KolumneUnterm Strich

Ein Land dreht sich im Kreis

Ein Fall von kognitiver Dissonanz: Während die Konjunktur einbricht und die Minister der Ampel-Koalition sich gegenseitig blockieren, fabuliert der Bundeskanzler über die Wirtschaftsstärke Deutschlands.

Ein Land dreht sich im Kreis

Ein Land dreht
sich im Kreis

Von Claus Döring

Ein Fall von kognitiver Dissonanz: Während die Konjunktur einbricht und die Minister der Ampel-Koalition sich gegenseitig blockieren, fabuliert der Bundeskanzler über die Wirtschaftsstärke Deutschlands.

„Ich bin derjenige, der das Tempo macht“, antwortete Bundeskanzler Olaf Scholz im Sommerinterview des ZDF auf die Frage, welche Rolle er im Ruderboot der Regierung habe, und fügte hinzu, „und ich sorge dafür, dass es vorankommt.“ Dass Wunsch und Wirklichkeit bei Olaf Scholz weit auseinanderklaffen, hat man nicht erst dieser Tage beim Scheitern des Wachstumschancengesetzes im Kabinett und der Vertagung auf die Klausur in Schloss Meseberg Ende August gesehen. Die Selbstwahrnehmung des Bundeskanzlers wie auch der Bundesregierung insgesamt kann man nur als kognitive Dissonanz beschreiben, wenn beispielsweise Innenministerin Nancy Faeser erklärt, die Bundesregierung arbeite sehr viel besser zusammen, als es oft wahrgenommen werde.

Nun dürfen Kanzler und Minister(innen) von sich halten, was sie wollen. Problematisch wird es, wenn auch ihre Wahrnehmung der Verhältnisse hier im Land getrübt ist beziehungsweise der Schönfärberei unterliegt. Während der Internationale Währungsfonds Deutschland die rote Laterne unter den G7 umhängt und Wirtschaftsforscher unisono eine strukturelle Wachstumsschwäche ausmachen, fabuliert der Bundeskanzler in Interviews vom Erfolg Deutschlands als Exportnation und von der Möglichkeit eines künftigen Wachstums wie beim Wirtschaftswunder. Fakt ist, dass selbst das Wachstumschancengesetz ein Euphemismus ist. Denn dessen mit der Gießkanne verteilten Steuererleichterungen im Volumen von 6 Mrd. Euro jährlich werden Deutschland nicht auf den Wachstumspfad zurückführen. Und die von Familienministerin Lisa Paus ursprünglich gewünschten 12 und nun auf 7 Mrd. Euro bezifferten Mehrausgaben für die Kindergrundsicherung ebenfalls nicht. Es bedarf schon einer besonderen ökonomischen Logik, vorrangig in den Konsum fließende Transferleistungen zur Armutsbekämpfung – so wünschenswert sie sind – als Investitionen in die Zukunft Deutschlands zu verkaufen. Da wären diese Gelder zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur oder zum Ausbau der Kinderbetreuung für berufstätige Eltern besser investiert.

Da Kompromisse in der Ampel-Koalition bevorzugt nach dem Prinzip „Gibst du mir, geb ich dir“ ausgehandelt werden, dürften in Schloss Meseberg noch einige Geldquellen erschlossen werden, um jene von Finanzminister Christian Lindner für die Kindergrundsicherung eingeplanten 2 Mrd. Euro nachzubessern – Schuldenbremse hin oder her. Wenn diese Bundesregierung wenigstens in einer Hinsicht gut zusammenarbeitet, dann ist es beim Umwidmen von Haushaltstiteln und -mitteln, wie jüngst beim Klima- und Transformationsfonds KTF zu sehen war. Wie gut, dass die von der Kindergrundsicherung Begünstigten heute noch nicht wissen, dass sie ihre Armutsbekämpfung dereinst als Steuerzahler selbst finanzieren müssen. Denn die Schulden von heute sind bekanntlich die Steuern von morgen.

Die Bundesregierung hat die Sommerpause nicht genutzt, um zur Halbzeit der Legislaturperiode eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Der Streit um Wachstumspaket, Rentenpaket, Arbeitszeitflexibilisierung, Wohnungspolitik und Energiepreissubventionen beziehungsweise Industriestrompreis geht munter weiter, mal auf offener Bühne, mal in den Hinterzimmern. Und je näher die nächsten Landtagswahlen rücken und je stärker die Koalitionsparteien in Umfragen an Wählergunst verlieren, desto heftiger werden die Grabenkämpfe. Der Bundeskanzler freilich schaut dem Treiben lächelnd zu und bildet sich ein, die Richtung zu bestimmen und Tempo zu machen. Doch wenn im Boot, um auf das Eingangsbild zurückzukommen, auf der rechten und der linken Seite in die jeweils andere Richtung gerudert wird, dann dreht sich das Boot im Kreis. Mag sein, dass der Bundeskanzler in Meseberg die Schlagzahl erhöht. Dann wird sich das Boot noch schneller drehen. Aber wirklich voran kommt auf diese Weise weder die Ampel-Koalition noch das von ihr regierte Land.

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