Notiert inTokio

Der wertvollste Sportler der Welt

Baseball ist in Japan genau wie in den USA Nationalsport. Für große Aufregung sorgt daher ein Rekordvertrag in den USA für den japanischen Baseball-Star Shohei Ohtani.

Der wertvollste Sportler der Welt

Notiert in Tokio

Der wertvollste Sportler der Welt

Von Martin Fritz

In ganz Japan stürzten sich die Baseball-Fans am Sonntag auf Extrablätter der großen Tageszeitungen, die den Wechsel von Shohei Ohtani von den Los Angeles Angels zu den Los Angeles Dodgers verkündeten. „10-Jahres-Vertrag für 101,5 Mrd. Yen“, titelte die „Yomiuri Shimbun“. Die Summe entspricht 650 Mill. Euro – oder 65 Mill. Euro pro Jahr bis 2034, obwohl er nach einer Operation am Wurfarm 2024 nur halb einsatzfähig sein wird. Kein Sportler verdiente jemals so viel wie Ohtani, nicht einmal Lionel Messi bei Inter Miami in der US-Fußballliga, wo er 50–60 Mill. Dollar jährlich erhalten soll.

Der 29-Jährige wurde in diesem Jahr erneut einstimmig zum „Most Valuable Player“ im US-Baseball gewählt. Denn seit seiner Ankunft in den USA 2018 – zuvor spielte er fünf Jahre lang für die Hokkaido Nippon Hamsters – definierte er den modernen Baseball neu und stieg zur Ikone seines Sports auf. Niemand reicht an seine Leistungen als Starting Pitcher (Werfer) und Power Batter (Schlagmann) heran. Weil er sowohl beim Werfen als auch Schlagen mit einem Home Run (d.h. einmal um das Feld herumlaufen) punkten kann, wird er in den USA mit dem legendären Spieler Babe Ruth (1895–1948) verglichen.Nebenbei ist Ohtani zu einem der am besten vermarktbaren Sportler geworden, der weltweit die Ticketverkäufe, die TV-Einschaltquoten und die Sponsoring-Einnahmen ankurbelt. Das brachte ihm den Spitznamen „Shotime“ ein, ein englisches Wortspiel mit seinem Vornamen. Japanische Unternehmen dürften sich darum reißen, Werbeflächen im Dodger Stadium zu buchen, denn die Spiele mit Ohtani werden live in Japan übertragen.

Baseball ist in Japan seit mehr als einem Jahrhundert Nationalsport. Die meiste Zeit davon diente den Japanern dieses Spiel dazu, um sich mit den Vereinigten Staaten zu messen. Dieser Ehrgeiz geht auf die japanisch-amerikanischen Verträge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, die von den Japanern als „unfair“ empfunden wurden. In dieser Zeit des erwachenden Nationalismus entstand das kollektive Verlangen nach einem „nationalen Spiel“. Baseball symbolisierte jene Werte, die Japans Staat damals feierte – Ordnung, Harmonie, Durchhaltevermögen und Selbstkontrolle. Schon 1896 besiegte erstmals die Mannschaft einer Tokioter Oberschule Ichikō ein US-amerikanisches Team aus Yokohama.

Diese Vorgeschichte erklärt auch, warum Baseball in Japan nicht Baseball heißt. Während man für den viel später eingeführten Fußball das englische Wort Soccer (sakkā) japanisierte, heißt Baseball seit den Anfangszeiten vor der Jahrhundertwende yakyū. Ein Mannschaftsführer des Ichikō-Teams kombinierte zwei Schriftzeichen, damit die Japaner das englische Lehnwort Baseball (bēsubōru) vermeiden konnten.

Dennoch dachten viele US-Amerikaner in damals typischer Attitüde, dass die Japaner zu klein und schwach seien für das US-Nationalspiel, das nationale Eigenschaften wie Mut, Vertrauen, Kampfbereitschaft und Virilität verkörperte, so der Unternehmer Albert G. Spalding 1911.

Die damalige Geringschätzung überdauerte die Zeit. Als der Starspieler Ichirō Suzuki als erster japanischer Feldspieler 2000 in die US-Topliga ging, mokierten sich die US-Medien über seine „kleine“ Statur, als ob keine hundert Jahre vergangen wären, und hielten ihm vor, kein „richtiger“ Spieler zu sein, weil er die häufigeren Hits gegenüber den eher seltenen Homeruns bevorzugte. Ohtani brachte solche chauvinistischen Kritiker zum Schweigen, weil er die Amerikaner in ihren athletischen Leistungen übertrifft.

„Er kann einen Home Run über 150 Meter schlagen und einen Ball mit 165 Kilometer pro Stunde werfen“, erklärt Robert Whiting, ein US-Experte für Baseball in Japan. Auch mit seiner Statur von 1,93 Meter und 95 Kilogramm erfüllt Ohtani eher US-amerikanische Gardemaße. Aber sprachlich drückt er sich weiter wie ein Japaner aus: „Allen Dodger-Fans verspreche ich, immer alles zu geben, um die beste Version von mir selbst zu sein“, sagte Ohtani.

Von Martin Fritz