Tschechische Republik

Eine Ratspräsidentschaft im Zeichen des Krieges

Der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen beherrscht das Programm der am heutigen Freitag beginnenden tschechischen Ratspräsidentschaft. Ob diese auch die nicht gerade ausgeprägte EU-Begeisterung in Tschechien etwas anfachen kann, ist noch völlig offen.

Eine Ratspräsidentschaft im Zeichen des Krieges

Für ihre zweite EU-Ratspräsidentschaft nach 2009, die am Freitag beginnt, hat sich die tschechische Regierung so einiges vorgenommen: Europa soll neu gedacht, neu aufgebaut und neu belebt werden, so heißt es im Motto der kommenden sechs Monate. „Europa als Aufgabe“ – dieser Titel (der mit dem Zusatz „Rethink, Rebuild, Repower“ versehen wurde) ist einer Rede entlehnt, die der frühere tschechische Präsident Václav Havel 1996 im Rahmen einer Karlspreisverleihung in Aachen hielt. Sie enthält ein leidenschaftliches Plädoyer für die europäische Einigung – allerdings in einem völlig anderen globalen Umfeld. Damals war die Welt im Entspannungsmodus. Heute herrscht Krieg in der Nachbarschaft der EU. Und auch wenn die Tschechische Republik im Gegensatz zu Polen, der Slowakei, Ungarn oder Rumänien keine direkte Grenze zur Ukraine hat, so bestimmt der Krieg das gesamte Programm der anstehenden Ratspräsidentschaft. Ge­fühlt sei der Krieg „sehr, sehr nahe“, sagen tschechische Diplomaten in Brüssel.

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Ganz oben auf der Prioritätenliste der Präsidentschaft steht daher das Managen der Flüchtlingswelle aus der Ukraine sowie perspek­tivisch der Wiederaufbau des zerstörten Landes. Aktuell hat die EU mehr als fünf Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. In Tschechien haben lediglich 380000 Ukrainer Zuflucht gesucht – eine Zahl, die ein 10,7-Millionen-Einwohner-Land durchaus vor Herausforderungen stellen kann. Zweites großes Thema ist die Energiesicherheit, die angesichts der drohenden weiteren Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland vor dem Winter gefährdet wie nie erscheint. Klimapolitik? Fit for 55? Für Prag ist die Energiesicherheit weit bedeutender als die Energiewende. Auch die weiteren Schwerpunktthemen hängen mit dem russischen Angriffskrieg zu­sammen: Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten und der Cybersicherheit in Europa, der strategischen Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft sowie der Widerstandsfähigkeit demokratischer Institutionen stehen auf der Agenda.

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Innenpolitisch sind zu Beginn der tschechischen Ratspräsidentschaft allerdings erneut unruhige Zeiten angesagt. Das erinnert gleich an 2009, als während der Präsidentschaft die Regierung stürzte. Die heutige Fünf-Parteien-Koalition unter der Führung von Ministerpräsident Petr Fiala, die erst seit Dezember im Amt ist, umfasst ein breites Spektrum von links-liberal bis bürgerlich-konservativ. Aktuell ist sie aufgrund einer Korruptionsaffäre unter Druck. Der Bildungsminister musste schon seinen Hut nehmen. Das Ende der Geschichte ist noch offen.

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Zum feierlichen Auftakt der Präsidentschaft reist am Freitag erst einmal das komplette EU-Kommissionskollegium unter der Führung von Präsidentin Ursula von der Leyen ins idyllische Litomyšl, knapp 140 Kilometer östlich von Prag. Eher informell geht es dann am Samstag in Brüssel zu, wo im „Drei-Linden-Stadion“ am Stadtrand anlässlich der Übergabe der Ratspräsidentschaft von Frankreich an Tschechien ein besonderer Charity-Lauf organisiert wurde. Erinnert wird dabei an den berühmten tschechoslowakischen Läufer Emil Zátopek und seinen französischen Freund und Rivalen Alan Mimoun, die in den 1940er und 1950er Jahren die Laufwettbewerbe dominierten. Anmelden für die 10 Kilometer kann man sich daher jetzt auch nur als Paare. Die Gebühren werden in Richtung Ukraine gespendet. Und bereits am Freitag wird die Manneken-Pis-Statue in der City in einem von Zátopek inspirierten Kostüm zu sehen sein.

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Ob die Ratspräsidentschaft allerdings die nicht gerade ausgeprägte EU-Begeisterung in Tschechien etwas anfacht, ist noch völlig offen. In einer aktuellen Eurobarometer-Befragung gaben nur 57% der Tschechen an, die EU-Mitgliedschaft sei für ihr Land wichtig. In Deutschland waren es 76% und im Nachbarland Polen sogar 83%.

                  (Börsen-Zeitung,

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