Die Konjunkturwette
Bayer macht bei der Abspaltung des Kunststoffgeschäfts Nägel mit Köpfen. Noch in diesem Jahr soll der Teilkonzern Material Science, der neuerdings als Covestro firmiert, den Kurszettel in Frankfurt verlängern. Das kommt wenig überraschend, hat Bayer doch von Anbeginn klargemacht, einem klassischen IPO (Initial Public Offering) den Vorzug gegenüber einem Spin-off zu geben. Und das nicht ohne Grund, ist ein Spin-off doch wesentlich zeitaufwendiger. Neben dem Erstellen eines Abspaltungsberichts muss nämlich auch die Zustimmung der Hauptversammlung eingeholt werden. Das ist gerade in Deutschland angesichts der Vielzahl an streitbaren Kleinaktionären wenig erquicklich.Obendrein fließt dem Mutterkonzern beim Spin-off kein Geld zu, so dass der Börsenneuling üblicherweise mit einer schwächeren Kapitalstruktur an den Start geschickt wird. Umgekehrt gibt der Spin-off Sicherheit, werden die Aktien des Unternehmens den bisherigen Aktionären doch direkt ins Depot gelegt und damit das Platzierungsrisiko ausgeschaltet. Ein Vorteil, der gerade in Zeiten mit hoher Volatilität an den Kapitalmärkten nicht zu unterschätzen ist.Insofern ist der von Bayer am Freitag vorgestellte Weg an die Börse – IPO, aber ausschließlich mit Aktien aus einer Kapitalerhöhung – als Versuch zu sehen, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Im Ergebnis macht es zwar keinen Unterschied, ob Bayer den Emissionserlös direkt einstreicht und damit die Nettoverschuldung senkt oder das Geld aus der Kapitalerhöhung im Anschluss an den Börsengang an die Muttergesellschaft überwiesen wird. Doch baut sich Bayer zumindest einen kleinen Sicherheitspuffer ein.Das Preis- und Volumenrisiko des IPO liegt jetzt bei Covestro, während die Schuldenhöhe mit der rechtlichen Verselbständigung schon zu Monatsbeginn festgezurrt wurde. Sollte das Marktumfeld also Anpassungen an den beiden Stellschrauben erforderlich machen, muss allein Covestro mit den Folgen zurechtkommen. Denn die gewünschte Bonitätsnote im Investment-Grade-Bereich kann nur mit frischem Geld aus der Kapitalerhöhung erlangt werden.Beim Spin-off von Lanxess vor zehn Jahren hatte Bayer dagegen einen anderen Haken geschlagen: Das Investment-Grade-Rating sicherte Bayer der Tochter über den Umweg einer Pflichtwandelanleihe, ohne Abstriche bei der Darlehensmitgift in Kauf nehmen zu müssen. Dieses Vorgehen war nicht allerorten auf Beifall gestoßen, sorgten sich die Aktionäre doch, dass der mit dem Pflichtwandler verbundene Aktienüberhang die Kursentwicklung des Börsenneulings bremsen werde. Zumal Bayer kein Hehl daraus gemacht hatte, nicht länger als unbedingt erforderlich bei Lanxess engagiert zu bleiben.Ende gut, alles gut. Lanxess kaufte den Mandatory vor dem Wandlungstermin zurück und reichte das Papier an Morgan Stanley weiter, die die aus der Wandlung entstehenden Aktien noch am gleichen Tag erfolgreich weiterplatzierte.Bei Covestro wird die vollständige Trennung dagegen nicht so einfach gelingen. Denn abgesehen davon, dass sich Bayer verpflichtet hat, in den ersten sechs Monaten nach dem Börsengang keine Aktien auf den Markt zu werfen, geht es um ein weitaus größeres Volumen, hält der Mutterkonzern doch weiterhin die Mehrheit. Von daher geht Bayer mit dem gewählten Vorgehen eine Wette auf steigende Kurse ein. Dabei soll der vollständige Rückzug aus dem Covestro-Kapital in einem überschaubaren Zeitraum über die Bühne gehen.Anders als Lanxess, die als Restrukturierungsstory in die Eigenständigkeit ging, wird Covestro den Investoren als Wachstumsstory präsentiert. Dabei setzen die Mannen um Vorstandschef Patrick Thomas auf eine anziehende Nachfrage, die die vorhandenen Überkapazitäten im Zeitablauf absorbiert und mithin die Leerkosten ausradiert. Auf diesem Weg will der Kunststoffspezialist hinsichtlich der operativen Marge den Anschluss an die Vergleichsunternehmen finden. Der Vorteil: Auf die nächsten Jahre stehen keine größeren Investitionen an, so dass der Cash-flow für Ausschüttungen zur Verfügung steht. Bei Lanxess war dagegen in den ersten Jahren erst gar nicht an Dividende zu denken.Letztlich ist Covestro nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Wette auf die Weltkonjunktur, die von den Megatrends Mobilität, Urbanisierung und Klimaschutz getrieben wird. Und allein von der Größe betrachtet bringt die Bayer-Tochter Potenzial für eine Dax-Mitgliedschaft mit.——–Von Annette BeckerCovestro ist eine Wette auf die Weltkonjunktur. Allein von der Größe bringt der Börsenkandidat Dax-Potenzial mit.——-