Notiert inNew York

Die Zombies vom Central Park

New Yorks Jogger leiden unter den Horden an Touristen, die fast sämtliche Wege im Central Park verstopfen. Das Fortbewegungsverhalten rund um das Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir regt zu Gedanken über den menschlichen Herdentrieb an, der auch an den Aktienmärkten wieder eine zunehmende Rolle spielt.

Die Zombies vom Central Park

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Die Zombies vom Central Park

Von Alex Wehnert

Der wolkenlose Himmel hat die Farbe einer Butanflamme, eine angenehme Brise weht rund um das Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir, auf dessen Wasser sich die Sonnenstrahlen glitzernd spiegeln – perfekte Bedingungen also für die Zombies vom Central Park. Bei diesen handelt es sich um Touristen jeder Altersstufe und Herkunft, ob aus Neu-Delhi, Nürtingen oder Nothing Gulch, Nebraska. Sie nutzen solche herrlichen Wetterbedingungen in der Regel aus, um die Gehwege in der grünen Lunge Manhattans so konsequent zu blockieren, dass selbst Fußball-Legende und Catenaccio-Verfechter Helenio Herrera vor Neid erblassen würde.

Beliebtestes Opfer der untoten Horde, die sich in geistloser Unkoordiniertheit und quälender Langsamkeit durch den Central Park schleppt, sind die New Yorker Jogger. Viele Laufbegeisterte schätzen die Strecke um das Reservoir als Leichtprogramm, weil der Pfad eben und schonender für die Knie ist als die asphaltierte sowie mit zahlreichen Steigungen versehene große Runde um die gesamte Grünanlage – und sich hier wunderbare Blicke bieten, zum Beispiel über das Wasser auf die Hochhäuser der Billionaires’ Row am Südende des Parks.

Wer sich an die Etikette hält, umläuft das Reservoir gegen den Uhrzeigersinn und hält sich rechts, damit auf dem Pfad genügend Platz zum Überholen für andere Jogger bleibt. Die entsprechenden Hinweisschilder an den Aufgängen in Richtung Wasser ignorieren die Zombies aber ebenso gekonnt wie entgegenkommende Läufer, die häufig dazu gezwungen sind, abzubremsen oder ihren knappen Atem auf Bitten oder Drohungen zu verschwenden, um doch noch ein Mindestmaß an Platz zu erhalten.

Fast noch effektiver im Kampf gegen die Jogger zeigen sich die mindestens zu dritt nebeneinander in der korrekten Laufrichtung dahinkriechenden Zombies. Denn diese wechseln gern unangekündigt die Spur oder fahren spontan ihre Gliedmaßen aus. Wer in vollem Lauf von einem menschgewordenen Texas-Longhorn-Rind einen platzierten Jab kassiert, der erahnt zumindest in Ansätzen, wie sich Ex-Boxweltmeister Leon Spinks einst nach seiner Niederlage durch technischen Knockout gegen den “Easton Assassin” Larry Holmes fühlte.

Haben sich die Sterne vor den Augen erst wieder verzogen, regt die Runde um das Reservoir indes zu Überlegungen bezüglich des menschlichen Herdenverhaltens an. Warum wollen die Touristen aus Neu-Delhi immer genau dort stehen bleiben, wo sich bereits ihre Geistesverwandten aus Nürtingen und Nothing Gulch tummeln? Ist eine Art animalischer Magnetismus am Werk oder löst die Aussicht, etwas vom Sprudeln der Fontäne im Reservoir zu verpassen, wenn man sich geringfügig weiter nördlich postieren würde als alle anderen, lähmende Existenzängste aus?

Solche Verhaltenseffekte spielen im laufenden Jahr auch an den Märkten eine bedeutende Rolle. Der Herdentrieb unter Sparern und Investoren hat die Krise der US-Regionalbanken befeuert. Derweil treibt die “Fear of Missing Out” (FOMO) – die Angst, Gewinne zu verpassen – Anleger wieder in Meme Stocks. Dabei handelt es sich um Titel mit geringer Marktkapitalisierung und hohem Short Interest, die auf Social Media beworben werden und in kurzer Zeit gewaltige Kursgewinne hinlegen. So hat die Aktie von Tupperware ihren Wert trotz massiver Liquiditätsprobleme des Kunststoffbox-Unternehmens binnen acht Tagen fast verneunfacht.

Auch am Markt für Initial Public Offerings (IPO) macht sich FOMO breit. In der vergangenen Woche wagte das Beauty-Unternehmen Oddity Tech den Sprung an die Börse. Die Aktie legte am ersten Handelstag um 35% zu und lag Stand Mittwoch mehr als 50% über dem Ausgabepreis von 35 Dollar. Investmentbanker hoffen nun auf eine nachhaltige Belebung des IPO-Geschäfts. Insgesamt bleibt die Primärmarktaktivität 2023 aber weit hinter dem Durchschnitt der Vorjahre zurück. Die Wall-Street-Vertreter benötigen also wohl noch einen langen Atem – ähnlich wie die New Yorker Jogger im Duell mit den Zombies vom Central Park.

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