Die Aufarbeitung kommt nicht voran
Die Aufarbeitung kommt nicht voran
Cum-Cum Verfahren
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Nach Cum-ex müssen endlich auch die Cum-cum-Geschäfte juristisch aufgearbeitet werden. Das erste Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden muss jetzt dringend beginnen.
Von Thomas List
In wenigen Tagen ist es ein Jahr her, dass das Oberlandesgericht Frankfurt einen wegweisenden Beschluss in Sachen Cum-Cum-Geschäften getroffen hat. Cum-cum gilt als Bruder von Cum-ex. Während es dabei darum ging, sich eine einmal erstattete Steuer mehrfach auszahlen zu lassen, wird bei Cum-cum Kapitalertragsteuer auf Dividenden zurückerstattet bzw. angerechnet, obwohl der ausländische Halter der Aktien darauf kein Anrecht hat.
Dabei geht es nach Schätzungen um mehr als 20 Mrd. Euro und damit um deutlich mehr als bei Cum-ex. Dieses Geld fehlt dem Staat und damit letztlich uns allen an anderer Stelle, wo es dringend benötigt wird – Rentenversicherung, Infrastruktur oder Verteidigung wären Beispiele.
Liegt eine Straftat vor? Ja
Über viele Jahre schien es aber unklar, ob bei Cum-cum-Geschäften überhaupt eine Straftat vorliegt. Das Vorgehen war schließlich gängige Praxis: Ein ausländischer Anteilseigner einer deutschen Aktiengesellschaft, zum Beispiel ein Staatsfonds oder ein Versicherer, der sich ja die bei der Dividendenzahlung abgezogene Kapitalertragsteuer weder anrechnen noch rückerstatten lassen kann, überträgt seine Aktien rund um den Dividendenstichtag an eine inländische Bank. Die kann dann die abgezogene Kapitalertragsteuer vereinnahmen. Die Bank teilt sich dann den Steuerertrag mit dem Ausleiher im Ausland.
Das sieht auf den ersten Blick nicht illegal aus. Allerdings war schon immer klar: Die Transaktionen finden ausschließlich aus steuerlichen Gründen statt. Einen wirtschaftlichen Sinn dahinter gab es nicht. Das gilt in der Rechtsprechung als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und ist nach Paragraf 42 Abgabenordnung strafbar. Aufgefallen ist das dem Finanzamt nur deshalb nicht, weil die steuerpflichtige Bank die Fallgestaltung nicht gänzlich offengelegt hat.
Kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums
Auch der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei der Übertragung der Aktien auf die inländische Bank – Voraussetzung für die Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer – wird seit 2015 (Urteil des Bundesfinanzhofs) und 2021 (Rundschreiben des Bundesfinanzhofs) verneint.
All das müsste eigentlich genug Anlass sein, hier intensiv zu ermitteln. Das passiert zwar auch. Aber sichtbare Ergebnisse gibt es bisher kaum. Ja, es wurde ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag an erstatteter Kapitalertragsteuer zurückgeholt. Angesichts von mehr als 20 Mrd. Euro Schaden ist das wenig.
Begrenzter Ehrgeiz
Der Ehrgeiz der Bundesländer, die für solche Ermittlungen zuständig sind, scheint überschaubar zu sein. Die Staatsanwaltschaften, sowieso schon chronisch überlastet, sind für solche komplexen Wirtschaftsstrafverfahren nur dürftig ausgestattet. Daher dauern die Ermittlungen entsprechend lange.
Vielleicht hängt diese Zurückhaltung ja auch mit der großen Zahl möglicher Beschuldigter und deren Herkunft zusammen. Denn mitgemischt haben bei diesen lukrativen Geschäften nicht nur Privatbanken und ausländische Institute (bzw. deren deutsche Töchter), sondern auch viele Sparkassen, Genossenschaftsbanken und einige Landesbanken.
Die Existenz könnte bedroht sein
Gerade kleine Banken könnten durch Steuerrückforderungen in Millionenhöhe in Existenznöte geraten. Offen ist, wer sich bei den Cum-cum-Prozessen in Sparkassen und Volksbanken dann noch als Mitwisser herausstellt. Viele dieser Geschäfte waren so großvolumig, dass sie von Spitzen- und Kontrollgremien genehmigt oder zumindest zur Kenntnis genommen werden mussten.
All das kann kein Maßstab sein. Diese Geschäfte müssen aufgedeckt werden. Der durch das Oberlandesgericht Frankfurt erzwungene Prozess am Landgericht Wiesbaden muss endlich terminiert werden. Das könnte der Startschuss dafür sein, dass nach Cum-ex endlich auch Cum-cum juristisch aufgearbeitet wird.
