EZB wirbt mit „Offline-Funktion“ für digitalen Euro
EZB wirbt mit
„Offline-Funktion“
für digitalen Euro
Digitales Zentralbankgeld auch ohne Netzanbindung nutzbar zu machen, wird teuer. Steht der Nutzen im Verhältnis zu den Kosten? Notenbanker verweisen unter anderem auf strukturelle Schwächen in der digitalen Infrastruktur.
Die Offline-Funktion des digitalen Zentralbankgeldes wird teuer für den Steuerzahler. Steht der Nutzen im Verhältnis zu den Kosten? Die Notenbanker verweisen unter anderem auf strukturelle Schwächen in der digitalen Infrastruktur.
Von Martin Pirkl, Frankfurt, und Alex Wehnert, New York
Alles öffentliche Drängeln der Europäischen Zentralbank hat nichts genutzt. Die EU wird bis zum Ende der von der Notenbank selbst ausgerufenen Vorbereitungsphase keinen gesetzlichen Rahmen für die Einführung des digitalen Euro beschließen. Das gibt inzwischen auch der für den digitalen Euro zuständige EZB-Direktor Piero Cipollone zu. Er gehe davon aus, dass die Gesetzgebung erst bis zum zweiten Quartal 2026 verabschiedet ist. Im ursprünglichen Zeitplan der EZB war dies bis spätestens Oktober 2025 vorgesehen.
Nach dem grünen Licht durch die EU wird es nach Einschätzung von Cipollone noch zweieinhalb bis drei Jahre dauern, bis die Bürger neben Bargeld und privaten digitalen Zahlungsmöglichkeiten auch mit dem digitalen Euro bezahlen können. Auch wenn die Einführung dieser Art des Zentralbankgeldes noch gar nicht offiziell von der EZB beschlossen ist, lassen Cipollone und seine Ratskollegen keine Zweifel aufkommen, dass dies fest geplant ist.
Netzanbindung als Faktor
In jüngsten Reden, in denen die Notenbanker für ihr Prestige-Objekt werben, stellen sie auffallend häufig die vorgesehene Offline-Funktion in den Vordergrund. „Mit der Offline-Funktion würde der digitale Euro auch ohne Internet funktionieren, was angesichts der uneinheitlichen Anbindung in weiten Teilen Deutschlands entscheidend ist“, sagte Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz Mitte August bei einer Runde mit Vertretern der deutschen und amerikanischen Wirtschaft in New York. Der flächendeckende Einsatz des digitalen Euro soll deshalb unabhängig vom Rückstand beim Netzausbau werden. Die Bundesbank lässt durchblicken, dass das Eurosystem für die Entwicklung der Offline-Funktion erhebliche Mehrkosten nicht scheue.

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Wie die Variante ohne Internetanbindung technisch funktionieren soll, ist im Detail noch offen. Die Ausschreibung der EZB für die Dienstleister läuft. Bis zu 662 Mill. Euro könnte die Zentralbank allein dafür zahlen. Damit könnten bis 56% aller Kosten für externe Dienstleister bei der Umsetzung des digitalen Euro für diese Funktion anfallen. Entsprechend groß muss der Mehrwert sein, damit er im adäquaten Verhältnis zu den Ausgaben steht.
Resilienz gegen Großereignisse nötig
„Die EZB hat mit Blick auf die Offline-Funktion vor allem die Resilienz des digitalen Euro gegen großflächige Stromausfälle und andere Ereignisse in den Vordergrund gerückt, die Lücken in der Netzinfrastruktur nach sich ziehen können”, sagt Maximilian Harmsen, Partner Financial Services Transformation bei PwC Deutschland. Aus Zentralbank-Perspektive sei es nachvollziehbar, die Sicherheit und Belastbarkeit der Transaktionen im digitalen Euro sicherstellen zu wollen – gerade, da die Netzanbindung im Währungsraum peripher auch im Normalfall nicht flächendeckend gewährleistet sei.
Wie hoch die Mehrbelastungen genau ausfallen, ist nicht einfach festzulegen. Für die betroffenen Banken in der Eurozone hat PwC die Kosten durch die Einführung des digitalen Euro in einer Studie im Basisszenario mit 18 Mrd. Euro beziffert – kämen die Offline- und andere Zusatzfunktionalitäten wie die Nutzbarkeit mehrerer Accounts durch einen Verbraucher hinzu, könne die Summe auf bis zu 30 Mrd. Euro steigen.
Notenbanker kritisieren Studie
Die EZB kritisiert die Studie in ungewöhnlich klaren Worten. Die zusätzlichen Kosten von 12 Mrd. Euro seien nicht angemessen begründet. „Wir begrüßen zwar die Absicht, einen Beitrag zur Debatte zu leisten, stellen jedoch auf der Grundlage der uns vorliegenden Daten fest, dass die Studie methodische Lücken, mangelnde Transparenz bei den Kostenschätzungen und eine unzureichende Überprüfung der Daten aufweist, was ihre Glaubwürdigkeit und ihren Nutzen leider einschränkt“, heißt es bei der Notenbank, die sich „verpflichtet“ sieht, den digitalen Euro so kosteneffizient wie möglich umzusetzen.
Sie moniert, dass PwC von den Daten von 19 Banken auf den Euroraum mit seinen über 2.000 Kreditinstituten schließe. Zudem beruhe die Studie mitunter auf „ungenaue oder falsche Annahmen“. So gehe PwC davon aus, dass Geldautomaten von Banken bei Einführung des digitalen Euro ersetzt werden müssten – in der Studie ist indes von „Anpassungen an der Automaten-Infrastruktur die Rede“, die als ein Kostenfaktor in der allgemeinen Aufrüstung von Nutzeroberflächen für das kontaktlose Zahlen und die Interaktion mit QR-Codes gelistet wird.
Kampf um Souveränität
PwC erklärt den voraussichtlichen Mehraufwand bei der Offline-Funktion dadurch, dass diese eine zusätzliche Sphäre neben der Online-Funktionalität darstelle, die eine eigene Infrastruktur benötige. „Das ist mit einer gewissen Komplexität verbunden”, sagt Harmsen. Schließlich müsse das Eurosystem dann Verständigungen mit Herstellern mobiler Endgeräte treffen, über die sich die Offline-Funktionalität abspiele – oder selbst eine Offline-fähige Karte herausgeben.
Dabei stelle sich durchaus die Frage, inwieweit notwendige Absprachen mit ausländischen Geräteherstellern mit dem Ziel einer digitalen Souveränität Europas im Zahlungsverkehr in Einklang zu bringen sei. „Grundsätzlich denke ich schon, dass ein digitaler Euro dem Verbraucher mehr Unabhängigkeit und damit Souveränität in Zahlungsprozessen bringt”, betont Harmsen. Doch gebe es auch praktische Beschränkungen, die zu höherem Aufwand bei der Entwicklung der Offline-Funktion führten. So seien Aktualisierungen in der Infrastruktur notwendig, da laut EZB-Statistiken bisher zum Beispiel noch 14% aller Bezahlterminals bei Händlern nicht NFC-fähig, also für das kontaktlose Zahlen ausgerüstet seien.
Unklarheit durch fehlendes Rahmenwerk
Eine EZB-Sprecherin widerspricht gegenüber der Börsen-Zeitung der Darstellung, dass die Offline-Funktion eine eigene Infrastruktur benötige – räumt allerdings ein, dass die konkrete Ausgestaltung angesichts des fehlenden gesetzlichen Rahmens noch nicht klar sei. Auch laut Harmsen erschwert dies Schätzungen über Mehrkosten. Dass die Funktionalität einen höheren Aufwand verursache, räume die Notenbank aber selbst ein.

Tim Wegner
„Die entscheidende Frage ist also, welchen zusätzlichen Nutzen sie bringt und in welchen Situationen sie relevant wird”, sagt Harmsen. Bei der Zahlung mit dem Smartphone im Ladengeschäft könne die Offline-Funktion wichtig werden, wenn die Internetanbindung nicht vorhanden sei. „Hinter den Mehrwert von Karten oder digitalen Wallets, die Nutzer für die Anwendung aufladen müssen, würde ich allerdings ein Fragezeichen setzen”, betont Harmsen und verweist auf die GeldKarte, die sich in Deutschland nie durchgesetzt habe und Ende 2024 eingestellt wurde. Die Notwendigkeit zum Aufladen habe sich als zu große Barriere erwiesen.
Nutzen muss sichtbar werden
Auch beim digitalen Euro seien Zusatzfunktionen nur sinnvoll, wenn die Erleichterungen für den Endnutzer ersichtlich seien. „Die EZB hat im Entwicklungsprozess für den digitalen Euro durchaus Finanzindustrie und Handel eingebunden”, sagt Harmsen. „Mein Eindruck als privater Beobachter ist allerdings, dass Endverbraucher in der Breite noch nicht über den digitalen Euro informiert sind.” Es werde interessant sein zu beobachten, wie sich die Nutzung einer offline verfügbaren digitalen Zentralbankwährung (CBDC) gegenüber dem Bargeld entwickle.
Cipollone wirbt jedenfalls mit Strukturschwächen für das digitale Zentralbankgeld. „Derzeit ist Bargeld unsere einzige echte Notfalllösung“, sagte der EZB-Direktor Anfang September vor dem Ausschuss Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments. Der Stromausfall in Spanien und Portugal im Frühjahr hätte gezeigt, welche Schwierigkeiten solche Ereignisse im Zahlungsverkehr verursachen können. Zudem könnten Hackerangriffe größere Probleme auslösen. „Immer mehr Menschen zahlen digital, und im Notfall kann es sein, dass die Bargeldinfrastruktur ausfällt und die Menschen vom Zugriff auf Bargeld abgeschnitten sind“, sagte er.
Erhöhtes Geldwäscherisiko droht
Jonas Groß, Vorsitzender des Think-Tank Digital Euro Association (DEA), hält die Offline-Funktion durchaus für wichtig für den Erfolg des digitalen Euro. „Damit lässt sich etwa ein hoher Schutz der Privatsphäre umsetzen“, sagt Groß. Bei Offline-Zahlungen wären persönliche Transaktionsdaten nur den beteiligten Personen bekannt. Sie würden nicht an das Eurosystem oder Dienstleister weitergegeben. „Dadurch entsteht aber natürlich auch ein Spannungsfeld mit dem Thema Geldwäscheprävention“, räumt Groß ein.
„Um das Risiko von Geldwäsche zu minimieren, wären Limits für das Bezahlen mit der Offline-Funktion sinnvoll“, sagt Groß. Er hofft, dass die Limits mindestens so hoch sind, dass sie für monatliche Alltagsausgaben ausreichen. „Die Offline-Funktionalität soll eine Bargeld-ähnliche und -äquivalente Zahlungsmethode ermöglichen – also zwar digital, aber anonym”, sagt Harmsen. Dabei sei keine zentrale Abrechnung mit dem Eurosystem vorgesehen, sondern ein Austausch von Geldwerten zwischen zwei Endgeräten. Die EZB habe konkretisiert, dass diese Geldwerte in einem Hardware-Speicher abgelegt werden sollten, also zum Beispiel auf einem Smartphone oder einer Karte.
Transparenz erhofft
Damit gebe es keine Nachweise über Zahlungsmuster und das Bezahlverhalten. „Theoretisch wäre es auch möglich, eine Software-gestützte Lösung zu entwickeln, um Manipulation vorzubeugen”, sagt Harmsen. Gerade mögliche Geldwäsche- und Kriminalitätsrisiken durch eine anonymisierte Offline-Funktion stellten Herausforderungen für das Risikomanagement dar. Allerdings beinhalte das System ein Onboarding der Nutzer, das Transparenz verspreche. Auch dass die Offline-Funktion eine Gerätebindung vorsehen werde, sei wahrscheinlich.

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„Es ist gut vorstellbar, dass die EZB die maximalen Zahlungsbeträge und die Möglichkeit zur Geldspeicherung in der Offline-Funktion einschränken würde, um Missbrauch vorzubeugen”, führt Harmsen aus. Bei den Zahlungslimits seien Kleinbeträge von 50 Euro vorstellbar – wobei der PwC-Partner betont, dass diese Schätzung auf der in der Zahlungsrichtlinie PSD2 festgelegten Haftungsbegrenzung von nicht autorisierten Transaktionen für den Verbraucher beruhe.
Paradigmenwechsel möglich
Tatsächlich hat die EZB Höchstgrenzen für das Bezahlen mit der Offline-Funktion signalisiert. Eine konkrete Zahl dazu hat sie bislang jedoch nicht in den Raum gestellt. Ob ein Limit pro Transaktion oder einen bestimmten Zeitraum infrage kommt, wird auch von der spezifischen technischen Ausgestaltung abhängig sein. Sollte die Notenbank für den digitalen Euro an Ansatz wählen, bei dem einzelne Zahlungen nicht einem bestimmten, anonymisierten Konto zugeordneten werden können, käme nur ein Limit pro Transaktion infrage. „Dann wäre die Privatsphäre maximal, das Risiko für Geldwäsche jedoch größer“, sagt Groß.
Um den digitalen Euro schneller an den Start zu bringen, könnte die EZB einen Paradigmenwechsel vornehmen. So soll die Notenbank laut der „Financial Times“ überlegen, von einer eigenen Blockchain abzurücken. Stattdessen könne sie etwa die Ethereum-Blockchain benutzen. Die EZB betont auf Anfrage, dass dies für Retail-CBDC nicht geplant sei.
Kooperation mit Privatwirtschaft
Im Wholesale-Betrieb, also beim Einsatz von digitalen Zentralbankgeld im Interbanken- oder Großhandelsmarkt, arbeiten die Währungshüter mit einer zweigleisigen Strategie. Im kurzfristig angelegten Teil, der unter dem Namen „Pontes“ läuft, verbindet die EZB am Markt vorhandene Distributed-Ledger-Technologien (DLT) und Target-Dienstleistungen, um Transaktionen in Zentralbankgeld zu settlen. Für den langfristigen, „Appia“ betitelten Teil will sie zumindest mit privaten Stakeholdern kooperieren.
Groß hält es für entsprechend unwahrscheinlich, dass die EZB bei Retail-Lösungen von einer eigenen Blockchain abrücken wird. „Dies würde früheren Äußerungen der Notenbank widersprechen, unter anderem, dass man den Markt nicht verzerren will, in dem man auf eine Markt-DLT setzt“, sagt er. „Außerdem könnte die EZB die Regeln dann nicht selbst setzen.“
Zudem sieht Groß auch nur wenig Zeitersparnis, sollte die EZB eine bereits existierende Blockchain wählen. „Wir reden vielleicht von ein paar Monaten“. Durch die dann genutzten dezentralen Strukturen würden neue Komplexitäten beim Regelwerk für den digitalen Euro entstehen – und damit auch neue Kosten.