Notiert inMoskau

Die Absurditäten werden immer pikanter

Während hochqualifizierte russische Kriegsflüchtlinge inzwischen auch schon für afrikanische Firmen arbeiten, sucht Russland billige Arbeitskräfte zunehmend in Afrika – auch unter falschen Vorwänden.

Die Absurditäten werden immer pikanter

Die Absurditäten werden pikanter

Es bleibt rückblickend wohl eine vertane Chance, dass die Ukraine und ihre damals wichtigsten Verbündeten die weit fortgeschrittenen Istanbuler Friedensgespräche Ende März 2022 – also einen Monat nach Beginn des Ukraine-Krieges – nicht für einen Friedensschluss genutzt haben. Heute, eine dreieinhalbjährige Tragödie später, hat die Ukraine deutlich schlechtere Karten. Damals war Russland weitaus mehr angeschlagen, weil es vom Widerstand der Ukraine überrascht und völlig irritiert worden war.

Russlands Völkerrechtsbruch war nämlich immer wieder auch von russischen Irrtümern und Fehleinschätzungen begleitet. Eine der wuchtigsten für Kremlchef Wladimir Putin war allgemeiner Einschätzung zufolge, dass er im September 2022 eine Teilmobilmachung verordnete und mit ihr eine Massenemigration Hunderttausender junger und gut ausgebildeter Russen auslöste – die größte Emigration ethnischer Russen seit gut 100 Jahren. Und das just in einer Phase, in der die tiefe Geburtendelle der 1990er unerbittlich zuschlägt.

Eklatanter Arbeitskräftemangel

Die Folge: Russland hat – zumal der Krieg Arbeitskräfte bindet – längst Vollbeschäftigung und einen eklatanten Arbeitskräftemangel. Da außerdem alle verfügbaren Produktionskapazitäten, Logistik- und Infrastrukturressourcen ausgeschöpft seien, brauche die Wirtschaft eine Pause und eine Überarbeitung der Ansätze zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, wie Andrei Gangan, Direktor der geldpolitischen Abteilung der russischen Zentralbank, dieser Tage erklärte.

Das gelingt natürlich nicht im Handumdrehen. Unternehmen suchen daher vorerst nach anderen Wegen, um zu Arbeitskräften zu kommen. Aktuell würden verstärkt Kampagnen von russischen Firmen auftauchen, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzulocken, schrieb dieser Tage die Nachrichtenagentur Bloomberg. Und zwar sehr gezielt auch junge Frauen in Südafrika, wo die Arbeitslosigkeit generell und die der jungen Frauen besonders hoch sei.

Falsche Vorwände

Dort freilich ist die Regierung hellhörig geworden, wie ein Insider zu Bloomberg sagte. Sie hege nämlich den Verdacht, dass viele unter falschen Vorwänden – etwa auch mit Studienangeboten – rekrutiert und dann im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden könnten. So sei einer der wichtigsten Rekrutierer die Sonderwirtschaftszone Alabuga in der islamisch-russischen Teilrepublik Tatarstan, wo Militärdrohnen produziert werden. Jobvermittler und Werbeträger für die Rekrutierung seien die südafrikanische Abteilung der BRICS Women’s Business und die in Südafrika ansässige BRICS Student Commission, die auch mit Influencern werbe.

Sie alle weisen die Vorwürfe zurück. Doch gab es schon seit 2024 Berichte und Studien, dass afrikanische Frauen, die auf Arbeitssuche sind, in der russischen Rüstungsindustrie landen. Die Absurdität ist nicht wenig pikant. Denn während Afrikaner zur billigen Arbeit nach Russland fliegen, sind junge IT-Fachkräfte aus Russland längst auch schon in afrikanischen Unternehmen aktiv.

Notiert in Moskau

Von Eduard Steiner