Überwachung

Ein wirksames Kodexregime benötigt Monitoring

Eine systematische Wirksam­keitskontrolle kann helfen, verlorenes Vertrauen in das deutsche Corporate-Gover­nance-System zurückzugewinnen.

Ein wirksames Kodexregime benötigt Monitoring

Mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) und dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) wurde Anfang der Nullerjahre für deutsche Verhältnisse selbstregulatorisches Neuland betreten. Die DPR als bisher erste Stufe des Enforcement der Rechnungslegung ist in den Strudel des Wirecard-Skandals geraten und inzwischen Geschichte. Hingegen hat sich der Kodex seit seiner Erstveröffentlichung im Februar 2002 als wichtiger Kristallisationspunkt der deutschen Corporate Governance-Diskussion etabliert. Trotz anfänglicher Skepsis mancher Beobachter und seither gelegentlich aufflammender Kritik kommt dem DCGK, wie etwa die langjährigen Erhebungen des Berlin Center of Corporate Governance (BCCG) belegen, praktische Relevanz für die Leitung und Überwachung börsennotierter Un­ternehmen zu.

Allerdings sind in den zwei Dekaden seit Einführung des DCGK zugleich auch aufsehenerregende Fälle von Missmanagement und Betrug selbst bei ersten Dax-Adressen zu verzeichnen gewesen. Nun dürfen die Erwartungen an den Beitrag von Soft Law zur Qualitätssicherung der Unternehmensführung – ganz abgesehen vom unternehmerischen Risiko – nicht überspannt werden, wenn offensichtlich nicht einmal strafbewehrtes Hard Law manageriales Fehlverhalten verhindern kann. Gleichwohl stellt sich aus Anlass des runden „Kodexjubiläums“ die Frage nach der tatsächlichen Wirksamkeit des DCGK.

Die Beurteilung der Regelungsstärke des Kodex ist deutlich weniger trivial, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Zwar wird mit der Entsprechenserklärung nach §161 AktG eine Basistransparenz über den Umgang der Wirtschaft mit dem DCGK hergestellt; börsennotierte Gesellschaften müssen danach jährlich über die Einhaltung oder begründete Ablehnung der Kodexempfehlungen berichten. Die Empfehlungen enthalten jedoch häufig unbestimmte Begriffe und legen die konkrete Praktizierung von Bestimmungen mitunter auch explizit in das Ermessen der Führungsorgane. Als Folge der so eröffneten Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung geht der Informationsgehalt der Entspre­chens­erklärung gelegentlich gegen null. Einschätzungen der tatsächlichen Wirksamkeit des DCGK erfordern folglich Erkenntnisse nicht nur darüber, ob, sondern wie weiche Kodexempfehlungen konkret praktiziert und in diesem Sinne „gelebt“ werden.

In Deutschland Fehlanzeige

Anders als in vielen EU-Staaten existiert in Deutschland bislang kein institutionalisiertes systematisches Monitoring der Anwendung des DCGK und damit letztlich der Funktionsfähigkeit des Kodexregimes. Dies gilt auch für die vor kurzem eingeführte Indexzulassungskon­trolle der Deutschen Börse, die allein die Entsprechenserklärung heranzieht und zudem lediglich die Einhaltung von Kodexregelungen zum Prüfungsausschuss überprüft. Nach bisheriger Lesart der Regierungskommission ist die Überwachung der kodexkonformen Unternehmensführung Sache des Kapitalmarktes. Studien zeigen allerdings, dass der Kapitalmarkt – u.a. aufgrund limitierter Informationsverarbeitungskapazitäten und Kurzfristorientierung – diese Disziplinierungsfunktion nicht effizient wahrnimmt. Es ist für Investoren schier unmöglich, alle frei verfügbaren Informationen unmittelbar in ihre Anlageentscheidungen einfließen zu lassen.

Nachdem die EU-Kommission bereits 2014 ein effizientes Monitoring der Befolgung der nationalen Governancekodizes empfohlen hat, sollte es auch für Deutschland nun an der Zeit sein, die bisherige Architektur des Kodexregimes durch eine systematische Wirksamkeitskontrolle des DCGK zu ergänzen. Dabei geht es nicht um ein Ranking einzelner Unternehmen nach ihrer Gover­nancegüte. Ziel des hier vorgeschlagenen institutionalisierten Monitoring ist vielmehr die Gewinnung verlässlicher Informationen darüber, inwieweit die Kodexregelungen akzeptiert und durch angemessene Ausfüllung bestehender Interpretationsspielräume ernsthaft angewendet werden.

Mit Blick auf die vom Deutschen Corporate Governace Kodex selbst propagierte „Abweichungskultur“, wonach gut begründete Abweichungen im Unternehmensinteresse liegen können, wäre dabei auch zu ermitteln, mit welchen Argumenten Kodexabweichungen erfolgen. Solche systematischen Einblicke in die Praxis der Corporate Governance bieten für die Unternehmen wertvolle Benchmarks zur Evaluation ihrer Governance und vermitteln der Kodexkommission ein fundiertes Feedback über die tatsächliche Anwendung des DCGK. Sie können damit für anstehende Überarbeitungen des Regelwerks die Meinungsbilder ergänzen, die aus den vor Kodexänderungen üblichen Konsultationsverfahren resultieren und von den Zufälligkeiten der jeweiligen Beteiligung interessierter Kreise verzerrt sein können.

Als Trägerin des Monitoring bietet sich eine Institution an, die von spezifischen Interessengruppen unabhängig ist, über die notwendige Governance-Expertise wie auch Methodenkompetenz verfügt und mit ausreichender Legitimation ausgestattet ist, um Zugang zu den erforderlichen Informationen zu erhalten. Ein solches Set-up des Monitoring verleiht dem Gedanken der Selbstregulierung in Fragen der Unternehmensführung mehr Durchschlagskraft und kann so einen Beitrag leisten, durch Wirecard und andere Vorfälle verlorenes Vertrauen nationaler und internationaler Stakeholder in das deutsche Corporate-Governance-System zurückzugewinnen.

Prof. Dr. Axel v. Werder war bis zu seiner Pensionierung Lehrstuhlinhaber an der TU Berlin und Leiter des Berlin Center for Corporate Governance (BCCG). Prof. Dr. Alexandra Niessen-Ruenzi ist Inhaberin des Lehrstuhls für Corporate Governance an der Universität Mannheim und akademische Direktorin des BCCG, das künftig an der Mannheim Business School weitergeführt wird.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.