Notiert inSchanghai

Freude am geborgten Lebensstil

Junge Chinesen pflegen einen neues Konsum-Mantra. Hauptsache kein Ballast. Warum noch Dinge kaufen, die sich billig mieten lassen?

Freude am geborgten Lebensstil

Notiert in Schanghai

Freude am geborgten Lebensstil

Von Norbert Hellmann

„Nothing I have is truly mine“ heißt der klagevolle Refrain in dem nicht mehr ganz frischen aber irgendwie zeitlosen Softpop-Hit „Life for rent“ der britischen Sängerin Dido. Wohneigentum dient als Analogie für Beziehungswelten. Eine wehmütige Auseinandersetzung mit Sinnleere wegen Besitzlosigkeit. Das passt irgendwie zum Dauerelend an Chinas Wohnimmobilienmarkt, das sich wie Blei auf die Konsumdynamik des Landes legt. Aus der Not lässt sich aber eine Tugend machen. Besitzlosigkeit ist Trumpf. Kaufrausch war einmal, aber Spaß und Genuss im Alltag und Urlaub müssen trotzdem sein.

„Asset Light“ für Private

Chinas jüngere Generation findet trotzigen Gefallen an einem ungebundenen und flexiblen Lebensstil mit höchstmöglich reduziertem Eigentum an Gebrauchsgegenständen und Haushaltsgütern. Das gelingt durch den Rückgriff auf Mietlösungen. Im Unternehmenskontext beklatscht man so etwas als eine kosteneffiziente „Asset-Light-Strategie.“ Für ihre gekonnte Umsetzung im privaten Kontext verbürgen sich zahllose lokale Vermieter von Konsumprodukten mit extrem rasch wachsender Online-Plattformen, die so ziemlich jeden Bedarf abdecken. Sie haben alles zum Kurz- oder Langzeitverleih auf Lager, das man sich früher zähneknirschend vielleicht zugelegt hätte, um einem gehobenen Lebensstil zu frönen, aber viel zu wenig nutzt.

Boomender Markt

Ob Kinderwagen, digitale Spiegelreflexkamera, Camping-Ausrüstung, Robo-Staubsauer, oder digitales Klavier. All dies muss kein schlecht ausgelasteter Langzeitbegleiter im Haushalt mehr sein. Miete bietet zudem Schutz vor technologischer Veralterung. Chinas einzigartige Onlineshoppingwelten und Logistiknetze für Warenzustellungen in den Großstädten machen es zum Kinderspiel. Blitzschnelle Auslieferung und Rücknahme von Mietobjekten zu minimalen Kosten. Das Researchhaus Analysis veranschlagt den Markt auf ein Volumen von 72 Mrd. Yuan (ca. 9 Mrd. Euro ). Hält der Trend an, dürfte man bis 2030 bei fast einer Billion Yuan liegen.

LV für kleines Geld

Zu den heißesten Mietobjekten gehören Kameradrohnen für Panoramabilder. Auf die möchte kaum ein Chinese für die Social-Media-Bildstrecke zur jüngsten Urlaubsreise verzichten. Die Leihe kostet vielleicht 50 Yuan (6 Euro) am Tag. Der Dauerbesitz für ein gescheites Drohnen-Modell, an dem man rasch den Gefallen zu verlieren droht, liegt beim Hundertfachen und stellt die Wohnung mit Rotorblättern zu. Ähnlich sieht es mit Livestreaming-Equipment und Gaming-Konsolen aus. Stark nachgefragt werden auch Designer-Handtaschen zum Eindruck schinden bei Geschäftstreffen oder Abendanlässen. So kann man schon für 35 Yuan am Tag Hand an den Louis-Vuitton-Bag legen.

Für alle, die sich schon Teures, aber kaum Genutztes zugelegt haben, gibt es Möglichkeiten die Reue zu lindern. Marktführer Renrenzu bietet ein „Consignment-Modell“ an: man dient beispielsweise die Edel-Kamera der Plattform zur Weitervermietung an. Selbst der glatte Fehlkauf lässt sich so noch ein wenig monetisieren.