Gamification der Geldanlage gefährdet Finanzstabilität
Gefährliche
Gamification
der Geldanlage
Broker um Robinhood verbreitern auf spielerische Weise den Zugang von Retail-Investoren zu Risiko-Assets. Doch birgt dies laut Analysten große Gefahren für Anleger und die Marktstabilität.
Von Alex Wehnert, New York
Robinhood versteht sich als Rebell der Geldanlage – und will nun auch die Art revolutionieren, wie Retail-Investoren miteinander kommunizieren. So hat der Broker auf dem Hood Summit in der vergangenen Woche seine Pläne für ein eigenes soziales Netzwerk vorgestellt. Die Plattform, die analog zu Social-Media-Seiten wie X (ehemals Twitter) oder Reddit Kanäle mit Kurznachrichten abbilden soll, wird gemäß Ankündigung im ersten Quartal 2026 in einer Beta-Version mit rund 10.000 Testnutzern an den Start gehen.
Wer einen Account auf Robinhood Social anlegt, soll den Investments anderer Trader folgen, sich über Anlagetipps und Strategien austauschen sowie verifizierte Transaktionen teilen können. „Das ist ein völlig neuer und, wie ich denke, ausschlaggebender Informationsträger“, sagte Robinhood-CEO Vlad Tenev im Rahmen der Konferenz. Schließlich soll das Netzwerk seinen Nutzern „in Echtzeit“ Einblicke darüber ermöglichen, „was andere Trader tatsächlich tun und wie sie wirklich performen“. Die Verifikation durch Robinhood soll ein Problem lösen, vor dem Nutzer auf X oder Reddit stehen – nämlich, dass sie nicht wissen, ob dort gepostete Transaktionen echt sind.
Boom-Zeit für Broker
Für Robinhood soll der neue Social-Media-Dienst in einem Wettbewerbsumfeld, in dem etablierte Broker wie Charles Schwab und junge Plattformen wie Webull um Anleger konkurrieren, die Nutzerbindung erhöhen. Im laufenden Jahr hat das Unternehmen aus dem kalifornischen Menlo Park der eigenen Aktie mit einem massiven Kundenwachstum Auftrieb verliehen: Der Titel, der Ende der laufenden Handelswoche in den S&P 500 aufsteigt, hat zwischen Jahresbeginn und US-Börsenschluss am Freitag über 190% an Wert gewonnen. Robinhood, als Broker für das Social-Media-Zeitalter konzipiert, steht dabei wie wohl keine andere Plattform für die Gamification der Geldanlage – also die Einbindung spielerischer Elemente ins Investing. Mit dem Start eines eigenen Reddit-ähnlichen Dienstes treibt das Fintech diese Praxis, die Kritiker als Risiko für die Marktstabilität sehen, auf die Spitze.

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Analysten heben hervor, dass Gamification positive Seiten hat. „Wenn sie richtig eingesetzt werden, können diese Techniken ein machtvolles Instrument sein, um finanzielles Engagement und Finanzbildung zu fördern“, heißt es beim CFA Institute. So könne Gamification eine breitere Öffentlichkeit ans Investment heranführen. „Sie zieht ein jüngeres Publikum an, dessen Mitglieder sich in einer Lebensphase befinden, in der sie Anlagerisiken eingehen könnten und durchaus auch sollten“, betont die Finanzanalysten-Organisation. Der resultierende Anstieg der Trading-Aktivität könne zu einer verbesserten Liquidität und niedrigeren Transaktionskosten im Markt führen.
Exzessives Trading droht
„Allerdings können Finanzdienstleister die gleichen Techniken auch nutzen, um exzessives Trading anzutreiben und den Handel in komplexen oder Hochrisiko-Produkten oder anderes schädliches Verhalten zulasten von Kunden anzuheizen“, mahnt das CFA Institute. Auch Jason Paltrowitz, Executive Vice President des Handelsplattform-Betreibers OTC Markets, warnte gegenüber der Börsen-Zeitung jüngst davor, dass die Einbindung spielerischer Elemente auf Brokerage-Plattformen zu einer wachsenden Risikofreude von Investoren führe.
Dies gelte insbesondere, da sich der Zugang von Anlegern zum Finanzmarkt rund um die Uhr erweitere. So führte Robinhood Mitte 2023 für ausgewählte Aktien und ETFs einen 24-Stunden-Handel ein, Interactive Brokers hält gar Übernacht-Sitzungen mit über 10.000 verfügbaren Werten ab. Investorenschützer wie die Organisation Better Markets kritisieren, dass die „Demokratisierung der Geldanlage“ viele Retail-Teilnehmer in Situationen bringt, in denen sie bei schweren Informationsnachteilen gegenüber Institutionellen mit fragmentierter Liquidität konfrontiert sind. Die „Gamification“ führe dabei dazu, dass Privatanlegern der Bezug zu ihren investierten Mitteln und der Schwere möglicher Verluste abhandenkomme.
Furcht vor neuen „Meme Stock“-Turbulenzen
Die Social-Media-Expansion von Robinhood, die vorgeblich Informationsgewinne für Investoren bringen soll, droht dabei laut Analysten Trends wie die „Meme Stock“-Rallys der Jahre 2021 und 2024 noch zu verstärken. In deren Rahmen verabredeten sich Privatanleger in Online-Foren zu konzertierten Käufen von Aktien mit hohem Leerverkaufsanteil. Dies brachte zahlreiche Hedgefonds in Schieflage, doch der Volatilitätssprung an den breiten Aktienmärkten infolge des „Meme Stock“-Hypes bescherte auch vielen anderen Teilnehmern herbe Verluste.

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Investorenschützer kritisieren Robinhood zusätzlich, weil das Unternehmen Anleger mit Krypto- und Private-Markets-Angeboten in zunehmend riskantere Assets locke. Ende Juni lancierte der Broker in Europa tokenisierte Anteile an privat gehaltenen Unternehmen wie OpenAI oder SpaceX. In den USA hat Robinhood Staking-Angebote gestartet, in deren Rahmen Kunden die Cyberdevisen Ether und Solana verleihen und Zinserträge darauf einfahren können – ein Feature, das die Börsenaufsicht SEC in der alten Legislaturperiode noch verboten hatte.
Breiter Trend zur Deregulierung
Nun wollen die Kalifornier laut der „New York Times“ zudem einen gelisteten Venture-Fonds registrieren, der in ein „konzentriertes“ Startup-Portfolio investieren und amerikanischen Retail-Anlegern somit ein Fenster in die Welt der Private Markets bieten soll. US-Präsident Donald Trump, der für Deregulierung steht, hat zuletzt bereits per Exekutivorder die Grundlage für die Investition von Altersvorsorge-Assets in Private Equity, Private Credit und Kryptowährungen geschaffen. Nun geht an der Wall Street die Furcht um, dass das Zusammenspiel aus der zunehmenden Öffnung bisher schwer zugänglicher Assets und der Gamification die durch Trumps Handels- und Fiskalpolitik ohnehin angekratzte Stabilität der Finanzmärkte noch aushöhlt.