LeitartikelHaushaltspolitik

Die Crux mit den EU-Schuldenregeln

Die Ausgabenpläne der Bundesregierung für Rüstung und Infrastruktur verstoßen nach Ansicht von Ökonomen gegen EU-Schuldenregeln. Aber kaum jemand in Europa möchte, dass Berlin die Pläne zurückzieht.

Die Crux mit den EU-Schuldenregeln

Haushaltspolitik

Die Crux mit den EU-Schuldenregeln

Kaum jemand in Europa wünscht sich,
dass Deutschland
seine Ausgabenpläne zurücknimmt, nur weil sie dem Stabilitätspakt widersprechen.

Von Detlef Fechtner

Der Stabilitätspakt sei „dumm“ und „starr“ − das hat vor mehr als 20 Jahren der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi behauptet. In den Jahren danach sind Europas Schuldenregeln zwar immer wieder reformiert worden. Aber die Deutschen − im Verbund mit den „sparsamen Vier“, also Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden − haben stets darauf geachtet, dass bei aller Flexibilisierung verbindliche Regeln erhalten blieben. Ein Treppenwitz der Geschichte, dass das den Deutschen nun auf die Füße fallen könnte.

Spätestens seit Vorlage einer Studie des Forschungsinstituts Bruegel wird in Brüssel darüber diskutiert, ob Deutschland vor allem mit seinen Plänen für einen 500 Mrd. Euro schweren Infrastrukturfonds nicht flagrant gegen die haushaltspolitischen Vorgaben der EU verstoße. Zumal auch andere Volkswirte wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm vor Kollisionen der Milliarden-Infrastrukturpläne mit den EU-Regeln gewarnt haben.

Buchhalterische Kreativität gefragt

Und in der Tat: Um sich vorzustellen, wie die Bundesregierung immense Ausgaben für Rüstung und Infrastruktur in Einklang bringen möchte mit der Vorgabe, bei Überschreitung der 60-%-Schuldenquote jährliche Abbaupfade einzuhalten, braucht es Fantasie. Oder buchhalterische Kreativität. Etwa durch eine Anhebung des Potenzialwachstums, wobei die Frage ist, ob sich dies mit Impulsen des Infrastrukturfonds begründen ließe. Eine andere Option wäre, bei der Begutachtung der deutschen Haushaltspolitik die Schuldentragfähigkeit stärker ins Zentrum zu rücken. Denn die dürfte durchaus weiterhin gegeben sein, selbst bei einer Schuldenquote von 80% oder 90%. Die Märkte jedenfalls erscheinen bislang trotz der gewaltigen Ausgaben-Ansagen recht unbesorgt, was die Kreditwürdigkeit Deutschlands angeht. Die Konditionen der Kreditausfallversicherungen haben bislang nicht einmal gezuckt.

In der aktuellen Debatte wird vorgeschlagen, Europas Schuldenregeln erneut zu überarbeiten, nachdem sie gerade 2024 reformiert worden sind. Tatsächlich hat es Deutschland ja auch versucht. Allerdings stieß der Ständige Vertreter auf Vorbehalte, als er vor einigen Wochen das Thema im Rat ins Gespräch brachte. Unverständnis bei den Verfechtern strikter, regelgebundener Vorgaben und Unmut bei einigen Südländern, die in den vergangenen Jahren selbst oft unter der Strenge Deutschlands bei den Debatten über die haushaltspolitische Überwachung gelitten haben.

Weithin begrüßt

Die Sache ist nur: Kaum jemand in Europa wünscht sich, dass Deutschland seine Ausgabepläne für Verteidigung und Infrastruktur wieder zurücknimmt, nur weil sie nicht den EU-Schuldenregeln entsprechen. Im Gegenteil: Die fiskalpolitische Offensive der neuen Bundesregierung wird nach Angaben von Diplomaten generell sowohl von vielen EU-Nachbarn als auch in der EU-Kommission begrüßt. Letztere hatte Deutschland jahrelang ohnehin gebetsmühlenartig eine zu starke Investitionszurückhaltung vorgeworfen.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich Brüssel und Berlin bemühen werden, durch allerhand interpretatorische Kniffe die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Deutschland zu vermeiden. Zugegeben: Das, was von der Glaubwürdigkeit der europäischen Schuldenregeln sowohl durch Dutzende Regelverstöße als auch durch häufige Regelanpassungen überhaupt noch übrig geblieben ist, dürfte dadurch endgültig aufgezehrt werden. Aber es wäre dennoch falsch, das geplante Sondervermögen Infrastruktur aufzugeben, nur um Ärger mit den EU-Haushaltskontrolleuren aus dem Weg zu gehen. Vielmehr muss man sich eingestehen: In einer Europäischen Union mit weiterhin nationaler Verantwortung für die Finanzpolitik können gemeinsame Schuldenregeln nur sehr bedingt eine Balance zwischen Haushaltsdisziplin und sinnvoller Investitionstätigkeit des Staates sicherstellen. Und es kann nicht sein, dass man sie jedes Mal anpasst, wenn irgendein Mitgliedstaat, so wie jetzt Deutschland, in Konflikt mit ihnen zu geraten droht. Man muss Prodis Satz vom „dummen“ Pakt nicht teilen. Aber in der Tat können Europas Schuldenregeln die in sie gesetzten Erwartungen regelmäßig nicht erfüllen.

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