Im BlickfeldSchlüsseltechnologie Batterie

Europa unter Zugzwang

Der Aufbau eines wirtschaftlichen Batterieökosystems ist komplex. Doch geopolitische Spannungen und die Risiken der Abhängigkeit von außereuropäischen Herstellern verdeutlichen: Die EU ist gefordert. Es geht um Technologiesouveränität und stabile Lieferketten.

Europa unter Zugzwang

Im Blickfeld

Kerntechnologie Batterie – Europa unter Zugzwang

Der Aufbau eines wirtschaftlichen Batterieökosystems ist komplex. Doch geopolitische Spannungen und die Risiken der Abhängigkeit von außereuropäischen Herstellern verdeutlichen in diesem Jahr: Die EU ist dringend gefordert.

Von Carsten Steevens, Hamburg

Diskussionen über resiliente Lieferketten und Technologiesouveränität haben zwei Jahre nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder Hochkonjunktur in Europa. Die jüngsten Turbulenzen um das Chip-Unternehmen Nexperia und die angespannte Lage bei Halbleitern verdeutlichen einmal mehr die Abhängigkeit wichtiger europäischer Branchen von kritischen Bauteilen chinesischer oder US-amerikanischer Hersteller. Vor allem die Autoindustrie schlägt Alarm.

Nexperia, in den Handelskonflikt zwischen den USA und China geraten, ist ein Menetekel. Die Lieferprobleme der niederländischen Firma mit chinesischem Mutterkonzern mahnen, welches Ungemach geopolitische Eskalation für die europäische Automobilbranche kurzfristig auslösen kann. Gefährliche Engpässe bei der Versorgung mit Batteriezellen oder der für die Zellproduktion essenziellen Rohstoffe: Das Szenario hat Branchenakteure sowie die Politik in Europa aufgeschreckt.

Hoffnungsträger insolvent

An der Abhängigkeit Europas von nicht-europäischen Batterieproduzenten hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert. Die Insolvenz des schwedischen Batterie-Startups Northvolt im März und die im Sommer angekündigte Übernahme des ehemaligen Hoffnungsträgers europäischer Autohersteller durch den kalifornischen Batteriespezialisten Lyten untermauern das Dilemma. China mit dem Marktführer CATL kommt bei der Batterieproduktion, wie das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe mitteilt, derzeit auf einen Anteil der weltweiten Kapazitäten von rund 80%, gefolgt von Südkorea mit gut 10% und Japan mit 2%. Die Quote, die auf europäische Hersteller entfällt: 0,5%.

Asiatische Hersteller kontrollierten über 90% des globalen Marktes, sagt auch Harald Proff, Sektorleiter Automotive bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte. Vom Anteil Europas an der weltweiten Batteriezellproduktion von 13% entfielen 97% auf CATL und Co. Er warnt: „Wir befinden uns in einer massiven Abhängigkeit von chinesischen Herstellern, was bei Lieferproblemen – ähnlich wie bei den Halbleitern – zu massiven wirtschaftlichen Schäden führen kann.“ Versorgungssicherheit, technologische Souveränität und Kostenstabilität seien gefährdet. Proff fordert, eine eigene Batteriezellproduktion europäischer Unternehmen sei unbedingt erforderlich. „Europa wird bei dieser Schlüsseltechnologie zum Preisabnehmer degradiert ohne signifikante Verhandlungsmacht.“ Für eine starke Marktposition benötige Europa einen Anteil von mindestens 40% an der europäischen Batterieproduktion.

Fortschritte unzureichend

Erkannt worden ist die Notwendigkeit zu handeln schon vor längerem. 2017 initiierten Europäische Kommission, EU-Länder, Industrie und Wissenschaft die Europäische Batterieallianz, um eine wettbewerbsfähige Wertschöpfungskette für die Batteriezellproduktion aufzubauen. Drei Jahre später folgte die Gründung einer Europäischen Rohstoffallianz. Das Ziel: strategische Autonomie bei kritischen Rohstoffen. Vor allem in diesem Jahr wurde jedoch angesichts verschärfter geopolitischer Spannungen deutlich, dass Fortschritte der Initiativen und Fördermaßnahmen bislang nicht ausreichen.

Ambroise Fayolle, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, im Mai 2024 in Paris bei der Vereinbarung einer grünen Finanzierung über 1,3 Mrd. Euro durch mehrere Geschäfts- und Förderbanken für die erste Gigafactory des Batterie-Startups Verkor in Dünkirchen. „ class=
Ambroise Fayolle, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, im Mai 2024 in Paris bei der Vereinbarung einer grünen Finanzierung über 1,3 Mrd. Euro durch mehrere Geschäfts- und Förderbanken für die erste Gigafactory des Batterie-Startups Verkor in Dünkirchen.
picture alliance / abaca | Abdullah Firas/ABACA

In einem Anfang September veröffentlichten Offenen Brief mit dem Titel „Wer wird unsere Batterien herstellen? Europas Stunde der Wahrheit“ fordern die Chefs dreier europäischer Zellhersteller sofortige und gezielte Fördermaßnahmen für den Ausbau der europäischen Batterieproduktion. Yann Vincent, Geschäftsführer von ACC (Automotive Cells Company, das französisch-deutsche Joint Venture von Stellantis, TotalEnergies und Mercedes-Benz), Benoit Lemaignan, Mitgründer und Präsident des 2020 gegründeten nordfranzösischen Batterie-Startups und Renault-Partners Verkor, sowie Frank Blome, CEO der 2022 gestarteten Volkswagen-Batterietochter PowerCo aus Salzgitter, warnen in dem Schreiben: Europa riskiere, ohne entschlossenes Handeln seine strategische Autonomie in einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts zu verlieren.

Konsequenzen des Nichtstuns

Während die USA und China massive Subventionen zur Unterstützung ihrer lokalen Produktion einsetzten, liefen europäische Hersteller noch in ihrer Aufbauphase Gefahr, verdrängt zu werden, ehe sie überhaupt die Marktreife erreichen. Gefordert werden damit auch wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, etwa mit Blick auf wesentlich niedrigere Energiekosten in China, Südkorea und Nordamerika. Die drei Firmenchefs führen an, Konsequenzen des Nichthandelns wären die Verlagerung eines jährlichen Marktes mit einem Volumen von 250 Mrd. Euro zugunsten asiatischer Importe, Rückstand bei Innovation und Knowhow, eine zunehmende Abhängigkeit von außereuropäischen Zulieferern bei kritischen Technologien und eine strategische Schwächung der europäischen Automobilindustrie.

Das Gebäude der Gigafactory der Automotive Cells Company (ACC), einem Joint Venture von Stellantis, TotalEnergies und Mercedes-Benz, während der Einweihung im nordfranzösischen Billy-Berclau-Douvrin am 30. Mai 2023.
Das Gebäude der Gigafactory der Automotive Cells Company (ACC), einem Joint Venture von Stellantis, TotalEnergies und Mercedes, während der Einweihung im nordfranzösischen Billy-Berclau-Douvrin am 30. Mai 2023.
picture alliance/abaca/Lafargue Raphael/ABACA

Konkret mahnen ACC, Verkor und PowerCo, eine direkte Produktionsförderung einzuführen, die sich an Liefermengen orientiere und mit der Zeit sinke. Öffentliche Mittel würden erst nach Lieferung an Kunden freigegeben, so der Vorschlag. Zudem sprechen sich die Batteriehersteller für eine ergänzende Schutzmaßnahme aus: Subventionen für den Kauf von Elektrofahrzeugen müssten an einen steigenden Anteil europäischer Komponenten geknüpft werden. Dies kurbele die Verbrauchernachfrage an und stärke zugleich europäische Lieferketten.

EU avisiert Unterstützung

Die Anforderung ist klar: Europa muss eigene industrielle Kapazitäten entlang der gesamten Batteriewertschöpfungskette stärken: von der Rohstoffgewinnung über die Zellfertigung bis zum Recycling. Die Europäische Kommission hat im März dieses Jahres eine direkte Produktionsförderung vorgeschlagen, die über nationale staatliche Beihilfen hinaus einen von der von der EU finanzierten Unterstützungsmechanismus vorsieht. Beim VW-Batterie-Startup PowerCo begrüßt man grundsätzlich das im Rahmen eines Aktionsplans für die europäische Autoindustrie angekündigte Maßnahmenpaket zur Stärkung der heimischen Batterieindustrie. Details sind freilich noch offen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert sich am 3. März 2025 in Brüssel vor der Presse zum Strategischen Dialog über die Zukunft der europäischen Automobilindustrie „ class=
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert sich am 3. März 2025 in Brüssel vor der Presse zum Strategischen Dialog über die Zukunft der europäischen Automobilindustrie
picture alliance/Wiktor Dabrowski

Für Deloitte-Experte Proff ist der im Raum stehende „Battery Booster“ der EU mit 1,8 Mrd. Euro nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen europäischen Batteriezellproduktion bis 2030 seien Investitionen im mindestens hohen zweistelligen Milliardenbereich erforderlich, um 40% der hiesigen Batterienachfrage aus eigener Produktion decken zu können. Ähnliche Dimensionen sieht auch die Wissenschaft. Eine Gigawattstunde (GWh) Produktionskapazität koste bis zu 100 Mill. Euro, so Tim Wicke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer ISI in Karlsruhe. „Sollte das Ziel sein, 100% der Zellen selbst zu produzieren und der Industriebedarf wächst bis 2030 auf knapp 600 GWh, wären das 60 bis 100 Mrd. Euro.“ Wegen des zu erwartenden Produktionsausschusses und weil die Auslastung nicht bei 100% liegen werde, müsse mehr Kapazität aufgebaut werden.

Projekte gestoppt

Erschwert wird der Aufbau einer wirtschaftlichen Batterieproduktion, die hohe Prozessqualität und ausreichende Skalierung voraussetzt, dadurch, dass sich die Batterienachfrage langsamer entwickelt als erwartet. Einige Projekte scheiterten an fehlenden Investitionen. Anfang 2023 musste etwa das britische Batterie-Startup Britishvolt Insolvenz anmelden. Im Jahr 2024 begründete das Joint Venture ACC den Stopp des Baus einer Batteriezellfabrik in Kaiserslautern mit Verweis auf den E-Automarkt in Europa, der weniger schnell wachse als gedacht. Die VW-Tochter PowerCo, die noch vor Ende dieses Jahres erste Zellen in ihrer Gigafactory in Salzgitter produzieren und in den Folgejahren 2026 und 2027 auch an neuen Fabrikstandorten in Spanien und Kanada die Zellfertigung aufnehmen will, teilt mit, die Produktion werde „bedarfsabhängig und entsprechend dem Hochlauf der E-Mobilität“ verlaufen.

„Unsere Produkt- und Produktions-Strategie gibt uns Flexibilität, um auf verschiedene Szenario reagieren zu können“, so ein Sprecher des Unternehmens. Das Standardfabrikkonzept ermögliche den Aufbau von Produktionskapazitäten in 20 GWh-Schritten. Zudem plant PowerCo mit einer Einheitszelle, die technologieunabhängig sei und den Einsatz einer breiten Palette von Zellchemikalien bis hin zu Festkörperbatterien erlaube. Die Einheitszelle soll erstmals im kommenden Jahr mit dem Marktstart der Elektro-Kleinwagen der Marken VW, Skoda und Seat auf die Straße kommen. Wegen des langsameren Hochlaufs der Elektromobilität hat VW den Investitionsplan für sein Batteriegeschäft über einen Fünfjahreszeitraum von 15 Mrd. auf inzwischen unter 10 Mrd. Euro reduziert. Beteiligungen durch externe Investoren stehen weiterhin im Raum. Der konkrete Zeitpunkt der Öffnung für Partner hänge vom Marktumfeld ab, so der PowerCo-Sprecher. „Wir haben keinen Zeitdruck.“ Option in einem zweiten Schritt bleibe ein Börsengang.

„Made in Europe“

Beim Aufbau eines wettbewerbsfähigen Batterieökosystems läuft Europa die Zeit davon. Die Batterieindustrie verweist darauf, Länder wie die USA, China, Südkorea, Japan oder auch Australien hätten verstanden, dass der Aufbau eigener Batterie-Lieferketten ein wesentlicher Baustein der Industrie- und Standortpolitik ist. Auch Europa und Deutschland müssten Projekte gezielt und unbürokratisch unterstützen, gerade vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen. Für wie dringlich die Branche Maßnahmen hält, zeigt ein Hinweis von PowerCo, dass ähnlich wie für die Stahlindustrie auch für Batteriezellen und Batterien „Made in Europe“-Anforderungen ein wirksames Instrument sein könnten, um die EU-Wertschöpfung zu stärken.