LEITARTIKEL

Digitale Torwächter

Knapp 98 Mrd. Dollar bringt der Börsenneuling Airbnb an der Technologiebörse Nasdaq aktuell auf die Waage. Der Börsengang, bei dem zu Beginn eine Bewertung von nur 35 Mrd. Dollar angepeilt worden war, ist sowohl für die Altinvestoren als auch die...

Digitale Torwächter

Knapp 98 Mrd. Dollar bringt der Börsenneuling Airbnb an der Technologiebörse Nasdaq aktuell auf die Waage. Der Börsengang, bei dem zu Beginn eine Bewertung von nur 35 Mrd. Dollar angepeilt worden war, ist sowohl für die Altinvestoren als auch die Käufer der neuen Aktien ein Erfolg auf ganzer Linie. Gegenüber dem Ausgabepreis hat sich der Kurs mehr als verdoppelt. Das ist besonders bemerkenswert in einem Jahr, das für die Reiseindustrie eine reine Katastrophe war und viele Unternehmen der Branche ohne staatliche Unterstützungsprogramme in den Konkurs getrieben hätte.Nicht so Airbnb. Zwar war es auch für das in den vergangenen Jahren kräftig gewachsene Start-up ein ungewöhnliches Jahr. Selbst im besser verlaufenen dritten Quartal ging der Umsatz noch um 18 % zurück. Das Schlussvierteljahr dürfte angesichts der umfangreichen Reisebeschränkungen noch enttäuschender gelaufen sein. Allerdings bedeutet das kaum kapitalintensive Geschäftsmodell des Plattformbetreibers auch, dass derartige Umsatzeinbrüche deutlich besser abgefedert werden können als bei traditionellen Touristikvermittlern wie der Tui, die von der Nichtauslastung eigener touristischer Angebote tief in die roten Zahlen gezogen wurde. Airbnb erzielte im jüngsten Quartal derweil sogar mal einen Gewinn.Aktieninvestoren haben viele Gründe, zu Plattformanbietern wie Airbnb zu pilgern. Der Newcomer dominiert in vielen Ländern bereits den von ihm nicht einmal geschaffenen Markt der Vermittlung privater Übernachtungsangebote. Vorteile von Airbnb sind aus Kundensicht die einfache Handhabung der Plattform und eine zumindest scheinbar höhere Transparenz zur Qualität der Unterkünfte als etwa bei traditionellen Reiseunternehmen über eine Vielzahl von Kundenbewertungen. Neben privaten und professionellen Ferienwohnungsanbietern nutzen längst auch kleinere Pensionen Airbnb, um neue Kunden zu finden. Die Gebühr an den US-Konzern wird dabei oft an den Kunden weitergegeben – etwa indem ein Frühstück, das bei Direktbuchung dabei wäre, für Airbnb-Kunden wegfällt.Hier zeigen sich Charme und Dilemma der Plattformökonomie in einem. Nirgends kann ein Anbieter von Waren oder Dienstleistungen ähnlich viele Kunden treffen wie bei den führenden Vermittlungsplattformen. Für Einzelhändler sind das in der Regel Amazon oder Ebay. Für Übernachtungsanbieter ist es Airbnb. Je mehr Menschen eine Plattform nutzen, desto attraktiver ist sie für die Anbieter. Je mehr Anbieter auf einer Plattform sind, desto attraktiver ist diese für die Nutzer – ein sich selbst verstärkender Kreislauf, an dessen Ende eine Onlineplattform wie ein schwarzes Loch alles Geschäft in sich aufsaugt. Das “Winner takes it all”-Prinzip in Reinform. Investoren haben dieses Szenario im Blick, wenn sie Airbnb, Delivery Hero oder Uber gigantische Bewertungen zuteilwerden lassen, die scheinbar im Gegensatz zu dem oft weder besonders großen noch nachhaltig profitablen Geschäft stehen.Allerdings bestand dieser Widerspruch bei Amazon über Jahrzehnte. Das Unternehmen dominierte den wachsenden Onlinehandel, ohne wirklich Geld zu verdienen. Mittlerweile scheffelt der digitale Gatekeeper im Retailgeschäft Milliarden und ist in mehrere angrenzende Geschäftsfelder vorgedrungen. In der Nach-Pandemie-Ära könnte Airbnb in der Reisebranche eine ähnliche Rolle einnehmen. Die geschwächten Touristikkonzerne werden dann vermutlich ihr Angebot zusammenstreichen, um Kosten zu senken. Die Kalifornier dürften derweil darauf setzen, ihr Portfolio noch auszubauen – eine milliardenschwere Bewertung und die Möglichkeit, sich günstig Kapital zu beschaffen, im Rücken.——Von Sebastian SchmidAirbnb ist trotz Krise ein riesiger Börsengang geglückt. Der Übernachtungsvermittler könnte zum Gatekeeper der Branche werden, spekulieren Investoren.——