KommentarFachkräftemangel

Fehlanreiz Homeoffice

Homeoffice bietet Vorteile – für Firmen wie Mitarbeiter. Doch für den Industriestandort und die Gesellschaft wird es zum Problem.

Fehlanreiz Homeoffice

Fachkräftemangel

Fehlanreiz Homeoffice

Von Sebastian Schmid

Homeoffice bietet Vorteile – für Firmen wie Mitarbeiter. Doch für den Industriestandort und die Gesellschaft wird es zum Problem.

An kaum einem Thema scheiden sich die Geister so sehr, wie daran, ob die seit der Corona-Pandemie allgegenwärtigen hybriden Arbeitsmodelle nun Fluch oder Segen sind. Der Personalvorstand der DZ Bank, Johannes Koch, empfindet die Möglichkeit zum Homeoffice in einem aktuellen Linkedin-Post als Segen. Nicht wenige deutsche Finanzdienstleister bieten mittlerweile gar temporäres Arbeiten aus dem Feriendomizil an. Viele US-Banken fordern derweil die Rückkehr ins Büro. Argumente lassen sich für beide Seiten finden. Auch weil das demografische Problem die Firmen in Deutschland härter trifft als in den USA, dürfte hierzulande mehr Flexibilität angesagt sein.

Doch gerade dieses demografische Problem wird dadurch an anderer Stelle verschärft. Wenn es um die befürchtete Deindustrialisierung des Landes geht, wird oft auf hohe Stromkosten, Steuern und Abgaben verwiesen. Dabei ist das Nachwuchsproblem mindestens ebenso drängend. Einer Studie des ZVEI zufolge gab es für die offenen Stellen von Mechatronikern etwa 86% zu wenig adäquat ausgebildete Arbeitskräfte. Bei vielen anderen Berufen in der Elektroindustrie sieht es ähnlich aus. Und diese kommen nur in seltenen Fällen (etwa in beratender Tätigkeit oder der Fernwartung) mit hybriden Arbeitsplatzmodellen daher. In der Industrie muss eben oft noch vor Ort gearbeitet werden. In der Ausbildung gilt das ohnehin.

Homeoffice wird zum Privileg

Aber auch zahlreiche andere gesellschaftlich relevante Berufsfelder – Polizei, Feuerwehr, Luftsicherung, Logistik, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und praktisch der gesamte Gesundheitsbereich – erfordern fast immer eine physische Anwesenheit am Arbeitsplatz. Der exzessive Ausbau von Homeoffice in dafür geeigneten Bereichen droht die Gesellschaft zu spalten: In eine privilegierte Schicht von flexibel arbeitenden Büroangestellten und die vielen Menschen, die diese Möglichkeit in ihrem Beruf nicht erhalten.

Das Argument, man müsse für diese Jobs einfach nur mehr bezahlen, ist wohlfeil. Denn schließlich gab es für die berühmte Krankenschwester selbst zu Corona-Zeiten letztlich nur ein wenig Applaus vom Balkon – also aus dem Homeoffice. Gesellschaftlich ist dessen Ausbau damit ein klarer Fehlanreiz, der geeignet ist, bestehende demografische Probleme zu verschärfen. Aktuell wird das hybride Arbeiten sogar steuerlich gefördert. Sinnvoll wäre wahrscheinlich eher das Gegenteil.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.