Notiert in Brüssel

Europas Rumgegurke

Lange Jahre war die Gurke das Symbol für unverständliche, überbordende Regulierung. Aber sie bekommt immer wieder neue Konkurrenz als Aufregerthema Nummer eins.

Europas Rumgegurke

Notiert in Brüssel

Gurken und andere krumme Dinger

Von Detlef Fechtner

Die Gurke ist eine der schmackhaftesten Gemüse aus der Familie der Kürbisgewächse – und führte doch lange ein Schattendasein, am Marktstand ebenso wie in der öffentlichen Wahrnehmung. Das änderte sich rasant im Jahr 1998, denn seither ist die Gurke zu einem Symbol aufgestiegen – zum Symbol für Brüsseler Regulierungseifer. Oder wie es oft heißt: Brüsseler Regulierungswut.

Die EU legte seinerzeit fest, dass Gurken, falls sie als "Handelsklasse Extra“ ausgezeichnet werden, auf eine Länge von 10 Zentimeter nur maximal 10 Milimeter gekrümmt sein dürfen. Die EU tat dies übrigens nicht aus eigener Motivation, sondern auf Drängen des Handels, der das Grüngemüse effizienter transportieren wollte. Neun Jahre später kassierte die EU die Regelung wieder ein. Denn die Krümmungs-Vorgaben hatten den Ruf der EU-Kommission schwer ramponiert. EU-Beamte gelten seither im Urteil vieler Bürger als ungesellige Menschen, die aus schlechter Laune Unternehmen und private Haushalte mit völlig überflüssigen Regeln gängeln. Nur fürs Protokoll: Vieles von dem, was über das EU-Rumgegurke geschrieben wurde, sind Revolvergeschichten. Etwa die Behauptung, krumme Gurken dürften nicht in Europa verkauft werden.

Die Gurke ist längst nicht das einzige Symbol für unverhältnismäßige Brüsseler Regulierung. Im Jahr 2004 war die „Sonnenschein-Richtlinie“ auf bestem Weg, die Gurkenkrümmung vom Platz eins der EU-Schnappatmungsthemen zu verdrängen. Im Boulevard lief die Story unter der Überschrift „Brüssel plant Dirndl-Verbot in Biergärten“ hoch. Die Novelle einer Arbeitsschutz-Vorgabe sah vor, dass Beschäftigte (auch Kellnerinnen in der Freiluft-Gastronomie) besser vor UV-Strahlung geschützt werden müssten – auch auf Sonnenstrahlung. 2010 wurde der Sonnenschein wieder aus dem Anwendungsbereich der EU-Richtlinie herausgenommen.

Auch andere (geplante oder verabschiedete) Rechtsakte lieferten Stoff für Abscheu und Empörung über EU-Regulierung. Dazu zählen die Verkaufsbeschränkungen für Snus, quasi Skandinaviens Antwort auf Schnupftabak, die in Schweden als übergriffig empfunden wurde. Oder die Klassifizierung des Apfelweins als Minderwein (vin inferieur). Damals formierten sich im „Gemalten Haus“ Stimmen, Sachsenhausen sollte über den Austritt aus der EU nachdenken.

Seit einem Jahr gibt es einen neuen Anwärter für das Aufregerthema an Stammtischen: die EU-Entwaldungsverordnung. Auch in diesem Falle gelingt es der EU-Kommission nur sehr bedingt, der Öffentlichkeit die Motive der Vorgaben nahe zu bringen. In vielen Debatten gelten die Maßnahmen gegen Brandrodung und Holz-Kahlschlag vielmehr als erneuter Beleg für eine überbordene Belastung von Industrie und Verbrauchern mit Nachweisen und Geodaten. Daran können nicht einmal die erheblichen Korrekturen etwas ändern, die kürzlich das EU-Parlament passiert haben und die ganze Sache erheblich vereinfachen sollen.