Brüssel

Ein Reformpaket für die nächste Europawahl

Das EU-Parlament will die Mängel der letzten Europawahl für 2024 ausbügeln. Geplant ist unter anderem die Einführung transnationaler Wahllisten. Ob die EU-Mitgliedstaaten da mitmachen, ist offen.

Ein Reformpaket für die nächste Europawahl

Die letzten Europawahlen haben 2019 noch einmal klar den ganzen Murks des demokratischen Systems à la EU offengelegt: Das sogenannte Spitzenkandidatensystem wurde ad absurdum geführt, weil im Endeffekt keiner der Spitzenkandidaten, sondern eine deutsche Verteidigungsministerin EU-Kommissionspräsidentin wurde. Gewählt werden konnten nur nationale Kandidaten (mit oft nur nationalen Programmen). Gewählt wurde an unterschiedlichen Tagen. In einigen Ländern galten Sperrklauseln, in anderen nicht. In rund der Hälfte der EU-Staaten reichte es, als Kandidat mindestens 18 Jahre alt zu sein, in den übrigen Ländern galten ganz andere Altersgrenzen, in Italien oder Griechenland beispielsweise 25 Jahre. In einigen Ländern durften schon 16-Jährige wählen, in anderen nicht. Gleiche Ausgangsbedingungen in der EU-27? Fehlanzeige.

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Bei der noch laufenden Konferenz zur Zukunft der EU werden aktuell noch verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert. Der Verfassungsausschuss des Europaparlaments hat jetzt aber schon mal eine Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht, die tatsächlich viele der Mängel ausbügeln würde. Im Mai stimmt erst einmal das Plenum des Parlaments über die Pläne ab. Hier ist eine breite Mehrheit sicher, da die vier größten Fraktionen, also Christ- und Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, die Reform unterstützen. Damit diese aber bei der nächsten Wahl 2024 greifen könnte, müssten auch die EU-Mitgliedstaaten erst einmal einstimmig grünes Licht geben – und dies könnte noch schwierig werden, weil es auch darum geht, die Macht des Europäischen Rates ein Stück weit zu beschneiden.

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Zu den wesentlichen Neuerungen soll nach Vorstellungen des Parlaments die Einführung von transnationalen Listen gehören. Demnach soll jeder Wähler künftig zwei Stimmen erhalten: eine für die Wahl eines EU-Abgeordneten aus dem jeweiligen nationalen Wahlkreis und eine für eine länderübergreifende Liste, auf der dann Kandidaten aus mindestens 14 EU-Mitgliedstaaten stehen. So soll es dann endlich auch eine richtige europäische Wahl werden.

Allerdings: Einen wirklich radikalen Schnitt traute sich offenbar auch der Verfassungsausschuss nicht. Nur 28 zusätzliche Abgeordnete sollen über die transnationalen Listen europaweit gewählt werden. 705 Abgeordnete werden dagegen weiter auf dem herkömmlichen Weg bestimmt. Gefeiert wird das Reförmchen dennoch. „Transnationale Wahllisten zusammen mit einer rechtlich verbindlichen Verankerung des Spitzenkandidatenprinzips stellen eine historische Chance dar und verhindern, dass sich das Desaster wie nach der letzten Europawahl in Zukunft wiederholt“, sagt Gabriele Bischoff von der Europa-SPD.

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Laut den Vorschlägen soll eine neue europäische Wahlbehörde für die Registrierung der Listen zuständig sein. Weitere Neuerungen durch die Reform: Das Mindestwahlalter soll möglichst auf 16 Jahre abgesenkt werden. Jeder EU-Bür­ger über 18 Jahren sollte das Recht haben, sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Die Gleichstellung der Geschlechter sollte auf den Kandidatenlisten obligatorisch sein. Und als Wahltag wird der „Europatag“ am 9. Mai in allen EU-Ländern festgeschrieben.

Am strittigsten ist wohl, dass das Paket die Einführung einer Sperrklausel von 3,5 % in großen Ländern vorsieht. In Deutschland waren 2019 durch das Fehlen einer solchen Hürde neun Abgeordnete von Kleinstparteien ins EU-Parlament eingezogen, von Volt, Piraten, Freien Wählern, Tierschutzpartei, der „Partei“ und Ökologisch-Demokratischer Partei. Einer von ihnen, Patrick Breyer von der Piraten-Partei, verweist darauf, dass mit der nun geplanten Sperrklausel bei der jüngsten Europawahl 3,1 Millionen Wählerstimmen für die sechs kleinen Parteien „wertlos verfallen und deren Parlamentssitze stattdessen an das politische Establishment gegangen“ wären, die nun ihre eingebrochenen Wahlergebnisse kompensieren wollten.