Die Schweiz probiert es mit dem Stablecoin
Die Schweiz probiert es mit dem Stablecoin
Die Schweiz probiert es mit dem Stablecoin
Ein neues Gesetz soll der Digitalwährung eine ernsthafte Chance geben. Doch das gewichtige Wort der Banken steht noch aus.
Von Dani Zulauf, Zürich
Der Schweizerfranken ist zwar eine weltweit beliebte Anlagewährung, aber als Zahlungsmittel im globalen Kontext ist die Valuta unbedeutend. Daran würde auch ein Stablecoin nichts ändern, der mit einer Frankendeckung manchen internationalen Investoren zweifellos ins Auge fallen würde. Aber Franken-Coins sind ohnehin kein lukratives Geschäftsmodell – wenigstens bis jetzt nicht. In Zeiten von Negativzinsen müssen Emittenten für die Deckung ihres Coins Zinsen zahlen statt den Münzgewinn einzukassieren. In der Schweiz waren die Zinsen von Anfang 2015 bis 2022 negativ. Die meiste Zeit lag der Leitzins bei -0,75% - Weltrekord. Nach einer kurzen Episode mit höheren Sätzen, bewegen sich die Zinsen jetzt wieder haarscharf oberhalb der Nulllinie.
Schweiz hat „alles was es braucht“
Doch abgesehen vom Zinsniveau hat die Schweiz „alles was es braucht, um ein breit abgestütztes und vollständig reguliertes digitales Zahlungsmittel zu schaffen“, sagt Pascale Bruderer, eine ehemalige Politikerin, die einst als jüngste Abgeordnete ins Schweizer Parlament eingezogen war, um 17 Jahre später von der Politik in die Wirtschaft zu wechseln. Pascale Bruderer ist Präsidentin und Gründerin von Swiss Stablecoin. Sie sieht ihren CHFD, wie der Coin im Ticker heißt, als „digitale Ergänzung der regulierten Zahlungsinfrastruktur. Zum Nutzen von Finanzindustrie, Handel und Gewerbe – und der Schweiz insgesamt“. Gern streicht die Geschäftsfrau auch das politische Motiv ihres Unterfangens heraus: „Die Souveränität ist ein sehr relevanter Aspekt“, sagt sie und verweist auf die auf die rasante Entwicklung des Marktes. Auf rund 300 Mrd. Dollar schätzt die US-Notenbank die aktuelle Menge der ausgegebenen Stablecoins und sie werde sich in den kommenden drei Jahren veracht- und bis in fünf Jahren verfünfzehnfacht haben. Das wäre im Vergleich zur Umlaufmenge von Notenbank- und Buchgeld immer noch wenig, was der spektakulären Dynamik allerdings keinen Abbruch tut. „Die Schweiz braucht ein eigenes, reguliertes Zahlungsmittel“, sagt Bruderer. Die CHFD-Plattform von Swiss Stablecoin sei bereit für den Start: „Wir führen intensive Gespräche mit möglichen Partnern“.
Der Zeitpunkt für einen ernsthaften Startversuch ist besser, als das tiefe Zinsniveau suggeriert. Im Oktober publizierte das Finanzministerium beziehungsweise dessen zuständiges Staatsekretariat den lang erwarteten Vorschlag für eine grundlegende Reform der „Fintech-Bewilligung“ aus dem Jahr 2018. Mit der Fintech-Bewilligung leistete die Schweiz zwar viel Pionierarbeit, indem sie innovativen Anwendungen der Blockchain-Technologie im Finanzbereich durch gezielte Regulierung Entwicklungsmöglichkeiten schaffen wollte. Doch das Regelwerk entpuppte sich als Hürde, die für Stablecoin-Emittenten immer höher wurde, je freizügiger andere Länder die Regulierung digitaler Zahlungsmittel angingen.
Auf dem Boden der bisherigen Schweizer Regulierung war die gedeihliche Entwicklung von Schweizer Digitalwährungsprojekten kaum möglich. Dennoch ist in Lugano erstaunliches passiert. Die Kleinstadt unweit der lombardischen Wirtschaftsmetropole Mailand hatte bereits 2020 eine blockchain-basierte, lokale Währung unter dem Namen LGVA eingeführt und diese direkt in die MyLugano-App integriert. Aus dem Projekt, das ursprünglich die Stimulierung der Covid-geplagten lokalen Wirtschaft zum Inhalt hatte, wurde ein monetäres Experiment, das 2022 als „Lugano’s Plan ₿“ in der Schaffung eines an den Franken gekoppelten Stablecoins gipfelte. Dessen Verwendung ist ausschließlich auf das Stadtgebiet beschränkt.
Das Wunder von Lugano
Wie es scheint, hat nicht zuletzt die geografische Begrenzung dem Projekt zum Erfolg verholfen. Über die MyLugano-App können Bürgerinnen und Bürger Leistungen und Güter von über 500 Händlern und öffentlichen Anbietern erwerben, ohne dafür die bei anderen Zahlungsdienstleistern üblichen Transaktionsgebühren entrichten zu müssen. Stadtschreiber Robert Bregy und Wirtschaftsprofessor Edoardo Beretta von der Università della Svizzera Italiana in Lugano schreiben in einem Aufsatz: „Die Stadtverwaltung, die Händler, das Gewerbe, alle boten Schulungen und Anreize, was das Projekt erst möglich machte.“ Die beiden Autoren haben 2024 in einer Umfrage den LVGA als fast so beliebtes Zahlungsmittel wie mobiltelefonbasierte Bezahlapps identifiziert.

Beretta sagt: „Lugano hat ein sehr sinnvolles Projekt angestossen und gut gehandelt, nun aber ist es wichtig, dass eine gesetzliche Regulierung folgt, deren Entwicklung auch öffentliche Institutionen einbezieht.“ Dieser Prozess ist gerade in Gang gekommen. Das für die Fintech-Bewilligung zuständige Staatssekretariat hat im Oktober den Vorschlag für eine Gesetzesreform in die öffentliche Anhörung geschickt. Die Regulierung definiert Stablecoin-Emittenten als Zahlungsmittelinstitute, für die es im Unterschied zur bisherigen Regulierung keine Begrenzung zur Entgegennahme von Kundengeldern mehr geben soll. Erhöht wird stattdessen der Kundenschutz, und zwar so, dass Kundengelder im Fall eines Konkurses des Emittenten abgesondert bleiben und nicht in die Konkursmasse fallen. Die Geldwäsche-Bestimmung soll gelockert werden. Emittent sollen nicht mehr jeden Coin-Halter kennen und für sauber befinden müssen, sondern dieses Plazet nur noch dem ersten Halter erteilen. Zudem nimmt das Gesetz eine klare Unterscheidung zu Krypto-Instituten vor, für die der Regulator strengere Auflagen vorschlägt.
Keine Rechnung ohne den Wirt
Es sei zu früh, zum spekulieren, wie das Gesetz am Ende aussehen werde, sagt Beretta. Gut sei, dass nun eine breite Konsensfindung in Gang komme. „Krypto ist ein Phänomen, das von unten kommt. Es ist deshalb extrem wichtig, dass möglichst viele Leute und öffentliche Institutionen einen Diskurs über gute Praktiken anzustoßen.“ So wie sich die Schweiz an die Welt des digitalen Bezahlens herantasten will, könnte es mit Pascale Bruderers Vision vielleicht doch not etwas werden. Ihre Vorstellung ist „ein vertrauenswürdiges Zahlungsmittel, das weder Spekulationsobjekt noch Investitionsvehikel ist, sondern eine nützliche Ergänzung zum bestehenden Angebot in einer sich zunehmend digitalisierenden Welt.“
Doch was der Wirt zu der Rechnung sagt oder wie sich die politisch gut vernetzte Bankenbranche zu dem Gesetzesvorschlag verhalten wird, ist freilich offen. Stablecoin-Emittenten und Banken sind nicht nur potentielle Partner, sondern zunächst vor allem Konkurrenten, die um die gleichen Kundengelder buhlen. Es waren die Banken, die 2018 dafür gesorgt hatten, dass von der politisch angedachten disruptiven Kraft einer Fintech-Lizenz wenig übrigblieb. Sie könnten es erneut mit einer Verhinderungsstrategie versuchen, um dem eigenen Projekt eines Swiss Bank Deposit Tokens einen Startvorteil zu verschaffen. Der Token tönt nur dem Namen nach Kryptowährung. Zwar sieht das im Labor bereits erfolgreich getestete Projekt vor, dass die Parteien einer Transaktion via Blockchain direkt gekoppelt werden. Aber den Geschäften liegt herkömmliches Buchgeld zugrunde, das das System aus den Bankkonti aller am Schweizer Zahlungssystem angeschlossenen Banken poolen soll. Die Schweizer Banken haben in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass sie innovative Superkräfte entwickeln können, wenn es darum geht, das eigene Revier zu verteidigen. Doch der technische Fortschritt erfordert einen immer größeren Aufwand. Vielleicht ist die Verhinderungsstrategie nun am Endpunkt angelangt.
