Die Bibel der japanischen Aktien
Notiert in Tokio
Notiert in Tokio
Von Martin Fritz
Das letzte große erfolgreiche Investment in Warren Buffetts Karriere galt Japan. Über mehrere Jahre kaufte er sich schrittweise bei den fünf Handelshäusern Mitsubishi, Itochu, Mitsui, Sumitomo und Marubeni ein und besitzt inzwischen jeweils knapp 10% der Anteile. Vermutlich seit 2019 investierte er insgesamt 13,8 Mrd. Dollar, bis Ende 2024 wurden daraus 23,5 Mrd. Dollar, ein Plus von 70%. Das Anlagekapital sammelte er über Yen-Anleihen mit niedrigen Coupons ein. Diese Zinskosten waren 2024 rund sechsmal niedriger als die gezahlten Dividenden. Zugleich schaltete er so das Währungsrisiko aus.
Seite für Seite umblättern
Buffett hält seine japanischen Investments für so wertvoll, dass er die Anteile „die nächsten 50 Jahre“ nicht abgeben will. Aber wie kam der legendäre Investor überhaupt auf die Idee, diese fünf Unternehmen zu erwerben? Das kleine Geheimnis verriet er auf der letzten Hauptversammlung von Berkshire Hathaway. „Ich blätterte in einem kleinen Handbuch, in dem wahrscheinlich 2.000 oder 3.000 japanische Unternehmen aufgeführt waren. Da waren diese fünf Handelsunternehmen, sie wurden zu einem lächerlich niedrigen Preis gehandelt. Also habe ich etwa ein Jahr damit verbracht, sie zu erwerben.“ Seine vermuteten Gründe waren nicht nur ihre disziplinierte Kapitalallokation und das starke Dividendenwachstum. In Philosophie und Struktur ähneln sie auch seinem eigenen Konglomerat.
Sein Rat an alle Kapitalanleger, der heute ziemlich altmodisch klingt, lautete: „Ich würde sagen, dass das Umblättern jeder Seite ein wichtiger Bestandteil der Investmentbranche ist. Nur sehr wenige Leute blättern wirklich jede Seite um, und diejenigen, die es tun, werden Ihnen nicht verraten, was sie gefunden haben. Man muss also selbst ein wenig mitmachen…“
Knapp gefasste Porträts
Das kleine, ziemlich dicke Büchlein heißt „Kaisha Shikiho“. Diese „Bibel der japanischen Aktien“ enthält die aktuellsten Daten der fast 4.000 börsennotierten Unternehmen des Landes. Auf je ein, zwei Seiten liest man unter anderem ein Kurzporträt, die aktuelle Bilanzlage und die jüngsten Prognosen, die Anteile von Großaktionären, dazu gibt es einen 5-Jahres-Balkenchart. Fast jeder aktive Privatanleger in Japan verwendet das Nachschlagewerk des Verlags Toyo Keizai.
Im Rhythmus der Quartalszahlen erscheint es vierteljährlich zu einem Preis von 2.800 Yen (17,30 Euro). Viele Jahre war es unter dem Namen „Japan Company Handbook“ auch auf Englisch erhältlich. Ein Exemplar wurde vor zwölf Jahren auf dem Schreibtisch von Buffett gesichtet. Doch der Verlag stellte die englische Ausgabe mit bemerkenswert schlechtem Timing im vergangenen Herbst ein. (Bei Amazon ist sie als Kindle-Version für 39,57 Euro noch erhältlich.) Ein klarer Verlust für Investoren: Zwar erhalten ausländische Japan-Anleger die meisten Daten inzwischen auch online und teils kostenlos. Dafür müssen sie aber erst einmal den Firmennamen kennen, während sie beim Umblättern auf jeder neuen Seite eine unbekannte Aktienperle entdecken könnten.