Fiskaldisziplin war einmal
Schwarz-Rot
Fiskaldisziplin war einmal
Die Bundesregierung verbreitet
Aufbruchstimmung.
Die Hoffnung ruht
auf einem enormen Schuldenberg.
Von Angela Wefers
Es musste ein Tag ausschließlich guter Nachrichten sein: Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) malte Bilder eines idealen Deutschlands – mit moderner Infrastruktur, funktionierenden Bahnstecken, guten Schulen, Kitas und Krankenhäusern, ein Land der Digitalisierung, in dem im Übrigen niemand um seine Sicherheit besorgt sein muss. Das schwarz-rote Bundeskabinett hatte zuvor den Weg für seinen ersten Etat und die Finanzplanung der nächsten Jahre frei gemacht. Nach der Aushebelung der Schuldenbremse durch das kreditfinanzierte Infrastruktursondervermögen und dem Freifahrtschein für unlimitierte Verteidigungsausgaben kann die neue Regierung aus dem Vollen schöpfen – und sie tut es auch. Die Folgen einer explodierenden Neuverschuldung klammert sie aus. Am Tag der wunderbaren Geldvermehrung flossen Informationen dazu äußert zurückhaltend. Sie hätten nur gestört.
Zu wenig ambitionierte Schuldenregel
Keine Frage: die Infrastruktur hierzulande ist veraltet und ausbaubedürftig. Die sicherheitspolitische Lage in Deutschland und Europa ist mehr als brisant, seit in den USA ein kaum berechenbarer Präsident Bündnisverpflichtungen infrage stellt. Der neue fiskalische Spielraum, den der Bundestag nach der Wahl noch mit den alten Mehrheitsverhältnissen eröffnet hatte, untergräbt die Fiskaldisziplin. Zwar dürfen nur zusätzliche Investitionen aus dem Sondervermögen Infrastruktur über neue Schulden finanziert werden. Dies ist aber schon bei einer Investitionsquote von 10% im Kernhaushalt erfüllt. Die Marke fällt hinter den Status quo zurück. Der Bund hatte dieses wenig ambitionierte Investitionsniveau der vergangenen Dekade längst hinter sich gelassen. Bei Verteidigungsausgaben muss nur 1% des Bruttoinlandsprodukts aus dem Kernhaushalt bestritten werden. Dann ist die Ausgabenskala nach oben offen. Selbst die in Sachen Schulden milde gestimmte EU-Kommission in Brüssel rechnet 1,5%, des BIP in das reguläre Budget ein. Erst jenseits davon greift die Ausnahme vom Stabilitätspakt.
Schwarz-Rot plant fast 850 Mrd. Euro Nettokreditaufnahme bis 2029. Damit erhöht die Koalition die Schulden des Bundes in nur fünf Jahren um die Hälfte dessen, was frühere Regierungen in 75 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik angehäuft haben. Hinzu kommen ungedeckte Posten in der Finanzplanung bis 2029 von 144 Mrd. Euro. Öffentliche Investitionen können und sollten zu mehr Wirtschaftswachstum führen. Der Fiskus generiert mehr Steuereinnahmen und kann mehr Ausgaben aus laufenden Einnahmen finanzieren. Dazu müssen die öffentlichen Investitionen aber eine positive Rendite bringen. Die jüngste Vereinbarung des Bundes mit den Ländern weist in die entgegengesetzte Richtung. Der Bund hat die Zustimmung zum steuerlichen Investitionspaket für Unternehmen damit erkauft, dass für die Länder das Zusätzlichkeitskriterium bei kreditfinanzierten Investitionen fällt und sie etwa Ausgaben für Sport und Kultur jenseits der Schuldenbremse kreditfinanzieren dürfen. Dem Bundesfinanzminister war dies – darauf kritisch angesprochen – nur ein müdes Achselzucken wert. Am Ende ist jedoch er es, der dafür die Zinsen der Länder schultert.
Maßhalten ist Pflicht
Fiskalregeln müssen politische Akteure zum Maßhalten zwingen. Sie schaffen es nicht allein. Überbordende Schulden gefährden Finanzstabilität und Preisstabilität – mögen die Gründe für die Ausgaben noch so lauter sein. Wie sich Schuldenquote und Defizitquote in den nächsten Jahren entwickeln und wie die EU-Fiskalregeln erfüllt werden können, lässt der Bundesfinanzminister unter Hinweis auf noch mangelnde Daten offen. Dies ist entweder unehrlich oder hochgradig beunruhigend, sollte das Klingbeil-Haus tatsächlich im Dunklen tappen. Schon bald beginnen die Gespräche zum Stabilitätspakt mit Brüssel. Die Zinslast im Bundeshaushalt durch die neue Verschuldung ist auch eine politische Last. Der Anstieg der Zinsausgaben ist enorm. Von heute knapp 30 Mrd. Euro wird sich der Posten bis 2029 mehr als verdoppeln. Der Posten ist größer als das Budget der meisten einzelnen Ministerien. Investitionen sind wichtig, Verteidigungsausgaben auch. Sie müssen aber effizient, wachstumsfördernd und durchaus maßvoll eingesetzt werden. Sonst sich die Kollateralschäden nicht beherrschbar.