Großbritannien

Ein Clown als Welten­retter

Boris Johnson demonstriert zwar Optimismus. Er hat aber keinen Plan, um der aktuellen Herausforderungen Herr zu werden.

Ein Clown als Welten­retter

Boris Johnson hat keinen Plan. So viel ist sicher. Während Großbritannien in eine schwere Krise schlittert, unterhält er seine Anhänger auf dem Tory-Parteitag mit gefälligen Wortspielchen und verbreitet gute Laune. Wer ihn kennt, erwartet auch gar nicht viel mehr. Ein bisschen Optimismus könnte dem von der Pandemie gezeichneten Land zwar nicht schaden. Doch fehlt es in 10 Downing Street offenbar an Problembewusstsein. Trotz einer überwältigenden Mehrheit im Unterhaus haben die Konservativen bitter nötige Reformen unterlassen. Inkompetenz, Ideenlosigkeit und ideologische Verblendung haben – in Verbindung mit einer Verkettung unglücklicher Um­stände – dazu geführt, dass vielen Briten ein harter Winter ins Haus steht.

Als das Ölfeld Brent vor 50 Jahren in der Nordsee entdeckt wurde, hoffte man, sich künftig selbst mit Energie versorgen zu können und zudem durch Exporte reich werden zu können. Erst vor einem Jahrzehnt wurde das Ausmaß der Schiefergasvorkommen in Großbritannien offenbar. Man fragt sich unwillkürlich, wie Erdgas in so einem Land knapp werden kann. Die Preise bewegten sich am Spotmarkt diesen Monat schon auf einem Niveau, das zuvor nie erreicht worden war. Die Regierung Johnson hatte das Thema Fracking unter Verweis auf mögliche Bergschäden nicht weiterverfolgt. Das Thema war in den großbürgerlichen Kreisen, in denen sich Johnson in London gerne bewegt, ohnehin verpönt. Die industrielle Revolution hätte unter solchen Rahmenbedingungen nicht stattgefunden. Hohe regulatorische Anforderungen sorgen einem Produzenten zufolge heute dafür, dass Nordseegas, das in anderen europäischen Ländern für gut genug befunden würde, nicht ins britische Netz eingespeist werden darf.

Ambitionierten Klimaschutzzielen wurde Vorrang vor einer bezahlbaren und verlässlichen Energieversorgung gegeben. Bislang stellte sich die Frage nach den Kosten der Energiewende schlicht nicht. Es blies ausreichend Wind, um die Schönwetterpolitik der vergangenen Jahre nicht in Frage stellen zu müssen. Auf eine im Nachbarland Frankreich stark genutzte CO2-neutrale Energiequelle hatte man übrigens weitgehend verzichtet. Denn das Erdgas aus der Nordsee war zunächst so billig, dass man statt der unter Margaret Thatcher geplanten acht Atomkraftwerke nur eines baute. Für den ersten AKW-Neubau seit zwei Jahrzehnten holte man sich dann chinesische Investoren ins Boot, auf die man nun ganz gerne verzichten würde. Von alledem wird nicht viel die Rede sein, wenn sich Johnson, der auf dem Parteitag in erster Linie den Clown gab, auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow als Weltenretter präsentieren wird. Doch zeigt sich daran die Kurzsichtigkeit, mit der in Großbritannien immer wieder agiert wird.

Vor diesem Hintergrund ist es ein gewagtes Spiel, wenn Johnson so tut, als wäre der für die Zeit nach dem Brexit schon seit Jahren vorher­gesagte Arbeitskräftemangel Teil eines großen Plans, der eine Gesellschaft mit hoch qualifizierten und mindestens ebenso hoch bezahlten Menschen hervorbringen soll, die nur wenig Steuern zahlen müssen. Denn es ist keinesfalls gesagt, dass es zu dem angestrebten Anpassungsprozess kommen wird. Angeblich sind die Einkommen für bestimmte Berufsgruppen be­reits gestiegen, seitdem nicht mehr unbegrenzt auf Niedriglöhner aus der EU zurückgegriffen werden kann. Das Statistikamt ONS schätzt jedoch, dass sich die Lohnanstiege insgesamt bislang auf einem Niveau bewegen, das gerade einmal die Teuerungsrate ausgleicht, wenn man die Daten um pandemiebedingte Verzerrungen bereinigt. Die Produktivität wird nur steigen, wenn Firmen in Automatisierung investieren, statt wie bislang ein paar entgarantierte Jobs mehr zu schaffen.

Der von Johnson angeblich angestrebte Wandel ist nur als langer Prozess vorstellbar. Unterdessen schießen die Energiepreise nach oben und die Sozialversicherungsabgaben steigen. Solange die Produktivität nicht steigt, werden höhere Einkommen von Lkw-Fahrern und anderen gesuchten Berufsgruppen lediglich dafür sorgen, dass der Preisauftrieb zunimmt. Zugleich fallen Sonderzahlungen an Sozialhilfeempfänger weg, die während der Pandemie geleistet wurden, und das Kurzarbeitsprogramm der Regierung läuft aus. Für die zahllosen offenen Stellen sind die Betroffenen nicht qualifiziert. Kein Wunder, dass sich Johnson bislang nicht zu den Kosten seiner Klimapolitik für die Allgemeinheit äußern wollte. England wurde zuletzt vor einem Jahrzehnt von sozialen Unruhen erschüttert. Es könnte bald wieder so weit sein.