Die Fed provoziert die nächste Bankenkrise
Deregulierung
Fed provoziert die nächste Bankenkrise
Von Alex Wehnert
Amerikas Regulatoren wollen die Kapitalvorgaben für Kreditinstitute aufweichen. Damit riskieren sie leichtsinnig den Zusammenbruch des ohnehin angeschlagenen Finanzsystems.
Amerikas Regulatoren schlagen die Lehren aus der Finanzkrise 2008 auf verantwortungslose Weise in den Wind. So hat der Gouverneursrat der Federal Reserve mit großer Mehrheit dafür gestimmt, die Vorgaben für die sogenannte Enhanced Supplementary Leverage Ratio (ESLR) von US-Banken bedeutend aufzuweichen – das für die Überwachung des nationalen Kreditwesens zuständige OCC unterstützt den Vorschlag, gemäß dem die Mindestquote für das Tier-1-Kapital, das Geldhäuser gegen ihre bilanziellen und außerbilanziellen Fremdmittel vorhalten müssen, je nach Risikoprofil auf 3,5 bis 4,5% fallen soll. Bisher gilt ein Standard von 5% für Bankholdings und 6% für die als Einlagenverwahrer agierenden Tochtergesellschaften, der im Gegensatz zu den Anforderungen für die Kernkapitalquote nicht risikogewichtet ist.
Abrupte Kehrtwende
Die Fed, das OCC und die Einlagensicherung FDIC, die zuletzt schon eine Reformsalve zur Lockerung der Kapitalvorgaben abgefeuert hat, provozieren nun die nächste Bankenkrise – die erhebliche Kaskadeneffekte an den weltweiten Finanzmärkten und in der Wirtschaft auslösen dürfte. Dabei zeigten sie sich noch vor nicht allzu langer Zeit bemüht, die Verteidigungsmechanismen des Systems zu stärken: Geradezu übereifrig strebten sie unter dem Eindruck des Kollaps regionaler US-Finanzinstitute 2023 an, eine verschärfte Version des globalen Bankenpakets Basel III zu implementieren und die Kapitalvorgaben für die komplexesten Geldhäuser um bis zu 20% anzukurbeln.

Nach einem öffentlichen Aufschrei aus der Branche und intensiver Lobbyarbeit in Washington gaben die Regulatoren klein bei – Michael Barr, als Fed-Vize für Aufsicht zuständig und Architekt der damaligen Reformvorschläge, trat von seinem Posten zurück. Nun warnt er als regulärer Fed-Gouverneur zurecht davor, dass die Aufweichung der ESLR das Risiko eines Großbankenkollaps signifikant erhöht – doch seine Rufe verhallen wie das Pfeifen im Walde. Denn auf dem Vizeposten ersetzt hat den Demokraten mit Michelle Bowman eine kaum verhohlene Interessenvertreterin des Finanzsektors. Sie und ihre zunehmend auf die politische Linie des Regimes von Präsident Donald Trump geprügelten Kollegen stellen ihre Reformvorschläge nun zur 60-tägigen Marktkonsultation. Dass Vertreter der Banken, die sich durch die Änderungen eine Entfesselung von Milliardenkapital erhoffen, das zur Absicherung von Fremdmitteln auf der Bilanz gebunden ist, für eine umsichtigere Regulierung eintreten, glauben wohl nur die naivsten Optimisten.
An deren Einfältigkeit appelliert wohl auch die von Trump eingesetzte Bowman, die argumentiert, dass der Abbau der Kapitalvorgaben die Widerstandsfähigkeit des US-Staatsanleihemarktes erhöhen werde. Denn die Lockerung soll es Banken ermöglichen, in größerem Stil Treasuries zu halten. Künftig sollen die Geldhäuser also die ausufernde US-Staatsverschuldung tragen, nachdem die Fed selbst sich im Zuge ihres Bilanzabbaus als Ankerinvestor aus dem Staatsanleihemarkt verabschiedet hat und die wahnsinnige Fiskal- und Handelspolitik Trumps ausländische Investoren aus Dollar-Assets verjagt. Die Banken werden nichts dergleichen tun. Vielmehr werden sie die gelockerten Kapitalvorgaben nutzen, um so hohe Mittel wie möglich an ihre Anteilseigner zurückzuführen und damit insbesondere bei Marktverwerfungen die eigenen Aktien zu stabilisieren.
Rücksichtslose Renditejagd
Zugleich wird die Wall Street ihre Renditejagd in schwach regulierten und intransparenten Segmenten wie Private Credit mit erhöhtem Tempo fortsetzen und fröhlich mit Asset-Backed Securities und Collateralized Loan Obligations handeln, in denen eine Vielzahl niedrig gerateter Kredite gepoolt wird. Die Emissionsaktivität in beiden Wertpapierklassen ist schon 2024 auf Rekordstände geschossen, während die Liquidität im System insgesamt abnimmt. Der Punkt, an dem sich die eingetrübten realwirtschaftlichen Aussichten nicht mehr mit den rücksichtslosen Aktivitäten der Großbanken überein bringen lässt, ist nicht mehr fern. Wenn das Finanzsystem absehbar in den Zusammenbruch taumelt, müssen Amerikas rückgratlose und kurzsichtige Regulatoren die Schuld vor allem bei sich selbst suchen.