Ende der Einheit
Dieser Coup ist Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger gut gelungen. Er stand mit dem Rücken zur Wand und hat sich Freiraum verschafft. Über eine Kapitalerhöhung hat Thyssenkrupp binnen weniger Stunden bei institutionellen Investoren 1,4 Mrd. Euro frisches Geld besorgt. Das hat der chronisch finanzschwache Konzern auch bitter nötig. Nicht nur weil der Schuldenberg fast dreimal so hoch ist wie das Eigenkapital und weil die Eigenkapitalquote auf magere 5 % geschrumpft ist. Gleichzeitig drohen auch umfangreiche Mittelabflüsse in dreistelliger Millionenhöhe durch verteuerte Rohstoffeinkäufe.Ohne die Kapitalerhöhung wäre Thyssenkrupp nicht mehr gewappnet gewesen für etwaige unvorhergesehene Rückschläge. Jetzt ist das wieder der Fall. Investoren am Aktienmarkt haben die neue finanzielle Stabilität – trotz der Kapitalerhöhung, die den Gewinn je Aktie verwässert – denn auch umgehend mit einem Kursanstieg honoriert.Wer wissen will, in welche Richtung sich Thyssenkrupp jetzt weiter entwickelt, kann umfangreiche Analysen anstellen – oder einfach die Verschiebungen bei den Anteilen der Großaktionäre betrachten. Größter Anteilseigner ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Bei der Kapitalerhöhung hat sie – obwohl das liquide Stiftungsvermögen dies ermöglicht hätte – keine neuen Aktien zugekauft. Deshalb ist der Anteil von 23 % auf 20,9 % gesunken.Auch wenn damit keine aktienrechtlich relevante Schwelle unterschritten wird, hat der Verzicht symbolische Bedeutung. Zweck der Stiftung ist laut Satzung die Wahrung der Einheit des Unternehmens. Den Anspruch, ihren Einfluss in dieser Richtung geltend zu machen, scheint Stiftungschefin Ursula Gather aufgegeben zu haben. Sie schweigt bisher zur Abtrennung des Stahlgeschäfts, mit der die historischen Wurzeln des Konzerns gekappt werden.Ganz anders agiert der zweite Großaktionär. Der schwedische Finanzinvestor Cevian, der über Manager Jens Tischendorf im Aufsichtsrat mitredet, hat bei der Kapitalerhöhung zugekauft und seinen Anteil mit 18 % stabil gehalten. Das untermauert den Anspruch, weiter Einfluss auf die Strategie zu nehmen. Im Gegensatz zum Zweck der Krupp-Stiftung will Cevian den Wert des Unternehmens steigern, indem die Stahlsparte und vielleicht bald auch das Werkstoffgeschäft abgetrennt oder verkauft werden. Danach könnte es weitergehen mit dem Börsengang einer der lukrativen Sparten für Aufzüge oder Automobilkomponenten. Das wäre das Ende der Einheit des 200 Jahre alten Stahlkonzerns aus Essen.