Frankreichs Sprung in die Leere
Frankreichs Sprung in die Leere
von Gesche Wüpper, Paris
Regierungssturz Frankreich, zweite Staffel, Folge Nummer Eins. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone steht ohne Regierung da. Wieder einmal. Fast ein Jahr nach dem Sturz der Regierung von Michel Barnier sorgt die politische Klasse Frankreichs für ein Déjà-Vu-Erlebnis. Wieder stolpert eine Regierung über einen Haushaltsplan. Wieder schickt die auf einer Fehleinschätzung beruhende Entscheidung eines Einzelnen das Land auf eine Reise ins Unbekannte. Denn Bayrou hat sich wie zuvor Präsident Emmanuel Macron bei seiner im Sommer 2024 beschlossenen Auflösung der Nationalversammlung verkalkuliert. Statt die Opposition mit seiner Vertrauensfrage wachzurütteln und ihr den Ernst der Haushaltslage vor Augen zu führen, hat er ihr eine Waffe in die Hand gegeben, um Frankreich in die Leere zu stürzen.
Schlüsselrolle für die Sozialisten
Es ist ein Drama in mehreren Akten, das sich nun abspielt. Nachdem bei der Vertrauensfrage 364 Abgeordnete gegen und nur 194 für Bayrou stimmten, droht die Protestbewegung Bloquons tout (Blockieren wir alles), Frankreich zwei Tage später lahm zu legen, gefolgt von Protesten der Gewerkschaften am 18. September. Dazwischen könnte Fitch die Kreditwürdigkeitsnote Frankreichs von AA- auf A abstufen. Der Haushalt für 2026 dürfte sich in jedem Fall verspäten, selbst wenn Präsident Macron jetzt wie versprochen schon in den nächsten Tagen einen neuen Premierminister ernennen sollte, vermutlich einen mit den Sozialisten kompatiblen Vertrauten oder einen parteiunabhängigen Experten. Im Gegensatz zu Ende letzten Jahres dürften die Sozialisten nun aus dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire ausscheren, weshalb sie für die künftige Minderheitsregierung eine Schlüsselrolle spielen werden.
Von neuen Parlamentswahlen dürfte Macron dagegen Abstand nehmen, da dies selbst bei dem erwarteten weiteren Erstarken des rechtsextremen Rassemblement National (RN) nur wenig an der Aufteilung der Assemblée Nationale in drei große Blöcke ohne absolute Mehrheit ändern dürfte. Auch dürfte Macron nicht zurücktreten, wie es Jean-Luc Mélenchon von der linksextremen Oppositionspartei La France Insoumise (LFI) fordert.
Gemeinsame Schuld
Doch Macron ist im Gegensatz zu den Behauptungen der Extremisten von beiden Rändern nicht alleine für die Krise verantwortlich, in der sich Frankreich jetzt befindet. Auch wenn er während Corona die Verschuldung Frankreichs stark in die Höhe getrieben und mit den Neuwahlen die lähmende Zersplitterung der Nationalversammlung in drei ungefähr gleich große Blöcke provoziert hat. Es ist die gesamte politische Klasse, die Frankreich mit ihrem unverantwortlichen Handeln in die aktuelle Situation hineinmanövriert hat. Sie erscheint aussichtslos, doch weit von einem Schock wie der griechischen Staatsschuldenkrise entfernt.
Zwar hat Frankreich derzeit das höchste Haushaltsdefizit der Eurozone und mit zuletzt 114% nach Griechenland und Italien die dritthöchste Staatsverschuldung. Aber die französische Wirtschaft wächst, wenn auch schwach. Und bisher hatte Frankreich keine Probleme, trotz steigender Renditen Investoren für seine langfristigen Staatsanleihen zu finden. Von Panik kann keine Rede sein, dafür von einem steigenden Misstrauen gegenüber Frankreichs Fähigkeit, den Abbau des Defizits und der Verschuldung glaubhaft in Angriff zu nehmen.
In ideologischen Kämpfen gefangen
Statt sich um das Allgemeinwohl des Landes zu sorgen, denken alle Parteien nur an sich und wie sie sich für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 in Stellung bringen können. Statt Kompromisse zu schließen, bleiben sie in ideologischen Klassenkämpfen gefangen. Populisten und Extremisten befeuern Wähler in ihrem Glauben, Privilegien und Staatsausgaben seien unantastbar, Reformen wie die des Rentensystems nicht notwendig. Sie schüren so bei der Bevölkerung die Idee, dass die haushaltspolitischen Probleme nicht dringlich sind.
Bayrou und seine Regierung haben die Situation teilweise bewusst dramatisiert und übertrieben — etwa mit der später wieder relativierten Warnung, dem Land drohe das Eingreifen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Statt die Bevölkerung wach zu rütteln, haben sie bei ihr nur den Argwohn gegenüber der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung weiter angeheizt und gleichzeitig die Finanzmärkte alarmiert.
Dämpfer für das Wachstum
An der Börse von Paris herrschte Montag Ruhe vor dem Sturm. Der CAC 40 schloss mit einem Plus von 0,6%. Immerhin ist die instabile politische Lage Frankreichs nicht neu und schon seit letztem Jahr eingepreist. Der Spread zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen dürfte sich nun weiter vergrößern. Die größte Gefahr besteht kurzfristig vor allem darin, dass die nun durch den Sturz der Regierung verstärkte Unsicherheit das ohnehin schwache Wachstum weiter abwürgt. Es droht ein Teufelskreis, ein langsamer, aber stetiger Abstieg, wenn Frankreichs politische Klasse nicht aufhört, Schulden- und Defizitabbau aus ideologischen oder wahltaktischen Gründen zu behindern.