Notiert in Schanghai

Glaube, Gier und Governance

Der ehrwürdige Shaolin Tempel steht im Brennpunkt. Kann es mit rechten Dingen zugehen, wenn sich ein Mönch als Milliardenunternehmer verdingt?

Glaube, Gier und Governance

Notiert in Schanghai

Glaube, Gier und Governance

Von Norbert Hellmann

Chinas wohl bekanntester, umtriebigster und geschäftstüchtigster buddhistische Mönch ist hochgenommen worden. Shi Yongxin, der Abt des weltberühmten Shaolin-Klosters in der Provinz Henan, Ursprungsort des Zen Buddhismus und Wiege der hehren Kung-Fu-Kampfkunst, befindet sich wegen schwerer Vorwürfe zu Korruption und sittlicher Vergehen in Gewahrsam. Sein Ordinations-Titel wurde ihm entzogen und ein Dutzend Investmentgesellschaften unter seiner Kontrolle aus den Registern entfernt.

Firmenimperium

Shi, der seit 25 Jahren den Shaolin-Orden mit seiner 1500jährigen Geschichte und Unesco-Weltkulturerbe anführt, ist landesweit unter dem Spitznamen CEO-Mönch bekannt. Seine Aura ist weniger von Heiligkeit und Spiritualität, als von einem turbokapitalistischen Kommerzialisierungsgeist durchdrungen. Er hat den Shaolin Tempel zu einem milliardenschweren multinationalen Firmenimperium ausgebaut. Die Corporate Governance scheint aber mehr vom Prinzipo der Ich-AG, als der Einhaltung von ESG-Standards und frugaler mönchischer Selbstdisziplin geprägt zu sein.

„Unangemessene Beziehungen“

Offiziell lauten die Vorwürfe auf Veruntreuung von Geldern, Missbrauch von Tempel-Aktiva und das Eingehen zahlreicher unangemessener Beziehungen, aus denen auch Kinder hervorgegangen sein sollen. Die Floskel „unangemessene Beziehungen“ nimmt bei so ziemlich jedem Korruptionsfall in China eine tragende Rolle ein. Ungerechtfertigte Bereicherung im großen Stil geht selten ohne den Unterhalt einer weiblichen Gefolgschaft in Konkubinen-Tradition einher. Das ist übrigens nicht nur nach buddhistischen Protokoll ein Vergehen. Shi sitzt damit auch auf parteipolitischer Ebene in der Patsche, zumal er jahrzehntelang als Delegierter beim Nationalen Volkskongress fungierte.

Branding-Talent

Shi kam als 16jähriger Kungfu-Enthusiast nach Shaolin, in eine damals völlig verwahrloste Stätte. Schon mit 35 avancierte er zum Abt. Mit einem MBA-Titel ausgestattet hat sich dann das Branding-Genie mit Globalisierungsinstinkten ans Werk gemacht. In Shaolin erkannte Shi eine Goldgrube mit hochvermarktungsfähiger Intellectual Property (IP), die Spiritualität des Zen-Buddhismus und Kung-Fu-Action verbindet. In über 50 Ländern gibt es Dependancen. Mehr als 700 Trademarks sind etabliert. Verdient wird mit Kung-Fu-Schulen, Showdarbietungen, Wellness, religiösen Artefakten, Souvenirs vom T-Shirt bis zum Mondkuchen und Online-Spielen. Der E-Commerce-Shop „Shaolin Happy Land“ auf der Alibaba-Plattform ist ein Renner.

Wunschgebete

Der Shaolin-Skandal ist jetzt Gesprächsthema Nummer Eins. Millionen Chinesen gehen zum Tempel und beten in Hoffnung auf Wunscherfüllung. Vier Motive stehen im Vordergrund, nämlich Reichtum, Berufserfolg, Beziehungsglück und Kindersegen. Es drängt sich eine sarkastische Erkenntnis auf: Alle Gebete wurden zwar erhört, aber mit ungerechter Verteilung. Die Realisierung der Wünsche scheint nur gebündelt beim CEO-Mönch selber eingetreten zu sein.