Die große Versuchung
Die große Versuchung
Bilanzpräsentation
Die große Versuchung
Strategie statt Zahlen: Firmen gehen diesen Weg in der Bilanzvorlage. Die Risiken sind groß.
Von Michael Flämig
Jeder möchte sich gut präsentieren. Daher mäandert Kommunikation seit Jahrtausenden zwischen Wahrhaftigkeit und Inszenierung. Soziale Medien eröffnen einen dritten Weg: Fiktion lässt sich so kommunizieren, dass viele Menschen eine Inszenierung dauerhaft als wahrhafte Realität erleben. Dieser Ansatz, den es schon immer gab, wird nun perfektioniert. Donald Trump zeigt, wie jeglicher Unsinn glaubhaft gemacht werden kann. Vor dem US-Präsidenten haben Russland und China diesen Weg beschritten.
Von derlei Extremen ist der Kapitalmarkt weit entfernt. Unternehmenskommunikation hat weder die Möglichkeit noch den Willen, die Methode der Autokraten und Diktatoren zu übernehmen. Doch auch in der Quartalsberichterstattung gibt es laufend Veränderungen.
Der rote Faden führt durch die Details
Zu Beginn des Jahrhunderts gewannen die Präsentationen an Tiefe, weil die Regulatoren dies verlangten. Der Kapitalmarkt profitierte davon enorm. In den Zehnerjahren legten viele Unternehmen einen roten Faden in die Details, indem sie ihre Zahlen besser interpretierten, ohne Daten zu verheimlichen. Für Investoren und breitere Öffentlichkeit ein Gewinn. Aber Firmen griffen zudem nach der Hoheit über die Storys, indem sie selbst Newsrooms einrichteten. Dieser Ansatz blieb glücklicherweise auf halben Weg stecken. Auch der Versuch, Blogger als Rezipienten zu gewinnen, ist gescheitert. Die Corona-Pandemie verlagerte schließlich die Kommunikation Anfang des laufenden Jahrzehnts in den virtuellen Raum.
Aktuell ist eine Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen zu beobachten. Manche Unternehmen streichen die parallele Online-Übertragung mit der Begründung, auf diese Weise eine Anreise von Journalisten zu belohnen. Dies ist nachahmenswert, denn nichts kann den persönlichen Kontakt ersetzen. Der mancherorts konzipierte Humbug, in der Antwortrunde die Fragen von Analysten und Journalisten zu mischen, wird wieder verschwinden. Ineffizienter und weniger zielgruppengerecht lässt sich solch´ ein Treffen kaum denken.
Die Zeit für Fragen schrumpft
Widerständiger ist der Versuch, den Vorträgen von CEO und CFO immer mehr Zeit einzuräumen und gleichzeitig die Fragerunde zu kürzen. Während Journalisten früher unbeschränkt Themen anschneiden konnten, werden sie seit einiger Zeit zumeist auf drei Fragen beschränkt. Analysten müssen sich vielfach mit zwei Fragen zufrieden stellen. Noch wichtiger: Weil Fragerunden kürzer werden, kommt mancher Fragesteller gegen Ende der angesetzten Zeit nur noch mit einem Anliegen oder gar nicht mehr zu Wort. Ein Unding.
Ebenfalls neu: Strategie schlägt Zahlen. An Stelle einer Bilanzpressekonferenz rückt mancherorts eine Präsentation aus der Vogelperspektive, die in zweiter Reihe mit Daten angereichert wird. Auf den ersten Blick mag dies unbedenklich sein. Schließlich sind exzellente Geschäftsergebnisse immer nur die Folge einer richtigen Strategie, die daher auch der Kapitalmarkt verstehen will. Außerdem sind die technologischen Umbrüche so tiefgreifend, dass in vielen Branchen stärker als früher der korrekte strategische Ansatz zählt. Außerdem hat das Interesse an Quartalsergebnissen rapide abgenommen. Medien sind zudem derart unter Kostendruck, dass der Umfang der Berichterstattung schrumpft. Es fehlen in zahlenzentrierten Pressekonferenzen schlicht die Zuhörer.
„Vorbild“ Trump
Trotzdem birgt ein Wechsel des Bilanz-Formats ein großes Risiko. CEOs können ihre Misserfolge viel besser in wohlklingenden Wortwolken verstecken, als wenn Zahlen eine klare Sprache sprechen. Die große Verlockung für einen scheinbar allmächtigen CEO: Wieso sollte mir nicht gelingen, was Trump&Co. vormachen?
Wenn die Strukturen einmal geändert sind, wird es Vorstände geben, die die Öffentlichkeit in kritischen Situationen in die Irre führen. Wer erlebt hat, wie General Electric in vielen Quartals-Calls vor dem Unternehmens-Crash ein Blendwerk inszeniert hat, der möchte nicht, dass sich derlei in der Breite wiederholt. Also: Bilanzpressekonferenzen behalten ihre Berechtigung.