Die Formel 1 erobert die USA zurück
Die Formel 1 erobert die USA zurück
Notiert in New York
Formel 1 erobert die USA zurück
Von Alex Wehnert
Rund eine halbe Stunde bis zur Einführungsrunde beim Großen Preis von Miami – doch den Organisatoren ist die Spannung vor dem ersten US-Rennen der Formel-1-Saison 2023 nicht genug. Statt sich auf den Start vorzubereiten, müssen die 20 Fahrer der Rennserie noch einmal zu einem Schaulaufen vor den Fans in Florida antreten, das von typisch amerikanischem Bombast begleitet wird. Die Reihen an Cheerleadern wären noch zu verkraften gewesen – doch beim Anblick von Musikstar Will.i.am, der wild mit den Armen fuchtelnd ein Orchester zu dirigieren versucht, das einen eigens für das Miami-Rennen komponierten Hit spielt, raufen sich viele Motorsport-Puristen die Haare.
Das Fass zum Überlaufen bringt aus ihrer Sicht aber Rapper LL Cool J, der im Stile eines Box-Ringsprechers die Namen der 20 Fahrer in ein Mikrofon bellt, vermeintlich unterhaltsame Fakten zu diesen herunterrattert und im Stile eines rasenden Reporters noch versucht, spontane Statements von den Piloten zu ergattern. Die Rennsportler lassen die Prozedur bei 29 Grad Celsius in der prallen Sonne mit Mienen über sich ergehen, die am Krankenbett eines teuren Freundes angebracht wären.
Die frostigen Reaktionen von Fahrern und der internationalen Fangemeinschaft auf den Pomp am vergangenen Sonntag zeigen, welche Konflikte die zunehmende Präsenz der Formel 1 in die Vereinigten Staaten schafft. Für die Königsklasse des Motorsports ist die Rückeroberung des US-Marktes, aus dem sie sich zwischen 2007 und 2012 zurückgezogen hatte, allerdings hochlukrativ. Denn die Netflix-Serie „Drive to Survive“ – ein Doku-Format, das Konflikte innerhalb des Fahrerlagers massiv überzeichnet – hat in den vergangenen Jahren für ein deutlich steigendes Interesse an der Formel 1 in den USA gesorgt.
Das Rennwochenende im texanischen Austin sahen sich im vergangenen Jahr 440.000 Fans vor Ort an, der Grand Prix reiht sich damit unter die meistbesuchten aller Zeiten ein. Unter die Besucher an den Rennstrecken mischen sich auch Hollywoodstars wie Tom Cruise, die für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgen. Dazu passend läuft auch die Produktion eines Formel-1-Films mit Brad Pitt in der Hauptrolle an.
Im TV erzielen die Großen Preise unterdessen wieder regelmäßig Rekordeinschaltquoten. Auch deshalb sind die Erlöse der Formel-1-Muttergesellschaft Liberty Media aus dem Renngeschäft im ersten Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahr um 6% auf 381 Mill. Dollar gestiegen. Auf Ebene der Gesamtholding, zu deren Portfolio auch der Satellitenradio-Anbieter SiriusXM und das Baseball-Franchise Atlanta Braves gehören, werden sie zunehmend zum Wachstumstreiber.
Dass neben Rennen in Austin und Miami in der laufenden Saison mit Las Vegas auch ein dritter US-Grand-Prix Aufnahme in den Formel-1-Kalender findet, ist damit kein Wunder. Unter Motorsport-Traditionalisten wächst damit die Furcht vor einer noch weiter amerikanisierten Inszenierung „ihrer“ Rennserie. Einige Zuschauer unken bereits, die US-Rennen würden künftig wahrscheinlich für eine Halbzeitshow unterbrochen, wie sie vom Finale der American-Football-Liga NFL bekannt ist.
Dass die Formel 1 solchen Bombast gar nicht braucht, um das amerikanische Publikum zu begeistern, zeigt sich allerdings in New York. Die Sportsbars an der 33. Straße sind zu Rennzeiten inzwischen so dicht bepackt wie die Bahnsteige der nahen Pennsylvania Station zur Rush Hour. Dies gilt übrigens auch bei Rennen auf anderen Kontinenten, die in den USA teils zu äußerst unchristlichen Uhrzeiten anlaufen. Unter den Pub-Besuchern befinden sich natürlich auch zahlreiche internationale Gäste, doch es sind die Amerikaner, die besonders laut Stimmung machen. Dabei ergibt sich das Kuriosum, dass Zweikämpfe und Überholmanöver in der Kneipe „Féile“ aufgrund einer zeitversetzten Übertragung teilweise bis zu 15 Sekunden später bejubelt werden als eine Tür weiter im „Stout“. Lediglich die Fahrer-Intros von LL Cool J stoßen in beiden Kneipen auf eher gemischte Reaktionen.
