Im BlickfeldEU-Regulierung

Die Crux mit den Kleinanlegern

Die EU will mehr Sparer zu Anlegern machen. Doch welche Vorgaben dafür hilfreich sind und welche nicht, darüber sind sich EU-Kommission, Rat und Parlament uneins.

Die Crux mit den Kleinanlegern

Die Crux mit
den Kleinanlegern

Die EU will mehr Sparer zu Anlegern machen. Doch welche Vorgaben dafür hilfreich sind und welche nicht, darüber sind sich EU-Kommission, Rat und Parlament uneins.

Von Detlef Fechtner, Brüssel

Die Zauberzahl heißt 10 Bill. Euro. Nach Schätzungen der EU-Kommission halten Europas Bürger diese riesige Summe als Bankeinlagen. Die, so erinnert die EU-Behörde, seien zwar sicher und leicht zugänglich, brächten den Bürgern aber auf längere Sicht gemeinhin weniger Rendite ein als Kapitalanlagen an den Finanzmärkten. Außerdem wäre es auch angesichts der enormen Finanzierungsbedarfe für Infrastruktur, Innovation und Transformation wünschenswert, wenn mehr Sparer zu Anlegern konvertierten und Teile ihres Vermögens in Aktien und Anleihen steckten, statt es auf Sparbüchern schlummern zu lassen.

Unterschiedliche Antworten

So weit, so einvernehmlich. Kaum eine politische Kraft oder Institution, die sich dem Aufruf, mehr Europäer für die private Kapitalanlage zu gewinnen, nicht anschließen kann. Auf die Frage jedoch, was die EU und was die nationalen Regierungen genau tun können und sollten, um mehr Sparer zu mobilisieren, fallen die Antworten unterschiedlich aus.

Anlegerschutz vs. „Learning by earning“

Grob gesprochen: Die einen schwören darauf, dass die Privatanleger nur dann Vertrauen in Engagements am Kapitalmarkt fassen, wenn sie sich durch ein robustes Regelwerk geschützt fühlen, das jede Form von Interessenkonflikten ausschließt und durch umfangreiche Dokumentation und Transparenz veranschaulicht, dass Kleinanleger nicht benachteiligt werden. Die anderen setzen darauf, dass man den Rechtsrahmen auf das Nötigste beschränken sollte – vor allem auch, um privaten Anlegern den Zugang zur Kapitalanlage so einfach und attraktiv wie möglich zu machen. Dahinter steht die Überzeugung, dass private Haushalte am besten verstehen, wie lukrativ es ist, einen Teil ihres Vermögens in Kapitalanlagen zu investieren, wenn sie aktiv miterleben, wie ihr Guthaben wächst – sozusagen „Learning by earning“.

Unterschiedliche Ansätze

Diese unterschiedlichen Ansätze erklären, warum sich die EU gegenwärtig so schwer mit einem Gesetzgebungsverfahren tut, das auf den ersten Blick gar nicht so konfliktreich erscheint: die sogenannte Kleinanleger-Strategie (Retail Investment Strategy, kurz: RIS), also die europäischen Vorgaben für Kapitalanlagen von Privatpersonen. Die EU-Kommission hat 2023 einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Er enthält Vorgaben an Anbieter von Finanzprodukten, etwa Regeln, die sicherstellen sollen, dass ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis (Value for Money) gewahrt wird, unter anderem durch Vergleiche mit ähnlichen Finanzprodukten (Benchmarking) und mehr Kostentransparenz. Auch sind Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Bildung vorgesehen.

Gesetzentwurf entkernt

Die beiden EU-Gesetzgeber, also die nationalen Regierungen im Rat und das EU-Parlament, haben den ursprünglichen Gesetzestext in ihren Beratungen ziemlich zerrupft. Vieles wurde umgeschrieben und angepasst. Und Rat und Parlament haben sogar ein Kernelement des Vorschlags der EU-Kommission komplett gestrichen, nämlich das partielle Provisionsverbot. Die EU-Behörde hatte sich dafür starkgemacht, Vergütungen der Produktanbieter an die Produktvertreiber, also etwa Banken, zu verbieten, falls es sich um einen beratungsfreien Verkauf eines Finanzprodukts handelt (Execution only). Dieser Vorschlag steht nun nicht mehr in den Papieren, über die Rat und Parlament in ihren Schlussverhandlungen (Trilog) diskutieren.

Die EU-Kommission kann nicht verbergen, dass sie mit dieser Teilentkernung ihres Gesetzesentwurfs hadert. Die frühere irische EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness, unter deren Regie der Gesetzesvorschlag vor zwei Jahren präsentiert wurde, beklagte öffentlich, sie halte die Anpassungen an der Retail Investment Strategy insbesondere aufseiten des Rats für „bedauerlich und sehr enttäuschend“. Ihre Nachfolgerin, die Portugiesin Maria Albuquerque, äußerte bei der Vorlage des Fahrplans für die Spar- und Investitionsunion eine indirekte Drohung: Ihre Behörde werde sich bemühen, eine Einigung zu erleichtern. „Die EU-Kommission wird jedoch nicht zögern, den Vorschlag zurückzuziehen, wenn die Verhandlungen die angestrebten Ziele der Strategie nicht erreichen.“ Die EU-Kommission hat im Trilog immer eine Nuklearoption: Wenn sie mit den Kompromissen von Rat und Parlament unzufrieden ist, kann sie das Verfahren stoppen und den Gesetzesentwurf in die Tonne treten.

Heterogene Aktienkultur

Nicht nur wegen dieser steilen Ansage der EU-Behörde ist das weitere Schicksal der EU-Kleinanleger-Regeln ungewiss. Denn daneben bestehen nach wie vor merkliche Unterschiede zwischen den Positionen der EU-Abgeordneten und des Rats – und ebenfalls erhebliche Differenzen innerhalb des Rats selbst, also zwischen den nationalen Regierungen. Das ist insofern nicht ganz überraschend, als es in der Europäischen Union sehr unterschiedliche Ausprägungen von Aktienkultur gibt. So ist die Kapitalanlage im Bewusstsein der Schweden tief verankert – aufgrund der aktienbasierten Altersvorsorge als fester Teil des Rentensystems über den Staatsfonds AP7. In den Niederlanden wiederum ist die kollektive, kapitalgedeckte betriebliche Vorsorge etabliert. Demgegenüber gibt es eine ganze Reihe von Ländern, in denen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung am Kapitalmarkt engagiert ist.

Annäherung nicht in Sicht

In den vergangenen drei Wochen diskutierte der Rat intensiv über drei Arbeitspapiere – eines von der EU-Kommission, eines gemeinsam von Franzosen und Tschechen und eines von der niederländischen Regierung. Alle haben sehr unterschiedliche, oft kleinteilige Vorschläge gemacht, wie sich die Kleinanleger-Regeln vereinfachen lassen. Die Tatsache, dass der polnische Ratsvorsitz nach den anschließenden Aussprachen das Dossier mangels Aussicht auf Kompromiss an den kommenden dänischen Ratsvorsitz weitergereicht hat, zeigt, dass eine echte Annäherung nicht gelungen ist. Das wiederum bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das Dossier entweder zurückgezogen wird oder erst einmal in den Schubladen verschwindet.

Vorbehalte in Deutschland

Großen Teilen der deutschen Finanzbranche wäre dies nicht unrecht. Denn Bankenverband und Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft haben ihre Vorbehalte gegen die diskutierten Vorgaben bereits kundgetan. Besonders deutlich hat sich der Fondsverband positioniert: „Praktisch alle Beteiligten sind mit ihr unzufrieden, die Finanzbranche, Verbraucherschützer und Aufseher“, beklagt BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. „Die EU-Kommission sollte endlich den Mut aufbringen, die Kleinanleger-Strategie zurückzuziehen.“

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