Fragwürdige Tricks und Kniffe von Big Tech
Fragwürdige Tricks und Kniffe von Big Tech
Big Tech
Fragwürdige Accounting-Kniffe
Von Alex Wehnert
Die Buchhaltungs- und Finanzierungspraktiken der Tech-Riesen verdienen kritischere Blicke. Denn der KI-Boom steht auf schwächerem Fundament, als viele Investoren glauben wollen.
Die Accounting- und Investment-Praktiken von Big Tech verkommen zur gefährlichen Übung für die globalen Finanzmärkte. So haben Anleger zurecht mit Schrecken darauf reagiert, dass Nvidia sich zuletzt in einem Schreiben an Wall-Street-Analysten gewandt und ungefragt Vergleiche mit Enron zurückgewiesen hat. Anders als das 2001 kollabierte Skandalunternehmen nutzt der Chipdesigner nach eigenen Angaben „keine Zweckgesellschaften, um Schulden zu verstecken und Erlöse aufzublähen“. Der Brief erinnert an die Szene aus dem Klamauk-Klassiker „Die Nackte Kanone“, in der eine Feuerwerksfabrik in die Luft geht, worauf sich Leslie Nielsen in seiner Rolle als vertrottelter Lieutenant Frank Drebin vor dem explodierenden Gebäude aufbaut und Passanten zuruft: „Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“
Fragwürdige Symbiose mit Kunden
Denn Wirtschaftskanzleien warnen durchaus vor den engen Beziehungen von Nvidia zu Unternehmen wie dem Cloud-Dienstleister Coreweave. Schließlich investiert der Tech-Riese selbst in diese Anbieter, die für ihren rasanten Ausbau von KI-Infrastruktur im großen Stil schuldenfinanziert Chips aufkaufen. Laut ihrer IPO-Dokumentation aus dem Frühjahr hält Coreweave 250.000 Grafikprozessoren ausschließlich von einem Entwickler – Nvidia, die nach jüngsten Stand mit rund 7% an der A-Aktie ihres Kunden beteiligt ist. Der Chipriese betont indes, das strategische Investment repräsentiere einen kleinen Teil seiner Erlöse.
Selbst wenn dies im Einzelfall zutreffen sollte: Im Sektor sind Strukturen wie jene von Coreweave eher die Regel, speist sich doch der gesamte KI-Boom aus zirkulären Beziehungen. Bestes Beispiel dafür ist Oracle, die in großem Stil Bonds an den Markt wirft, um den Ausbau ihrer Rechenkapazitäten finanzieren zu können. Der Nachfrage-Aufschwung nach diesen speist sich aus einzelnen Großaufträgen, unter anderem von OpenAI. Die KI-Schmiede hat trotz unklaren Profitabilitätspfades und wachsenden Konkurrenzdrucks durch Google selbst milliardenschwere Finanzierungszusagen für Rechenzentren abgegeben und hängt dabei am Tropf von Investoren wie Microsoft und Nvidia, die wiederum mit Oracle verpartnert sind.
Meta wird kreativ
Unternehmen wie Coreweave werden in diesem Komplex zum Hedging-Werkzeug, da sie die Kosten des Datenzentren-Ausbaus absorbieren. Die Tech-Riesen können ihre Kapazitäten pachten und gewinnen Zeit, eigene Infrastruktur aufzubauen, die letztlich mit der ihrer defizitären Auftragnehmer in Konkurrenz tritt. Besonders kreativ hat sich Meta bei ihrem Riesen-Rechenzentrum in Louisiana gezeigt. Dieses befand sich bereits im Bau, als die Facebook-Mutter einen neuen Deal ankündigte. Durch diesen verschiebt Meta das Projekt in ein Joint Venture mit Blue Owl Capital. Die Holding, die den Blue-Owl-Anteil kontrolliert, begab darauf Anleihen im Volumen von 27,3 Mrd. Dollar.
Meta will das Rechenzentrum ab 2029 für bis zu 20 Jahre pachten und das Joint Venture auch künftig nicht konsolidieren, um sich verbundene Verbindlichkeiten von der Bilanz zu halten. Damit dürfte die Facebook-Mutter laut Analysten aber in Konflikt mit Accounting-Regeln geraten, da sie de facto die operative Kontrolle und das größte ökonomische Interesse an dem Projekt habe. Tritt der Regulator auf den Plan, drohen also Milliarden-Schulden auf die Bücher von Meta durchzuschlagen und Bondinvestoren ins Mark zu treffen.
Kaskadeneffekt droht
Ihren „Wir sind ganz bestimmt nicht Enron“-Brief hat Nvidia also zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt versandt. Denn mit diesem hat der Chipdesigner den Beschuldigungen gegen die Tech-Riesen ins Rampenlicht verholfen. Selbst Investoren, die das Problem bislang ignoriert hatten, dürften nun hinschauen. Doch das Nvidia-Management scheint gewillt, die Rekordrally um jeden Preis am Laufen zu halten. Der Beweis, dass die Kalifornier für Phasen gerüstet sind, in denen der Hype sich abkühlt, steht noch aus. Bereits der Ausfall eines kleinen Elements im KI-Kapitalkreislauf könnte zum Stresstest werden. Und anders als bei Leslie Nielsen dürfte allenfalls ein paar Shortsellern zum Lachen zumute sein.
