherstellern abschließen. Apotheker werden also künftig beim Austausch von Original-Biologika mit Biosimilars verpflichtet, solche Präparate bevorzugt abzugeben, für die die Krankenkassen Rabattverträge abgeschlossen haben.
Nun gewähren heutzutage zwar ohnehin fast alle Biosimilar-Hersteller den Krankenkassen Rabatte. Die Branche warnt aber, dass die Kassen durch die neuen Regeln noch stärker auf Exklusivverträge mit einzelnen Herstellern setzen könnten. Denn der gesetzlich vorgeschriebene Automatismus verschafft ihnen so einen größeren Kostenvorteil als wenn sie Verträge mit mehreren Lieferanten abschließen würden.
G-BA klopft sich auf die Schulter
Die Folgen sind aus Sicht von Pro Biosimilars absehbar: Wenn nur noch der billigste Hersteller bei den Ausschreibungen der Krankenkassen den Zuschlag erhält, dann ziehen sich andere Unternehmen irgendwann aus der Produktion zurück. Die Politik bewegt sich mit den Plänen „auf denselben Teufelskreis zu, in den sie auch bei Generika geraten ist“, sagt Pro-Biosimilars-Chef Walter Röhrer. „Das ist weder wirtschaftlich noch nachvollziehbar.“
Bislang sind die Warnungen allerdings ins Leere gelaufen. Anfang Dezember hat der G-BA den Beschluss für die vorgesehenen Änderungen in der Arzneimittel-Richtlinie vorgelegt. Der gesetzgeberische Wille sei in der Sache eindeutig, sagt G-BA-Chef Josef Hecken. "Es geht darum, auch im Bereich der Biologika Kosten für die Versichertengemeinschaft einzusparen. Aufgabe des G-BA ist es also, die Verordnung und Abgabe preisgünstiger Biologika zu fördern – ohne für die Patientinnen und Patienten die Arzneimittel-Therapiesicherheit oder die Teilhabe am medizinischen Fortschritt zu gefährden. Das ist uns, aus meiner Sicht, mit dem heutigen Beschluss gelungen.“
Der Beschluss soll nun dem Bundesgesundheitsministerium zur Prüfung vorgelegt werden. Wenn dieser nichts zu beanstanden hat, treten die Regeln frühestens im April 2026 in Kraft.
