Harmonisierung

EU ringt um einheitliches Insolvenzrecht

Die EU will die Regelungen des Insolvenzrechts harmonisieren, die Vorschläge sehen Änderungen für die Insolvenzverwaltung und Distressed-M&A-Prozesse vor. Das sorgt in der Branche für reichlich Gesprächsbedarf.

EU ringt um einheitliches Insolvenzrecht

Normalerweise ist die Zeit um den Jahreswechsel eine der Ruhe und Besinnlichkeit, doch in Juristenkreisen laufen in diesem Jahr die Telefone heiß. Im Dezember hat die EU in einem Richtlinienentwurf erste Vorschläge zur EU-weiten Harmonisierung von Insolvenzrechtsregelungen vorgelegt. Der Entwurf umfasst ein ganzes Bündel an Themen (siehe Kasten), und mancher Vorschlag könnte den Berufsalltag von Insolvenzverwaltern, Restrukturierern oder Gerichten deutlich verändern.

Der wohl größte Aufreger in Juristenkreisen: Die EU-Kommission will ein vereinfachtes Verfahren für insolvente Kleinstunternehmen mit maximal zehn Beschäftigten und höchstens 2 Mill. Euro Umsatz oder Bilanzsumme einführen. Solche Verfahren schaffen es im Gegensatz zu Großinsolvenzen zwar nur selten in die Schlagzeilen, sind aber an der Tagesordnung: Nach Schätzungen von Creditreform machten Insolvenzen von Unternehmen mit maximal zehn Beschäftigten 2022 fast 86% der Fälle in Deutschland aus (siehe Grafik).

Der Verzicht auf einen Insolvenzverwalter soll die Verfahren schneller und günstiger machen. Die Vergütung des Insolvenzverwalters beansprucht bei kleinen Verfahren häufig einen großen Teil der Masse, zur Ausschüttung an die Gläubiger bleibt dann wenig. Für die Verwalterbranche ist der Vorschlag dennoch brisant. Kanzleien, die sich auf Großinsolvenzen spezialisiert haben, sind möglicherweise froh, die kleinen Fälle vom Tisch zu bekommen, bei anderen dagegen machen Insolvenzen kleinerer lokaler Betriebe einen großen Teil der Fälle aus.

Kleine ohne Verwalter?

Einen Insolvenzverwalter soll es laut Richtlinienentwurf künftig bei Kleinstverfahren nur noch geben, wenn dies vom Schuldner oder aus dem Gläubigerkreis beantragt wird, wobei der Verwalter aus der Masse bezahlt werden muss. Dass ein Verfahren mangels Masse gar nicht eröffnet wird, ist für Kleinstunternehmen nicht vorgesehen.

„In diesen Fällen muss künftig der Staat das Verfahren finanzieren“, erläutert Daniel Friedemann Fritz, Partner der Kanzlei Dentons und Sprecher der Europagruppe der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht & Sanierung im Deutschen Anwaltsverein sowie Private Expert der Europäischen Kommission für Insolvenzrecht.

Neben Kosten bedeutet das deutlich mehr Aufwand. Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel der Verfahren derzeit mangels Masse nicht eröffnet werden. Würden sie bearbeitet, kämen Unternehmer, die persönlich haften, in den Vorteil der Schuldenbefreiung. Die Überwachung für sämtliche verwalterlosen Kleinstverfahren sollen laut Richtlinienentwurf Gerichte oder ein „administrative body“ übernehmen.

Allerdings sind viele Gerichte schon jetzt überlastet. Annerose Tashiro, Leiterin der internationalen Abteilung bei Schultze & Braun und Mitglied des EU-Expertengremiums zur Insolvenzrechtsharmonisierung, könnte sich eher eine neu geschaffene Behörde oder zentrale Stelle vorstellen, die sich um Kleinstverfahren kümmert, zumal die Abwicklung etwa der Forderungsprüfung automatisiert und elektronisch stattfinden soll. „Einen Ansatz für eine solche Stelle gibt es in der Schweiz mit dem Konkursamt“, erklärt sie.

Grundsätzlich sollen die verwalterlosen Verfahren weitgehend standardisiert und digital abgewickelt werden. Angedacht ist eine Eigenverwaltung, der Unternehmer wäre also etwa für das Einreichen von Dokumenten verantwortlich. Christoph Niering, Vorsitzender des Vorstandes im Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands, sieht das kritisch. Er fürchtet, dass die überwiegende Zahl der Kleinstunternehmen mit der Eigenverwaltung überfordert sein könnte.

„Es müssen komplexe Vorgaben des Gläubiger- und Arbeitnehmerschutzes beachtet werden, etwa mit Blick auf eine Vorfinanzierung des Insolvenzgelds für die Beschäftigten“, gibt er zu bedenken. Zudem ist ein Insolvenzverwalter angehalten, sich ein genaues Bild über möglicherweise vorhandene Vermögenswerte zu verschaffen. Ob Gerichte dafür jeweils die Zeit finden, scheint zumindest fraglich.

Inwieweit die Unternehmer bei verwalterlosen Kleinstverfahren rechtlich beraten würden, wie es in Eigenverwaltungsverfahren üblich ist, bleibt im Entwurf noch offen. Niering sieht an dieser Stelle dringenden Handlungsbedarf: „Ich habe den Eindruck, dass der Vorschlag allein aus wissenschaftlicher Sicht erarbeitet wurde. Die praktische Umsetzbarkeit scheint mehr als fraglich.“

Während Insolvenzverwalter die Kleinstverfahren verlieren könnten, bietet ein anderer Vorschlag im Bereich Distressed M&A ein neues Betätigungsfeld: Ein „Pre-Pack“ genanntes Verfahren, das sich in eine Vorbereitungs- und eine Liquidationsphase unterteilt, soll es möglich machen, einen schuldenfreien Unternehmensverkauf bereits vor einem Insolvenzverfahren vorzubereiten. Begleitet wird das Pre-Pack-Verfahren von einem „Monitor“, der als „insolvency practitioner“ auch die Liquidationsphase begleiten soll – ein klassischer Job für einen Insolvenzverwalter.

Mehr Durchsetzungskraft

Zwar gibt es auch heute schon übertragende Sanierungen über Asset Deals, bei denen Unternehmen sich vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bereits weitgehend mit einem Investor verständigen, der dann kurz nach der Verfahrenseröffnung zuschlägt. In Detailfragen allerdings bietet das von der Kommission vorgeschlagene Pre-Pack-Verfahren deutlich mehr Durchsetzungskraft, sagt Daniel Friedemann Fritz. Der aus seiner Sicht wichtigste Punkt: „Verträge, die für die Fortführung eines Betriebes wichtig sind, sollen auf den Erwerber übergehen, ohne dass der Vertragspartner dem widersprechen kann.“ Dies wäre beispielsweise bei Transaktionen im Handel ein Vorteil, da der Käufer wichtige Mietverträge behalten könnte.

Die Gerichte würden vom Pre-Pack-Verfahren allerdings abermals belastet: Sie sollen laut Entwurf bewerten, ob ein Kaufangebot im besten Interesse der Gläubiger ist, und den Verkauf genehmigen. Dazu gehört die Frage, ob Verträge, die übergehen sollen, tatsächlich für die Fortführung wichtig sind.

Das Gericht soll auch entscheiden, welche Verträge im Schuldnerinteresse beendet werden. Gegebenenfalls soll das Gericht sogar eine Auktion durchführen. „Solche Bewertungen sind oft komplex und erfordern vertiefte Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell und den wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidung. Oft ist es Auslegungssache. Das bedeutet erhöhten Abstimmungs- und Zeitaufwand“, sagt Tashiro.

Unterschiede bleiben

Eine komplette Einheitlichkeit könnte es im europäischen Insolvenzrecht auch mit den neuen Vorschlägen nicht geben. Sie sind zumeist Mindeststandards. Wer längere Fristen hat – wie etwa das deutsche Recht in Bezug auf Insolvenzanfechtungen –, darf diese beibehalten.

Es könnte also weiterhin so bleiben, dass beispielsweise eine Schenkung im Vorfeld einer Insolvenz in Deutschland länger anfechtbar ist als in einem Nachbarland. „Ich hätte mir gewünscht, dass der Gesetzgeber diese Zeiten vereinheitlicht“, sagt Fritz.

Ohnehin handelt es sich bei dem Themenkatalog bislang lediglich um einen Richtlinienentwurf, also erste Vorschläge. Bereits bei der Erarbeitung des vorinsolvenzlichen Sanierungsrahmens StaRUG vor rund zwei Jahren kritisierten viele Restrukturierer, dass sogar einige zentrale Errungenschaften des in Branchenkreisen hochgelobten Referentenentwurfs – etwa die Möglichkeit, im Krisenfall nachteilige Verträge einfacher einseitig kündigen zu können – es am Ende doch nicht in das wenige Wochen später vorgelegte finale Gesetz geschafft haben.

Auch bei den Vorschlägen für ein einheitlicheres Insolvenzrecht sind Änderungen nahezu garantiert. Unter Juristen ist es ein beliebter Praxistest, sowohl im Richtlinienentwurf als auch in der finalen Fassung das Vorkommen der Worte „shall“ und „may“ zu zählen. In der Regel, so ist zu hören, nehme die Anzahl der „Shall“-Vorgaben im Laufe des Prozesses ab, die der „May“-Optionen dagegen zu.

Bei der Ausarbeitung drückt Brüssel aufs Tempo: Bereits in diesen Wochen laufen die Anhörungen interessierter Parteien an, bis Februar werden Stellungnahmen zum Entwurf eingesammelt. Bis zum finalen Gesetz wird es allerdings noch Jahre dauern, allein für die Umsetzung einer finalen EU-Direktive in nationales Recht sind zwei Jahre vorgesehen. Wer den gesamten Entscheidungsprozess nachvollziehen will, sollte den Richtlinienentwurf also sorgfältig abspeichern. In einigen Jahren wird klar sein, was von den Vorschlägen übrig geblieben ist.

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