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Eigenverwaltung in der Dauerschleife

Mehrere Unternehmen durchlaufen derzeit schon zum zweiten Mal binnen weniger Jahre eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Dabei wurden die Eingangsvoraussetzungen bereits verschärft. Die Sorge vor Restrukturierungen in Serie wächst.

Eigenverwaltung in der Dauerschleife

In der Dauerschleife

Mehrere Unternehmen durchlaufen derzeit schon zum zweiten Mal binnen weniger Jahre eine Insolvenz in Eigenverwaltung. Dabei wurden die Eingangsvoraussetzungen bereits verschärft. Die Sorge vor Restrukturierungen in Serie wächst.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Wer über Restrukturierungen berichtet, fühlt sich mitunter wie in einer Zeitschleife: Eigenverwaltung bei Galeria, Hallhuber insolvent, Gerry Weber in der Krise – all das hat man vor wenigen Jahren schon einmal berichtet. Für die Mitarbeiter der Unternehmen bedeutet die Wiederholung ein erneutes Bangen um den Job, für die Gläubiger die Aussicht auf erneute Verluste. Galeria schlüpfte nach dem Frühjahr 2020 im Herbst 2022 erneut unter den Schutzschirm, eine Unterform der Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Modekette Hallhuber meldete Ende Mai den Gang in die Eigenverwaltung, nachdem sie im April 2020 bereits ein Schutzschirmverfahren gestartet hatte. Die frühere Unternehmensmutter Gerry Weber will nach der Insolvenz in Eigenverwaltung 2019 nun ihre Passivseite über ein vorinsolvenzliches StaRUG-Sanierungsverfahrens neu aufstellen, die Retail-Tochter durchläuft erneut eine Eigenverwaltung.

Gerade das erneute Schutzschirmverfahren von Galeria wurde auch außerhalb von Fachkreisen breit diskutiert, und das teils heftig. Es wurden Vorwürfe laut, das Verfahren werde missbräuchlich genutzt, um Managementfehler zu kaschieren. Wolfgang Grupp, der streitbare Eigentümer des T-Shirt-Herstellers Trigema, der als eingetragener Kaufmann mit seinem Vermögen für sein Unternehmen haftet, nannte das Schutzschirmverfahren in einem Kommentar sogar einen „Skandal zulasten der anständigen Unternehmer“.

Zugang verschärft

Dabei wurde der Zugang zur Eigenverwaltung zum Jahresanfang 2021 bereits nachgeschärft. Hintergrund war die Feststellung, dass einige Verfahren erst spät eingeleitet wurden – zu einem Zeitpunkt, als eine Unternehmenskrise schon weit fortgeschritten war. Diese Verfahren endeten dann oft doch in der Regelinsolvenz. Seit Anfang 2021 müssen Antragsteller den Eintritt in die Eigenverwaltung umfassender vorbereiten, unter anderem müssen sie vor Gericht einen Sechs-Monats-Finanzplan und ein Konzept zur Krisenbewältigung vorlegen.

Stefan Weniger, Vorstandsmitglied des Vereins Forum 270, der sich für Qualität und Verantwortung in der Eigenverwaltung einsetzt, begrüßt diese Verschärfung. „Wer die Eigenverwaltung ernst genommen hat, hat diese Punkte ohnehin auch zuvor schon beherzigt“, sagt er.

Die strengeren Kriterien sollen Glücksritter abhalten. „Man kann eine Eigenverwaltung nicht mehr einfach ausprobieren“, sagt Silvio Höfer, Partner bei Anchor Rechtsanwälte und Vorstandsmitglied bei Forum 270. Die Planungen zu Konzept und Finanzierung seien so umfassend, dass man bereits vor dem Gang in ein Verfahren viel Arbeit hineinstecken müsse. „Die Fälle, in denen ein Unternehmen eine Eigenverwaltung einfach mal probiert hat, um dann doch in eine fremdverwaltete Insolvenz zu wechseln, wenn es nicht klappt, sind in den vergangenen Jahren wahrnehmbar weniger geworden“, beobachtet Höfer.

Fokus auf Geschäftsmodell

Auch Klaus Ziegler, Partner der Sanierungs- und Insolvenzberatung Planer & Kollegen, beurteilt die strengeren Eingangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung positiv. „Die Qualität der Eigenverwaltung verbessert sich“, ist sein Eindruck. Dass die Debatte gerade derart hochkocht, hängt für ihn auch mit einer falschen Erwartung zusammen: „Weder die Eigenverwaltung noch die Regelinsolvenz können ein Geschäftsmodell transformieren“, betont Ziegler. Zwar könne man mit den Verfahren Schulden und schnell Kosten abschneiden und somit den finanziellen Druck senken, ein nachhaltig erfolgreiches Geschäftsmodell erwachse daraus allerdings nicht.

Genau diesem Kritikpunkt müssen sich einige der Wiederholungsnutzer stellen. Sowohl im Handel als auch in der Modebranche suchen viele Unternehmen noch nach dem richtigen Weg, um sich im neuen Wettbewerbsgefüge zwischen stationärem Handel und Onlinehandel zu positionieren.

Ein Geschäftsmodell anzupassen kostet allerdings Geld – und das könnte kurzfristig die Quote für die Gläubiger schmälern. „An dieser Stelle wäre eine Debatte mit den Gläubigern wünschenswert, um offen über Chancen und Risiken von Sanierungslösungen zu sprechen, die vielleicht kurzfristig weniger Quote bringen, aber langfristig mehr Chancen bieten. Damit könnte man beispielsweise die Gläubiger auch an späteren Erfolgen partizipieren lassen“, sagt Ziegler.

Ohne Risiko ist das Modell allerdings nicht. Gerry Weber hat ihren Gläubigern nach der Restrukturierung 2019 verschiedene Optionen angeboten. Sie konnten etwa einen Teil ihrer Forderungen in Kapitalmarktinstrumente tauschen, um eine langfristige Chance zur Wertaufholung zu erhalten. Die erneute Restrukturierung dürfte die Kalkulationen dramatisch verändert haben.

Emotionale Debatte

Die Wiederholungsfälle stechen hervor, weil sie dem widersprechen, wofür eine Eigenverwaltung eigentlich stehen soll: frühzeitige Neuausrichtung, um dem überlebensfähigen Kern eines Betriebs den Neustart zu ermöglichen. Wie viele Unternehmen mehrere Verfahren durchlaufen, lässt sich kaum erfassen. Häufig wechselt nach der Sanierung der Name, die Fälle sind daher in Datenbanken nicht unmittelbar verknüpft. Auch wenn die Forderung naheliegt, mehr Fokus auf die Behebung von Krisenursachen zu legen, ist fraglich, wer dies leisten soll. Die Gerichte dürften kaum Zeit haben, sich mit jedem Geschäftsmodell im Detail zu befassen. Gläubiger könnten sich damit schwertun, die Geschäftsstrategie eines Unternehmens langfristig zu beurteilen. Und die Personalstärke der Work-out-Units in den Banken, bei denen problembehaftete Kredite landen, hat in den vergangenen Jahren vielerorts abgenommen. Sanierungsberater Ziegler könnte sich bei der Einschätzung von Geschäftsmodellen eine stärkere Einbindung von Gutachtern vorstellen, wobei auch diese freilich bezahlt werden müssten. Sie beurteilen etwa im Rahmen von IDW-S6-Gutachten die Fortführungsperspektive von Unternehmen.

Gerade die erneute Eigenverwaltung von Galeria hat die Wogen hochschlagen lassen. „Die Diskussion ist gerade sehr emotional“, sagt Silvio Höfer. Sein Eindruck: „Ein Stück weit wird hier der Ärger über verlorene öffentliche Gelder auf das Verfahren der Eigenverwaltung übertragen.“ Stefan Weniger findet die Auseinandersetzung mit dem Verfahren grundsätzlich positiv – „nur mit Polemik habe ich in diesem Kontext ein Problem“, sagt er. Eine weitere Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen hält er für nicht erforderlich. Letztlich sei eben auch die Eigenverwaltung eine Form des Insolvenzverfahrens. „Mit dem Frust, dass in aller Regel nicht alle Forderungen zurückgezahlt werden können, muss man leben.“

Stärker in die Haftung

Die erneuten Verfahren lassen noch einen weiteren Kritikpunkt an der Eigenverwaltung hochkochen: den Vorwurf, sie mache den Bock zum Gärtner. Denn in der Eigenverwaltung bleibt die bestehende Geschäftsführung im Amt, unterstützt wird sie von einem insolvenzrechtlichen Berater. Klaus Ziegler meint, vielen Geschäftsführern sei gar nicht bewusst, dass ihr Geschäftsmodell an Berechtigung verloren habe. „Ich stelle gern gleich im Erstgespräch die Frage, was der Unternehmer verändern möchte“, berichtet er. „Wenn er am liebsten weitermachen möchte wie zuvor, dann muss man ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht lieber abwickelt oder einen neuen Eigentümer sucht, der dann die Transformation anstößt.“

Bei den insolvenzrechtlichen Beratern sieht man auch bei Forum 270 noch Verbesserungspotenzial. Denn wie ein solcher Berater in der Praxis agiert, ist sehr unterschiedlich. Manche werden Teil der Geschäftsführung, etwa als Restrukturierungsgeschäftsführer, andere beschränken sich auf eine rein beratende Funktion. „Im Zweifel sollten Verantwortung und auch Haftung für das Ergebnis in einer Hand liegen“, findet Weniger. Das ist allerdings nur der Fall, wenn der Sanierer Teil der Geschäftsführung oder des Vorstands wird. Auch Jurist Höfer plädiert dafür, die Berater eines Eigenverwaltungsverfahrens formeller einzubinden. „Ein Geschäftsführer hat ein ganz anderes Selbstverständnis als ein insolvenzrechtlicher Berater.“