Einfallstor für Aktionärsaktivisten
Niedrige Präsenzen als Einfallstor für Aktivisten
Bei inzwischen fünf Unternehmen aus dem Dax ist die Teilnahmequote in der Hauptversammlung in diesem Jahr unter die 50-Prozent-Schwelle gerutscht.
Von Annette Becker, Köln
Im Kampf um die Eigenständigkeit haben Management und Belegschaft der Commerzbank in der diesjährigen Hauptversammlung (HV) Geschlossenheit demonstriert. Etwa 100 Beschäftigte waren dem Aufruf des Gesamtbetriebsrats gefolgt und zur Kundgebung vor dem RheinMain Congress Center in Wiesbaden erschienen. „Hinkelsteine für die Römer“ stand auf Pappschildern – eine Anspielung auf Unicredit, den neuen Großaktionär aus Italien.
In scharfem Kontrast dazu stand die Beteiligung der Aktionäre. Anwesend waren lediglich 49,6% des Grundkapitals. Im Vorjahr waren wenigstens noch 56% zum Aktionärstreffen erschienen. Die geringe Präsenz muss in mehrfacher Hinsicht nachdenklich stimmen, ist doch allein die Bundesrepublik mit 12,1% vertreten. Umgekehrt hatte der gefürchtete Großaktionär seine Stimmen erst gar nicht angemeldet. Um Missverständnissen vorzubeugen: Unicredit ist alles andere als ein Aktionärsaktivist. Die Mailänder Bank ist direkt mit 9,5% engagiert, auf weitere 18,6% hat sie Zugriff. Zur HV-Mehrheit wäre es dann nicht mehr weit. Das dürfte in Berlin zunehmend für Stirnrunzeln sorgen.
HV-Format spielt keine Rolle
Doch die Commerzbank steht hinsichtlich der niedrigen Beteiligung ihrer Anteilseigner nicht allein auf weiter Flur, auch wenn sich die Präsenz in den Hauptversammlungen der Dax40-Unternehmen im Schnitt in den vergangenen Jahren nicht wesentlich verändert hat. Es sind vor allem die Finanzwerte, deren Aktionäre in der Hauptversammlung durch Abwesenheit glänzen. Immerhin konnte die Deutsche Bank die Teilnahmequote zwischen 2019 und 2025 signifikant erhöhen. Allerdings lässt eine Präsenz von 53% des Grundkapitals weiterhin viel Luft nach oben lässt. Allein im Dax40 lag die Präsenz in diesem Jahr bei fünf Werten unter der 50%-Schwelle.
Hatten die Emittenten 2020 mit dem Übergang zum virtuellen HV-Format noch gehofft, dass die Teilnahmequoten steigen, da der Zugang für ausländische Investoren erleichtert wird, hat sich das schnell als Trugschluss herausgestellt. Faktisch hat das HV-Format, das seit 2020 mehrfach angepasst wurde, keinen bedeutsamen Einfluss auf die Teilnahmequoten.

„Niedrige HV-Präsenzen können zu Zufallsmehrheiten führen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Aktionäre mit vergleichsweise kleinem Stimmbesitz ihre Interessen durchsetzen können“, beschreibt der Partner einer internationalen Kanzlei die mit den niedrigen Präsenzen einhergehende Gefahr. Namentlich genannt werden möchte er mit Rücksicht auf seine Mandanten nicht.
Das wohl schillerndste Beispiel lieferte der Hedgefonds Engine No. 1, dem es 2021 bei ExxonMobil mit einer Beteiligung von lediglich 0,02% gelang, drei eigene Aufsichtsratskandidaten durchzuboxen. Mit einem ähnlichen Vorstoß gescheitert ist dagegen der Investor Primestone Capital, der 2023 bei Brenntag versuchte, zwei eigene Aufsichtsratskandidaten zu installieren. Allerdings registriert Brenntag mit einer Präsenz von zuletzt 87,9% auch eine rege HV-Beteiligung. Selbst 2023, als die Kühne Holding „nur“ gut 5% am Grundkapital hielt und Artisan Partners noch keine meldepflichtige Stimmrechtsschwelle überschritten hatte, waren fast 83% des Grundkapitals anwesend.
Träge Langfristinvestoren
Die rückläufige HV-Präsenz bei Publikumsgesellschaften mit großem Streubesitzanteil hängt eng mit der Zusammensetzung der Aktionäre zusammen. So haben nordamerikanische Investoren nach der jüngsten Studie zu den Eigentumsverhältnissen im Dax, welche der Deutsche Investor Relations Verband DIRK zusammen mit S&P Global Markets Intelligence erstellt hat, ihre Beteiligungen an Unternehmen aus dem Dax 2023 um 4,4 Prozentpunkte reduziert. Vornehmlich aktiv gemanagte Fonds und ETFs zogen Gelder ab. Umgekehrt stockten Value-Investoren ihre Beteiligungen auf. Gerade Long-Only-Investoren wie Pensionskassen sind angesichts der Vielzahl ihrer Einzelengagements jedoch schwerer zur HV-Teilnahme zu bewegen, solange die Rendite auf das Investment stimmt.
Hedgefonds weiten Engagements aus
Zugleich förderte die Studie zutage, dass Hedgefonds ihre Dax-Engagements ausgeweitet haben. Wenngleich sich der direkt gehaltene Anteilsbesitz am Streubesitz bei dieser Investorengruppe mit 2,1% nicht veränderte, stieg parallel dazu der Anteil, den Broker und Investmentbanken im Auftrag ihrer Kunden halten. Dahinter müssen nicht notwendigerweise sich anschleichende Aktionärsaktivisten stehen. Doch beobachteten Emittenten sehr genau, wenn Banken größere Positionen aufbauten, berichtet ein Kenner der Szene.
Das Verhalten der aktivistischen Investoren folgt einem einfachen Muster. Zunächst werden die Unternehmen „privat“ angeschrieben und mit Forderungen konfrontiert. Zeigen die Unternehmen die kalte Schulter, erhöht der Hedgefonds den Druck und macht sein Postulat öffentlich. Elliott hat Letzteres dem Vernehmen nach inzwischen aber gar nicht mehr nötig. Bei dem berüchtigten Hedgefonds von Paul Singer ließen es die Unternehmen häufig erst gar nicht zum Eklat kommen. Ohnehin passiere bei Aktivisten viel hinter geschlossenen Türen, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Themen, die locken
„Klassische Themen, die aktivistische Aktionäre auf den Plan rufen, sind die vermeintliche Unterbewertung eines Unternehmens – insbesondere bei Mischkonzernen – und die darauf beruhende Forderung nach Abspaltung einzelner Geschäftsbereiche, Fragen der Kapitalallokation sowie der Corporate Governance, also der Besetzung von Gremien wie beispielsweise dem Aufsichtsrat“, sagt der Rechtsanwalt. Demgegenüber hätten ESG-Themen, die seit der Corona-Pandemie vermehrt für Zündstoff gesorgt hatten, sichtlich an Bedeutung verloren. Hier könnte das Pendel künftig sogar in die andere Richtung ausschlagen.
Bei RWE beispielsweise folgte die Ankündigung eines Aktienrückkaufprogramms im vorigen Herbst, kurz nachdem Spekulationen die Runde gemacht hatten, Elliott habe sich ins Kapital eingekauft. Der Versorger hatte den Erwerb eigener Aktien mit der Optimierung der Kapitalallokation begründet – nicht unbedingt ein Widerspruch. Allerdings verfügen die Essener mit Katar (9,5%) und den kommunalen Aktionären, die zusammengerechnet etwa 14% halten, auch über bedeutsame Ankeraktionäre, die ein Bollwerk gegen unerwünschte Einflussnahme bilden können. So ist der kleine Aktionärsaktivist Enkraft Capital 2022 mit seinem Ergänzungsantrag zur Abspaltung des Braunkohlegeschäfts durchgefallen.
Mächtige Stimmrechtsberater
Um erst gar nicht in Verlegenheiten zu geraten, gehen mittlerweile viele Aufsichtsratschefs selbst auf Roadshow, um Investoren im direkten Austausch von ihren Argumenten zu überzeugen. Gerade in Sondersituationen, in denen außergewöhnliche Beschlüsse auf der Tagesordnung stehen, ist das kein unübliches Vorgehen. Als Paradebeispiel mag Bayer dienen. Dort ist die Hauptversammlungspräsenz in diesem Jahr auf 51,7% zusammengeschmolzen, obwohl sich das Unternehmen einen milliardenschweren Kapitalrahmen genehmigen ließ. Nicht grundlos dürfte Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann in seinem Aktionärsbrief erwähnt haben, dass er im Vorfeld der Hauptversammlung mit etwa 55% des von institutionellen Investoren gehaltenen Kapitals in intensivem Dialog stand.
Zum Pflichtprogramm der Investorenpflege gehört dabei auch das Gespräch mit den mächtigen Proxy Advisors. Wenngleich gemäß der DIRK-Studie mittlerweile 96% der 100 größten Dax-Investoren eigene Abstimmungsrichtlinien haben, leiten doch 90% dieser Investoren ihre Vorgaben aus den Empfehlungen ISS, Glass Lewis & Co. ab. „Stimmrechtsberatern kommt eine hohe praktische Relevanz zu“, weiß auch der Kanzleipartner. Bahnt sich eine aktivistische Kampagne an, haben die Stimmrechtsberater sogar spezielle Teams am Start.