Ein Versprechen auf die Zukunft
Ein Versprechen auf die Zukunft
Die Investoren können – zumindest für den Moment – jubeln. Siemens gibt die Mehrheit an der Medizintechniktochter ab. Ein Drittel der Anteile an Siemens Healthineers wandert in die Depots der Aktionäre der Mutter. Eine derartige Transaktion stand seit einigen Jahren auf vielen Sprechzetteln von Großinvestoren für die Hauptversammlung. Das Konglomerat müsse weiter aufgelöst werden, so der Tenor. Der Siemens-Aktienkurs war schon am Tag vor der Entscheidung, die zuletzt antizipiert worden war, auf einen Höchststand gestiegen.
Anlass zum Jubel hat auch das Management der Tochter Healthineers. Deren Aktienkurs kam in den vergangenen Jahren nicht vom Fleck, der Trend ging eher nach unten. Der Streubesitz war zu klein und die Gefahr eines Aktienüberhangs bei einem Verkauf von Anteilsscheinen durch die Mutter Siemens zu groß. Sobald die Transaktion über die Bühne gegangen ist, kann sich der operative Erfolg verstärkt in der Bewertung widerspiegeln. Allerdings besteht mittelfristig immer noch das Risiko von Anteilsverkäufen des dann starken Minderheitsaktionärs Siemens über die Börse.
Die Medizintechnik wird Siemens fehlen
Für Siemens ist dies ein Einschnitt. Nachdem der Abschied von der Telekommunikation einst bereits einen Bruch mit der Unternehmensgeschichte darstellte, wird nun mit der Medizintechnik eine weitere Wurzel gekappt. Das Ziel von Vorstandschef Roland Busch, damit die Diskussion über die Auflösung des Konglomerats zu beenden, wird sich aber nicht erfüllen. Die Bahntechnik wirkt wie ein Fremdkörper im Portfolio, und auf diesen Strickfehler der Digitalisierungsstrategie für die Industrie werden sich Hauptversammlungsredner in Zukunft konzentrieren. Denn das „hochgradig synergetische Portfolio“, das Busch proklamiert, gibt es nur ohne Siemens Mobility.
Die Medizintechnik wird der Siemens AG und vielleicht auch ihren Aktionären fehlen. Erstens sorgt sie für einen extrem hohen Cash-flow. Zweitens stabilisiert Healthineers mit dem weitgehend konjunkturunabhängigen Geschäft die Siemens-Jahresergebnisse. Der Schwächeanfall der Siemens-Kernsparte Digital Industries in den vergangenen zwei Geschäftsjahren hat eindrücklich vor Augen geführt, wie schwankungsanfällig diese Aktivitäten sein können.
Höhere Ausschüttungsquote unvermeidlich
Die erste Besorgnis versucht der Siemens-Vorstand mit dem Bekenntnis für eine weiter steigende Dividende je Aktie zu kontern. Allerdings müssen dann die Überweisungen an die Aktionäre auch erwirtschaftet werden. Eine höhere Ausschüttungsquote wird anfangs unvermeidlich sein.
Die zweite Sorge ist weitaus schwieriger zu bekämpfen, weil sie nicht finanztechnischer, sondern operativer Natur ist. Die Absprungbasis für das Nettoergebnis ist beachtlich, schließlich wurde für das vergangene Geschäftsjahr mit 10,4 Mrd. Euro zum dritten Mal in Folge ein Rekordwert vorgelegt. Der Vorstand setzt hier an, indem er den Umsatz stärker steigern will. Bis zu 9% sollen pro Jahr drin sein, also mehr als bisher – allerdings ohne Siemens Healthineers. Der bereinigte Gewinn pro Aktie wird demnach regelmäßig im hohen einstelligen Prozentbereich zulegen. Auch hier ist Siemens Healthineers ausgeschlossen.
Das angepeilte Umsatzwachstum ist allerdings kein großer Sprung. Die Erhöhung im Vergleich zur bisherigen Vorgabe von bis zu 7% ergibt sich teilweise bereits rechnerisch durch die Dekonsolidierung von Siemens Healthineers. Und das angepeilte Gewinnwachstum reißt die Aktionäre ebenfalls nicht vom Sockel, ist es doch eine Fortschreibung der bisherigen Ambitionen.
Strategie bleibt nebulös
Im Zentrum der Bilanzpräsentation, die mit einem Kapitalmarkttag vereint und in das neue Format „Siemens One Tech – Strategy & Results“ gepackt wurde, stand das Unternehmensprogramm „One Tech Company“. Es bleibt allerdings nebulös.
Die Expansion im Digitalgeschäft, die Siemens unter den Titel „Grow Digital“ stellt, und das Beackern von Wachstumsregionen rund um die Welt („Grow Regions“) gehörte schon vor den Dekonsolidierungsambitionen zur Kernphilosophie des Konzerns. Dass Angebote für die verschiedenen Kundenbranchen gebündelt werden, ist ebenfalls nicht neu („Grow Verticals“). Das neue Buzzword Künstliche Intelligenz („Grow AI“) muss erst noch mit Leben gefüllt werden.
Natürlich ist es richtig, dass Siemens seine PS noch besser auf die Straße bringen sollte. Nichts ist anstrengender, als ein Unternehmen operativ besser zu machen. Es ist tägliche Kleinarbeit an Projekten – weitaus aufwändiger als Portfolio-Artistik. Wenn es gelingt, ist es aller Ehren wert.
Die Kriegskasse, die sich der Konzern mit den fungibleren Healthinners-Anteilen mittelfristig gesichert hat, kann darüber hinaus mit relevanten Akquisitionen helfen. Letztlich gilt: Jede Strategie ist ein Versprechen auf die Zukunft. Im Fall Siemens gilt dies jedoch in besonderem Maß.
