Ein neuer Aufbruch
Volkswagen ist ein Unternehmen der Superlative. Das bleibt der größte Autobauer Europas auch in der schwersten Krise seiner Geschichte. Jetzt will er mit einem Umbau von historischer Dimension seine unprofitable Kernmarke nicht nur auf Rendite trimmen, sondern sich zugleich auch noch an die Spitze der Bewegung in Richtung Elektroauto und digitale Dienste setzen. Der tiefsten Verunsicherung nach Bekanntwerden des Abgasbetrugs bei weltweit 11 Millionen Dieselautos soll die größtmögliche Aufbruchstimmung folgen.Der “Zukunftspakt” für die Marke Volkswagen zeigt wie schon die im Juni in Grundzügen vorgestellte neue Konzernstrategie: Gelähmt von der Abgasaffäre und ihren nicht absehbaren horrenden Belastungen ist man in Wolfsburg nicht. Es drängt sich eher die Frage auf, ob der Wurf, zu dem sich Management und Betriebsrat nach monatelangen, zähen Verhandlungen am Freitag gegenseitig gratulierten, in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt auch ohne “Dieselgate” und ohne die personellen Veränderungen der vergangenen zwei Jahre in der Konzern- und Markenführung möglich gewesen wäre.Für ein großes Reformprogramm war es höchste Zeit. Die Ertragslage der Marke Volkswagen ist nach stark gestiegenen Fixkosten in den vergangenen Jahren verheerend. Bei der Produktivität fahren die Wolfsburger Konkurrenten wie Toyota weit hinterher. Ohne den Konzern, so lautet die bittere Erkenntnis nicht erst seit gestern, wäre VW Pkw nicht in der Lage, den Umbruch ins Zeitalter der E-Mobilität, des autonomen Fahrens und der mobilen Dienstleistungen zu bewältigen – und den Angriffen neuer mächtiger Wettbewerber stand zu halten. Das allein für den laufenden Geschäftsbetrieb erforderliche Kapital wird seit langem und bei Weitem nicht erwirtschaftet. In der Branche hält man dafür eine Umsatzrendite von 4 % erforderlich. Volkswagen Pkw weist für das dritte Quartal 2016 gerade einmal 1,5 % aus. Für Wachstumsinvestitionen müssten operative Margen von 6 % erreicht werden.Dieses Ziel wird die Marke Volkswagen bis 2020 – bis dahin sieht der Zukunftspakt einen positiven Ergebniseffekt von 3,7 Mrd. Euro jährlich vor – nicht erreichen. Die bis dahin angestrebte Rendite von 4 % erscheint somit wie ein Zwischenziel, dem in den Jahren danach weitere Sparmaßnahmen folgen werden. Das heißt: Dem bis 2020 geplanten Abbau von rund 30 000 Arbeitsplätzen, der mit 23 000 vor allem die deutschen Standorte trifft, dürften sich weitere Kürzungen anschließen. Auch deshalb hob der Betriebsrat bei der Präsentation des Zukunftspaktes nicht nur hervor, dass ein unkontrollierter Stellenabbau vom Tisch sei, sondern auch, dass es betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 nicht geben werde.Von einem Ergebnis der Vernunft sprechen nun die Arbeitnehmervertreter, vom einzigen Weg, der in die Zukunft führt, das VW-Management. Beide Seiten wissen: Die Arbeit fängt jetzt mit der Umsetzung von Rosskur und Umbau erst an. Ob der Kompromiss trägt? Ob sich das Renditeziel bis 2020 erreichen lässt? Sicher ist das schon allein nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht. Das große Sparen war schon 2014 programmiert, als der damalige Konzern- und Markenchef Martin Winterkorn VW Pkw eine Diät verordnete. Bis 2017 sollte sich ein nachhaltiger Ergebniseffekt von rund 5 Mrd. Euro einstellen. Es galt die ehrgeizige Vorgabe einer operativen Marge von 6 % bis 2018. Doch die Abgasaffäre beendete nicht nur Winterkorns Amtszeit. Auch das “Future Tracks”-Programm verschwand in der Versenkung.Mit dem “Pakt für mehr Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit” hat sich Volkswagen viel aufgeladen. Bis 2020 soll die Marke nicht nur sparen, bis dahin soll sie auch völlig neu aufgestellt sein. So lautet der eigene Anspruch. Rund 3,5 Mrd. Euro sind als Investitionen in “Zukunftsfelder und zukunftsfähige Arbeitsplätze” vorgesehen. 9 000 neue Stellen sollen geschaffen werden, etwa in der Softwareentwicklung. Ob die Standortbedingungen für die Entwicklung und die Produktion von Elektroautos auf Dauer tragen werden, ist jedoch ungewiss. Für eine erfolgreiche Batteriezellfertigung beispielsweise werden nicht zuletzt die Energiekosten entscheidend sein.Die Marke Volkswagen hat mit dem Zukunftspakt einen Fahrplan für die nächsten Jahre erhalten, der nicht zuletzt den Standortinteressen des Großaktionärs Niedersachsen entspricht. Ob die Marke damit aus der Misere kommt, ist offen.——–Von Carsten SteevensDer Zukunftspakt für die unprofitable Marke Volkswagen formuliert bis 2020 nur ein Zwischenziel. Es werden danach weitere Sparmaßnahmen folgen.——-