Europas Kartenhaus stürzt ein
Green Deal
Europas Kartenhaus stürzt ein
Von Sebastian Schmid
In Brüssel trudelt ein Brandbrief nach dem anderen ein. Das
über Jahre sorgsam aufgebaute Bild des grünen Vorbilds Europa steht in Flammen.
Die Harry-Potter-Filme beinhalten zahlreiche absurde Szenen. Eine Szene aus dem ersten Teil erinnert sehr stark an die aktuelle Weltpolitik: Der junge Harry Potter wird auf die Hogwarts-Schule für Magie und Zauberei eingeladen. Eine Eule stellt den Brief zu. Doch der Inhalt passt dem kleinbürgerlichen Onkel Vernon Dursley nicht, bei dem Harry Potter nach dem Tod seiner Eltern aufwächst. Also entsorgt Dursley den Brief kurzerhand. Doch diese Realitätsverweigerung hat natürlich keinen Erfolg. Die Zaubereischule bleibt hartnäckig und schickt Brief um Brief, während der Onkel sein Haus verbarrikadiert. In einer Szene lehnt er sich zufrieden zurück, weil Sonntag ist und sonntags keine Briefe zugestellt werden. Doch Irrtum: Es flattern hunderte Briefe durch den Kamin ins Haus, sodass Dursley mit seiner Familie die Flucht auf eine einsame und unwirtliche Insel vor der englischen Küste antritt. Doch auch da holt ihn die Realität in Form des Riesen Hagrid ein, der die Einladung endlich zustellt und Harry Potter abholt.
Keine Zeit mehr für „Wünsch-Dir-Was“
Die Lehre aus der Geschichte ist, dass man Dinge durch Ignorieren nicht aus der Welt schaffen kann. Und diese Lektion lernt die Europäische Union gerade auf die harte Tour: Brüssel flattern die Brandbriefe aus der Industrie in immer höherer Frequenz ins Haus. Aktuell schlagen die europäischen Automobilverbände Acea (Hersteller) und Clepa (Zulieferer) wegen der Klimavorgaben Alarm. Die CO2-Ziele für die Jahre 2030 und 2035 seien „einfach nicht mehr erreichbar“, heißt es im Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Es sei Zeit, den Kurs zu korrigieren und einen „marktbasierten Ansatz“ zu wählen. Mit anderen Worten: Brüssel soll die „Wünsch-Dir-Was“-Brille absetzen und der Realität ins Auge blicken.
Was hier zusammenstürzt, ist nicht weniger als das gesamte grüne Kartenhaus, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über die vergangenen Jahre mühsam aufgebaut hat. Die EU sollte als Vorbild dienen für eine grüne Transformation, der andere dann nacheifern. Dabei hatte die Geschichte von Beginn an einen Denkfehler: Denn auf die Pull-Effekte, die sich die EU von ihrem Green New Deal für andere Weltregionen erhoffte, wollte man im eigenen Wirtschaftsraum lieber nicht vertrauen. Stattdessen wurden harte Vorgaben gemacht, bis wann welche Zwischenziele zu erreichen sind. Der Weg dorthin? Wechselwirkungen mit anderen Wirtschaftsräumen? Details, die doch Brüssel nicht zu verantworten hat.
Dabei war längst bekannt, dass die Rahmenbedingungen, die für eine grüne Transformation nötig gewesen wären, immense Investitionen erfordert hätten – und zwar schon vor Jahren. Sowohl finanziell als auch personell eine Mammut-Aufgabe, von der schon zu Beginn an klar war, dass diese vor allem durch privates Geld finanziert werden müsste. Die Strategie dafür erschöpfte sich aber im Wesentlichen darin, andere Wege als den erwünschten durch Verbote zu versperren. Nur, dass vergleichbare Vorgaben in anderen Regionen natürlich nicht in Brüssel beschlossen werden konnten. Dafür gab es Lieferkettengesetze, mit denen Firmen in anderen Ländern mit sanftem Zwang überzeugt werden sollten, europäischen Vorgaben zu Berichtspflichten oder Nachhaltigkeit zu folgen.
EU öffnet Büchse der Pandora
Das hat in Teilen funktioniert, aber zugleich die Büchse der Pandora geöffnet. Denn US-Präsident Donald Trump, der einen größeren Hebel in der Hand hält, setzt nun auf die gleiche Weise seine Interessen durch – allerdings, um einst konsensuale Errungenschaften wie Minderheitenrechte in Unternehmen oder den Verbraucherschutz bei Digitaldienstleistungen in Europa zurückzudrehen. Diese Form der Erpressung über Marktmacht hat in Brüssel ihren Anfang genommen. Das sollte sich Europa eingestehen und künftig viel stärker die Methoden prüfen, mit denen sicher gut gemeinte Ziele verfolgt werden. In der neuen, von US-Präsident Trump geprägten Welt, zählt vor allem ökonomische Stärke. Diese wiederzuerlangen, muss oberste Priorität haben. Das grüne Kartenhaus lässt sich ohnehin nicht wieder aufbauen.