Investoren steigen vorsichtig zurück aufs Fahrrad
Investoren steigen vorsichtig zurück aufs Fahrrad
Der Crash am Fahrradmarkt hat auch viele Geldgeber kalt erwischt – doch langsam berappelt sich die Branche.
Von Daniel Schnettler, Frankfurt
Für das, was in den vergangenen zweieinhalb Jahren im Fahrradmarkt passiert ist, hat das Internet ein eigenes Wort erfunden: Bikepocalypse. Endzeitstimmung in der Fahrradbranche. „Eine ganze Reihe von Unternehmen haben wirklich kämpfen müssen“, sagt Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands. Und manche haben den Kampf verloren – in die Knie gezwungen von einer Zurückhaltung der Käufer, übervollen Lagern und Rabattschlachten. So langsam aber entspannt sich die Lage – auch für die Investoren.
Was war passiert? Ein Boom and Bust Cycle, der in der Corona-Zeit seinen Ursprung hatte: Die Menschen wollten in der Pandemie raus in die Natur – und das am liebsten per Fahrrad. Die Nachfrage vor allem nach teuren E-Bikes zog sprunghaft an. Die Folge waren Lieferengpässe und kräftig steigende Preise. Fahrrad war plötzlich Big Business.
Ende 2020 stieg die Beteiligungsgesellschaft GBL für kolportierte 400 Mill. Euro beim Koblenzer Direktvermarkter Canyon ein, bekannt für seine sportlichen Räder. Mitte 2021 ging der Dresdner Online-Fahrradhändler Bike24 an die Börse – das Unternehmen und Mehrheitseigentümer Riverside nahmen zusammen rund 300 Millionen Euro ein. Im Januar 2022 bot KKR für Europas größten Fahrradhersteller Accell aus den Niederlanden 1,6 Milliarden Euro und nahm die Muttergesellschaft von Marken wie Haibike, Ghost und Babboe von der Börse.
Jähes Ende des Booms
Doch die rasante Fahrt endete abrupt. Im Februar 2022 marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Die Preise für Energie und andere Dinge des täglichen Bedarfs gingen durch die Decke. Teure Fahrräder waren das letzte, an das die Menschen nun dachten. Doch die Hersteller hatten mittlerweile ihre Produktion hochgefahren, die Lieferketten funktionierten wieder – und die Lager der Händler füllten sich. Die Branche schlitterte in die tiefste Krise seit Jahrzehnten.
„Private Equity-Investoren haben sich vielfach die Finger verbrannt, keine Frage“, sagt Stefan Mohr von EY. „Sie werden aber wieder einsteigen, wenn Gewinne locken.“ Er rechnet damit, dass die Verkäufe von Rädern ab dem kommenden Jahr anziehen. „Die Reduzierung der Lagerbestände deutet auf ein Ende der Talfahrt hin. Man muss aber weiterhin mit Insolvenzen rechnen, wenn auch weniger als in den vergangenen Jahren.“
Mohr hat zusammen mit EY-Kollegen die europäische Fahrradbranche durchleuchtet und die Ergebnisse der Analyse auf der Leitmesse Eurobike vorgestellt, die noch bis zum Sonntag in Frankfurt läuft. „Fahrrad ist grundsätzlich ein Wachstumssegment. Wir befinden uns immer noch ein Drittel über dem Markt vor 2019 – das vergisst man gerne“, sagt er. Spätestens 2030, so die Prognose, wird der Fahrradmarkt vom Umsatz her über dem bisherigen Spitzenjahr 2022 liegen.
Konsolidierung läuft
In die gleiche Kerbe schlägt Fahrrad-Lobbyist Stork: „Die Stimmung war nie richtig schlecht, weil allen klar war: Wir haben das richtige Produkt.“ Keines der Mitgliedsunternehmen seines Branchenverbandes ZIV sei komplett verschwunden, stellt er fest. „Es gab aber Verschiebungen bei Mehrheitsverhältnissen, Übernahmen und Zusammenschlüsse.“ Kurzum: In der bislang sehr fragmentierten und von Familienunternehmen geprägten Fahrradbranche findet eine Konsolidierung statt.
„Es ist die Zeit der strategischen Investoren“, sagt Ralf Kindermann von Kindermann Value Creation. Auf der Messe Eurobike richtet er die Investors Lounge aus, wo er Unternehmen und Investoren zusammenbringt. Der Berater schätzt, dass aktuell nicht mal halb so viele Deals stattfinden wie vor zwei, drei Jahren. Seine Beobachtung deckt sich mit den Zahlen der EY-Analyse, wenngleich die Beratungsgesellschaft einen nicht ganz so drastischen Rückgang feststellt.
Exits stehen bevor
„Im Moment geht keiner unnötige Risiken ein“, sagt Kindermann. Zudem lägen Verkäufer und Käufer mit ihren Preisvorstellungen oft weit auseinander: Die Verkäufer hätten noch die hohen Preise aus der Boom-Zeit im Kopf, während Private-Equity-Investoren mehr Eigenkapital einsetzen müssten. Beruhigend: Der Berater bemerkt auch keine Panik im Markt. „Ich sehe keine Fire Sales.“ Reguläre Exits würden in anderthalb bis zwei Jahren beginnen – wenn die Lage es erlaube. „Private Equity ist geduldiger und flexibler geworden.“
Ohnehin geht es nicht der ganzen Branche schlecht, wie der Vorstandschef eines der größten deutschen Online-Händlers, Andrés Martin-Birner von Bike24, feststellt. „Sportliche Fahrräder wie Rennräder oder Gravelbikes laufen gut, Urban Bikes dagegen eher mau.“ Die branchenweiten Verkäufe, das räumt er ein, seien aber auch durch die weiterhin hohen Rabatte auf Kompletträder getrieben. Denn hier sind die Lager noch voll. Bei Komponenten seien die Lagerbestände dagegen weitgehend abgebaut. „Spätestens ab 2026 sollte die Branche wieder auf den langfristigen Wachstumskurs zurückkehren“, schätzt auch Birner.
Im Aktienkurs seines Unternehmens ist die Wende schon sichtbar: Vor vier Jahren war das Unternehmen zu 15 Euro je Anteilsschein an die Börse gegangen. Nach einem ersten Boom kam auch hier der Bust – und der Kurs rutschte bis Anfang dieses Jahres unter 1 Euro. Seitdem geht es aber beständig aufwärts. Zuletzt kostete ein Papier 2,50 Euro. „Die Investoren sind zurückgekehrt“, sagt Martin-Birner, und macht das auch an steigenden Handelsumsätzen fest.
Größter Anteilseigner von Bike24 ist weiterhin das Private-Equity-Haus Riverside mit rund 30%. Vergleichsweise frisch ist das Engagement von Rocket Internet mit 10%. „Unsere Investoren kommen aus der ganzen Welt“, sagt Martin-Birner. Darunter seien auch viele Fahrradenthusiasten. „Es gibt nur wenige Möglichkeiten, an der Börse in die Fahrradbranche zu investieren – außer in asiatische Hersteller wie Shimano, Giant oder Merida.“
Beim Thema Fahrrad, das hat auch M&A-Berater Kindermann festgestellt, spielen Emotionen durchaus eine Rolle: „Rennrad ist das neue Golfen. Viele Private-Equity-Manager fliegen regelmäßig nach Mallorca zum Rennradfahren.“ Am Ende geht es aber ums Geld, da sind sich die Experten einig. EY-Berater Mohr favorisiert dann auch eine wenig emotionale Geschäftsidee: „Wenn ich Investor wäre, würde ich jetzt eine Werkstattkette aufbauen – so etwas wie eine ATU für Fahrräder. So etwas gibt es noch nicht.“