Einzelhandel fürchtet böse Bescherung
Einzelhandel fürchtet böse Bescherung
Im Blickfeld
Einzelhandel fürchtet
böse Bescherung
Viele Verbraucher in Deutschland fürchten, dass ihr Lebensstandard angesichts der anhaltend schwachen Konjunktur sinken wird. Entsprechend zurückhaltend wird konsumiert. Am härtesten trifft der Umsatzschwund den Non-Food-Handel. Daran ändern auch Aktionstage wie „Black Friday“ und „Cyber Monday“ nichts.
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Die Verbraucher in Deutschland sind verunsichert, manche haben sogar resigniert. Sie glauben mittelfristig nicht mehr an einen Aufschwung, nachdem der Regierungswechsel in Berlin, verbunden mit der Hoffnung auf einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs, an der Stagnation und der gedrückten Stimmung im Land kaum etwas geändert hat. Natürlich liegt das zu einem erheblichen Teil auch an der Ignoranz von US-Präsident Donald Trump, der mit seiner Liebe zu Importzöllen große Handelskonflikte ausgelöst hat, die wiederum global viel Wachstum und damit Wohlstand kosten.
Politik in Verzug
Auch die Fortschritte im vielfach angemahnten Bürokratieabbau kommen seit dem Start der Großen Koalition nicht wirklich voran. Darüber hinaus fühlen sich viele Menschen und Unternehmen immer noch von Energiewende, Nachhaltigkeit und Digitalisierung überfordert. Sie sehen steigende Kosten und Komplexität, zweifeln aber am Nutzen.
Zudem gerät Deutschland im Vergleich mit anderen Industrienationen, insbesondere aber gegenüber den USA und China, immer mehr ins Hintertreffen. Das gefährdet langfristig Arbeitsplätze. Zehntausende von Stellen wurden in den vergangenen Jahren ins Ausland verlagert. Entsprechend zurückhaltend wird konsumiert, zumal die Preise für Lebensmittel und Energie sowie die Mieten – also Kosten, mit denen man im täglichen Leben ständig konfrontiert wird – überdurchschnittlich stark steigen.
Handels- statt Markenware
In einer solchen Gemengelage steht der Sinn nicht nach kostspieligen Einkäufen. Selbst im sonst stabilen Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) werden Klagen laut, da Verbraucher in jüngerer Zeit selbst zu besonderen Anlässen wie Ostern und Halloween weniger teure und margenstarke Waren gekauft haben. Für das normale Tagesgeschäft gilt dieser Trend – weg von kostspieligen Markenartikeln und hin zu günstigeren Handels- oder No-Name-Marken – schon seit langem.
Gemäß einer Umfrage des Ifo-Instituts ist in keinem Gewerbe der Anteil der Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Existenz akut bedroht sehen, so hoch wie im Einzelhandel: 15% waren es zuletzt.

Doch viel härter als den LEH trifft der Umsatzschwund den Non-Food-Handel. Hier scheint eine Welle von Geschäftsaufgaben heranzurollen; in Teilen tut sie das schon, etwa bei Fachgeschäften für Bekleidung und Schuhe, Konsumgüterelektronik und Möbel. Diese Sortimente sind besonders anfällig für Konkurrenz aus dem E-Commerce. Der Online-Handel stellt ohnehin eine große Herausforderung für den klassischen stationären Handel dar, was laut Statista die Konsolidierung größerer physischer Ketten forciert.
Erstmals weniger Ausgaben an den Aktionstagen
Wie der Marktforscher IFH Köln im Auftrag des Handelsverbandes Deutschland (HDE) ermittelte, weisen die Ausgabenabsichten der Verbraucher am „Black Friday“ und „Cyber Monday“ erstmals seit Beginn der Datenerfassung 2016 auf einen leichten Umsatzrückgang hin. An den beiden Aktionstagen werden die Ausgaben in diesem Jahr voraussichtlich um 1,8% im Vergleich zu 2024 sinken. „Auch mit 5,8 Mrd. Euro sind die Ausgaben auf hohem Niveau“, versucht der Verband zu beruhigen, räumt aber ein, dass offenbar das Preisargument weiter kein Wachstum erzeugen kann und niedrigpreisige Angebote aus Asien bremsend wirken könnten.

Temu, Shein & Co. als Feindbild
Zwar nennt der HDE keine Namen, doch wer gemeint ist, ist klar: Junge Online-Marktplätze wie Temu, Shein und Aliexpress, die als Vermittler zwischen Verkäufern (hauptsächlich aus China) und Käufern fungieren, punkten vor allem über niedrige Preise. Doch ist bei ihnen der Anteil ausgelieferter Produkte mit mangelhafter Qualität und Sicherheit sowie falscher Ware hoch. Zudem wird auf Umwelt- und Klimaschutz keine Rücksicht genommen. Die EU hat inzwischen begonnen, diesem Wildwuchs aus Fernost Einhalt zu gebieten. Doch schneller als Brüsseler Strafen und Gesetze dürfte ein sich verbreitender schlechter Ruf wirken. Die Furcht vor der chinesischen Billigkonkurrenz und die ihnen zuerkannte „Schuld“ an der Misere des deutschen Einzelhandels scheint angesichts der übrigen Probleme übertrieben.
Seit Mitte der 2010er-Jahre in Deutschland verbreitet: der „Black Friday“
Nun also soll es der „Black Friday“ richten. Er ist amerikanischer Herkunft, wie das Datum – der Freitag nach dem „Thanksgiving Day“ – zeigt. Da dieser Feiertag in den USA stets auf den vierten Donnerstag im November fällt, gilt der folgende Freitag als Beginn der Weihnachtseinkaufsaison.
In den 1960er-Jahren eingeführt, ließ der Erfolg auf sich warten
Die erste bekannte Verwendung des Ausdrucks „Black Friday" führt bis ins Jahr 1966 zurück, doch erst seit 2005 werden in den Vereinigten Staaten an diesem Aktionstag die höchsten Umsätze des Jahres im Handel erzielt. In Deutschland wird mit dem „Black Friday“ in nennenswertem Umfang etwa seit 2013 geworben. Der ursprünglich als eintägiges „Shopping Event“ gedachte „Black Friday“ wird oft auf mehrere Tage verlängert und dann als „Black Week" bezeichnet. Diese umfasst die gesamte Woche, die zum „Black Friday“ hinführt.
In diesem Jahr warben u.a. MediaMarktSaturn, das E-Commerce-Unternehmen Alternate, die Lenovo-Tochter und Aldi-Partnerin Medion und der Online-Werkzeuganbieter Gotools sogar mit „Black November“-Kampagnen. Die entsprechende Aktion von Hofer – unter dieser Marke agiert Aldi Süd in Österreich – und des Online-Händlers und Outdoor-Spezialisten Bergzeit nennt sich „Black Month“; ein etwas unglücklich gewählter Begriff, auch wenn dieser nur in Nordamerika besetzt ist. Der „Black History Month" oder kurz „Black Month“ wird dort jährlich im Februar gefeiert, um Leistungen, Geschichte und Kultur der vom Mutterkontinent Afrika entfernt lebenden Menschen in den USA und Kanada zu würdigen.
Kontraproduktiv
Die Überlastung der Konsumenten mit zahllosen Sonderangeboten am „Black Friday“, in der „Black Week“ und „Pre-Black Week“, im „Black November“ oder „Black Month“ dürfte fast schon kontraproduktiv wirken. Zwar sind viele Verbraucher auf der Suche nach günstigen Angeboten. Aber die Masse an Rabatten macht den Markt intransparent und wird manch potenziellen Käufer eher verschrecken als animieren oder inspirieren – zumal die Warnungen von Verbraucherzentralen, dass im Handel gerne die Preise in den Wochen vor den Aktionstagen erhöht werden, um die Nachlässe dann besonders hoch erscheinen zu lassen, inzwischen bekannt sind.
Kaum etwas ist schlimmer, als nach dem Erwerb einen Kauf zu bereuen, weil sich das scheinbare Schnäppchen als im Grunde normal bepreist erwies. Häufig hat der Verkäufer diesen Kunden dann dauerhaft verloren. Dieser Gefahr sind sich auch die Händler bewusst.
Es sagt viel über den Grad der Verzweiflung in der Branche aus, wenn diese Verkaufstricks weiter angewandt werden und ein Händler den anderen in der Dauer der „Black“-Phase und der Höhe der Preisabschläge zu übertrumpfen versucht. Allerdings verrät es auch viel über die Hilflosigkeit der Marketingmanager, denen nichts Besseres einzufallen scheint, als einen Aktionstag zunächst auf eine Woche und schließlich in Einzelfällen auf einen ganzen Monat auszudehnen, obwohl klar sein muss, dass damit der Anreiz bzw. Kaufdruck verloren geht, zu einem bestimmten Termin und zu einem vermeintlich günstigen Preis ein Produkt – seltener eine Dienstleistung – zu kaufen.
Auch der jüngste E-Commerce-Trends-Report des Logistikriesen DHL kommt zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen in die Angebote rund um das Shopping-Event offenbar nachlässt. Während laut der Studie, für die 24.000 Online-Shopper in 24 globalen Märkten und 4.050 Unternehmen in 19 Ländern befragt wurden, etwa 69% der Händler glauben, dass Kunden ihren Angeboten vertrauen, gaben nur 50% der Käufer an, den „Black Friday“-Offerten voll oder größtenteils zu vertrauen.
Babyboomer sind skeptischer
Der Generationenvergleich zeigt ein deutliches Bild: Gemäß der Erhebung vertrauen 56% der Gen Z (geboren etwa zwischen 1997 und 2012) den Preisen der Händler rund um „Black Friday“, verglichen mit nur 38% bei den Babyboomern. Die Gen Z sei aber auch bei der Kaufabsicht führend: 81% planen, während des Shopping-Events mehr zu kaufen, verglichen mit 64% der Babyboomer.
Ebenso bestätigt der DHL-Report die These, dass kleine bis mittelgroße Händler am wenigsten vom „Black Friday“ profitieren. Einzelunternehmer und Kleinstunternehmen zeigen sich in diesem Jahr weltweit am wenigsten zuversichtlich, heißt es. Sie erwarten bescheidenere Ergebnisse, wobei nur 48% mit einem Umsatzanstieg rechnen.
Die Antwort der Online-Händler auf den „Black Friday“: der „Cyber Monday“
Mit der Verbreitung des Internet-Handels kam in Nordamerika der „Cyber Monday“ auf, der auf den Montag nach dem „Black Friday“ fällt. Ursprünglich war dieser Rabattaktionstag die Antwort von Online-Shops auf den „Black Friday“, der von traditionellen stationären Händlern ins Leben gerufen worden war.
Im Zentrum der „Cyber Monday"- bzw. „Cyber Week“-Angebote stehen niedrigpreisigere Elektronikprodukte und Haushaltsgeräte. Im deutschsprachigen Raum hat der „Cyber Monday“, der insbesondere von Amazon stark beworben wird, im Vergleich zum „Black Friday“ eine untergeordnete Bedeutung.
Laut dem HDE will knapp die Hälfte der Online-Shopper (48%) reduzierte Produkte am „Black Friday“ kaufen, am „Cyber Monday“ wollen 36% zuschlagen. Gemäß einer Umfrage des Marktforschers Yougov unter Verbrauchern, die für beide Vertriebskanäle offen sind, gaben etwa 38% an, die „Black Friday“-Angebote nutzen zu wollen, bei den „Cyber Monday“-Offerten wollten dies nur 24% tun.
Ein sozialpolitisch bedenkliches Ergebnis der HDE-Umfrage ist, dass in diesem Jahr an den beiden Aktionstagen nicht nur zusätzliche Käufe getätigt werden, sondern mehr Käufe der notwendigen Grundversorgung dienen.
Vom Junggesellen-Feiertag zum umsatzstärksten Online-Shopping-Tag der Welt
Wie „Black Friday“ und „Cyber Monday“ liegt auch der „Singles’ Day“ im November; er geht auf die 1990er-Jahre zurück. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Aktionstagen hat der „Singles´ Day“ seinen Ursprung in China und hatte anfangs nichts mit einem Sonderverkaufstag zu tun, sondern diente jungen ledigen Männern als Tag zum Feiern (daher auch: „Junggesellen-Tag“). Der 11. November bekam den Namen „Singles’ Day“, weil das Datum aus vier Einsen besteht.
Mit den Jahren nutzten immer mehr Händler diesen Tag als Gelegenheit, um insbesondere junge Menschen durch Werbung anzusprechen. Bis heute ist der „Singles’ Day“ in China mit seinen 1,42 Milliarden Einwohnern weit erfolgreicher als die amerikanischen Pendants „Black Friday“ und „Cyber Monday“ und wurde dadurch zum umsatzstärksten Online-Shopping-Tag der Welt. Seit Mitte der 2010er-Jahre wird auch in Deutschland versucht, den „Singles’ Day“ zu etablieren – mit überschaubarem Erfolg.
Aktionstage belasten Profitabilität
Es ist ein Irrglaube, dass der Einzelhandel diese Aktionstage herbeisehnt, stellen sie doch die Händler vor immense Herausforderungen, nicht nur in der Logistik. Wie aus einer früheren Analyse der Unternehmensberatung Kearney und des Software-Anbieters 7Learnings außerdem hervorgeht, schrumpft der vermeintliche Zusatzumsatz am „Black Friday“ deutlich zusammen, wenn die niedrigeren Erlöse in den vor- und nachgelagerten Wochen gegengerechnet werden. Insgesamt erreiche der Zuwachs dann nur weniger als die Hälfte den nominalen Zusatzgeschäfts – von der Profitabilität dieser Zusatzerlöse angesichts der stark reduzierten Preise ganz zu schweigen. Gerade kleine Händler können aber ohne Rabatte gegen den Platzhirsch Amazon nicht bestehen.
Trübes Weihnachtsgeschäft
Der Konsument hat mittlerweile gelernt, die „Black-" und „Cyber-Days“ wenige Wochen vor Weihnachten zur Geschenke-Schnäppchenjagd zu machen. Käufe für das Fest werden immer häufiger in die Rabattwoche vorgezogen. Wie aus der Umfrage von Kearney hervorgeht, sind hohe Preisnachlässe für rund 70% der Befragten der Hauptgrund, sich am „Black Friday“ ins – meist virtuelle – Verkaufsgetümmel zu stürzen. Nach „exklusiven Angeboten“ (48%) folgen „Weihnachtseinkäufe“ knapp dahinter auf Platz 3 (44%).

Insgesamt sind das keine guten Vorzeichen für den Einzelhandel, der nach Angaben des HDE 18,5% seines Jahresumsatzes im November und Dezember macht – das sogenannte „Weihnachtsgeschäft“. Der Verband rechnet für diese beiden Monate mit einem Umsatzplus von nominal 1,5% im Vergleich zum Vorjahr; inflationsbereinigt ergibt sich eine Stagnation. Immerhin wird der Online-Handel gemäß der Prognose seine Erlöse um nominal 3,3% und bereinigt um 2,3% steigern. Da der HDE fast notorisch zu optimistisch ist, stützt dieser Ausblick die These, dass der Konsum als Stütze der deutschen Wirtschaft ausfällt und die ohnehin schweren Zeiten zumindest für den Non-Food-Einzelhandel noch schwerer werden.
